noch an die Reihe zukommen.
Endlich stellte Haie Himmelsto? wieder auf die Beine und gab als Schlu? eine Privatvorstellung. Er schien Sterne pflucken zu wollen, so holte seine Rechte aus zu einer Backpfeife. Himmelsto? kippte um. Haie hob ihn wieder auf stellte ihn sich parat und langte ihm ein zweites, erstklassig gezieltes Ding mit der linken Hand. Himmelsto? heulte und fluchtete auf allen vieren. Sein gestreifter Brieftragerhintern leuchtete im Mond.
Wir verschwanden im Galopp.
Haie sah sich noch einmal um und sagte ingrimmig, gesattigt und etwas ratselhaft:»Rache ist Blutwurst.«- Eigentlich konnte Himmelsto? froh sein; denn sein Wort, da? immer einer den andern erziehen musse, hatte an ihm selbst Fruchte getragen. Wir waren gelehrige Schuler seiner Methoden geworden.
Er hat nie herausgekriegt, wem er die Sache verdankte.
Immerhin gewann er dabei ein Bettuch; denn als wir einige Stunden spater noch einmal nachsahen, war es nicht mehr zu finden.
Dieser Abend war der Grund, da? wir am nachsten Morgen einigerma?en gefa?t abfuhren. Ein wehender Vollbart bezeichnete uns deshalb ganz geruhrt als Heldenjugend.
4.
Wir mussen nach vorn zum Schanzen. Beim Dunkelwerden rollen die Lastwagen an. Wir klettern hinauf. Es ist ein warmer Abend, und die Dammerung erscheint uns wie ein Tuch, unter dessen Schutz wir uns wohl fuhlen. Sie verbindet uns; sogar der geizige Tjaden schenkt mir eine Zigarette und gibt mir Feuer.
Wir stehen nebeneinander, dicht an dicht, sitzen kann niemand. Das sind wir auch nicht gewohnt. Muller ist endlich mal guter Laune; er tragt seine neuen Stiefel.
Die Motoren brummen an, die Wagen klappern und rasseln. Die Stra?en sind ausgefahren und voller Locher. Es darf kein Licht gemacht werden, deshalb rumpeln wir hinein, da? wir fast aus dem Wagen purzeln. Das beunruhigt uns nicht weiter. Was kann schon passieren; ein gebrochener Arm ist besser als ein Loch im Bauch, und mancher wunscht sich geradezu eine solch gute Gelegenheit, nach Hause zu kommen.
Neben uns fahren in langer Reihe die Munitionskolonnen. Sie haben es eilig, uberholen uns fortwahrend. Wir rufen ihnen Witze zu, und sie antworten.
Eine Mauer wird sichtbar, sie gehort zu einem Hause, das abseits der Stra?e liegt. Ich spitze plotzlich die Ohren. Tausche ich mich? Wieder hore ich deutlich Gansegeschnatter. Ein Blick zu Katczinsky – ein Blick von ihm zuruck; wir verstehen uns.
»Kat, ich hore da einen Kochgeschirraspiranten -«
Er nickt. »Wird gemacht, wenn wir zuruck sind. Ich wei? hier Bescheid.«
Naturlich wei? Kat Bescheid. Er kennt bestimmt jedes Gansebein in zwanzig Kilometer Umkreis. Die Wagen erreichen das Gebiet der Artillerie. Die Geschutzstande sind gegen Fliegersicht mit Buschen verkleidet, wie zu einer Art militarischem Laubhuttenfest. Diese Lauben sahen lustig und friedlich aus, wenn ihre Insassen keine Kanonen waren.
Die Luft wird diesig von Geschutzrauch und Nebel. Man schmeckt den Pulverqualm bitter auf der Zunge. Die Abschusse krachen, da? unser Wagen bebt, das Echo rollt tosend hinterher, alles schwankt. Unsere Gesichter verandern sich unmerklich. Wir brauchen zwar nicht, in die Graben, sondern nur zum Schanzen, aber in jedem Gesicht steht jetzt: hier ist die Front, wir sind in ihrem Bereich. Es ist das noch keine Angst. Wer so oft nach vorn gefahren ist wie wir, der wird dickfellig. Nur die jungen Rekruten sind aufgeregt. Kat belehrt sie:»Das war ein 30,5. Ihr hort es am Abschu?; – gleich kommt der Einschlag.«
Aber der dumpfe Hall der Einschlage dringt nicht heruber. Er ertrinkt im Gemurmel der Front. Kat horcht hinaus:»Die Nacht gibt es Kattun.« Wir horchen alle. Die Front ist unruhig. Kropp sagt:»Die Tommys schie?en schon.«
Die Abschusse sind deutlich zu horen. Es sind die englischen Batterien, rechts von unserm Abschnitt. Sie beginnen eine Stunde zu fruh. Bei uns fingen sie immer erst Punkt zehn Uhr an.
»Was fallt denn denen ein«, ruft Muller,»ihre Uhren gehen wohl vor.«
»Es gibt Kattun, sag ich euch, ich spure es in den Knochen.« Kat zieht die Schultern hoch.
Neben uns drohnen drei Abschusse. Der Feuerstrahl schie?t schrag in den Nebel, die Geschutze brummen und rumoren. Wir frosteln und sind froh, da? wir morgen fruh wieder in den Baracken sein werden.
Unsere Gesichter sind nicht blasser und nicht roter als sonst; sie sind auch nicht gespannter oder schlaffer, und doch sind sie anders. Wir fuhlen, da? in unserm Blut ein Kontakt angeknipst ist. Das sind keine Redensarten; es ist Tatsache. Die Front ist es, das Bewu?tsein der Front, das diesen Kontakt auslost. Im Augenblick, wo die ersten Granaten pfeifen, wo die Luft unter den Abschussen zerrei?t, ist plotzlich in unsern Adern, unsern Handen, unsern Augen ein geducktes Warten, ein Lauern, ein starkeres Wachsein, eine sonderbare Geschmeidigkeit der Sinne. Der Korper ist mit einem Schlage in voller Bereitschaft.
Oft ist es mir, als ware es die erschutterte, vibrierende Luft, die mit lautlosem Schwingen auf uns uberspringt; oder als ware es die Front selbst, von der eine Elektrizitat ausstrahlt, die unbekannte Nervenspitzen mobilisiert. Jedesmal ist es dasselbe: wir fahren ab und sind murrische oder gutgelaunte Soldaten; – dann kommen die ersten Geschutzstande, und jedes Wort unserer Gesprache hat einen veranderten Klang. – Wenn Kat vor den Baracken steht und sagt:»Es gibt Kattun -«, so ist das eben seine Meinung, fertig; – wenn er es aber hier sagt, so hat der Satz eine Scharfe wie ein Bajonett nachts im Mond, er schneidet glatt durch die Gedanken, er ist naher und spricht zu diesem Unbewu?ten, das in uns aufgewacht ist, mit einer dunklen Bedeutung,»es gibt Kattun«-. Vielleicht ist es unser innerstes und geheimstes Leben, das erzittert und sich zur Abwehr erhebt.
Fur mich ist die Front ein unheimlicher Strudel. Wenn man noch weit entfernt von seinem Zentrum im ruhigen Wasser ist, fuhlt man schon die Saugkraft, die einen an sich zieht, langsam, unentrinnbar, ohne viel Widerstand.
Aus der Erde, aus der Luft aber stromen uns Abwehrkrafte zu, – am meisten von der Erde. Fur niemand ist die Erde so viel wie fur den Soldaten. Wenn er sich an sie pre?t, lange, heftig, wenn er sich tief mit dem Gesicht und den Gliedern in sie hineinwuhlt in der Todesangst des Feuers, dann ist sie sein einziger Freund, sein Bruder, seine Mutter, er stohnt seine Furcht und seine Schreie in ihr Schweigen und ihre Geborgenheit, sie nimmt sie auf und entla?t ihn wieder zu neuen zehn Sekunden Lauf und Leben, fa?t ihn wieder, und manchmal fur immer.
Erde – Erde – Erde -!
Erde, mit deinen Bodenfalten und Lochern und Vertiefungen, in die man sich hineinwerfen, hineinkauern kann! Erde, du gabst uns im Krampf des Grauens, im Aufspritzen der Vernichtung, im Todesbrullen der Explosionen die ungeheure Widerwelle gewonnenen Lebens! Der irre Sturm fast zerfetzten Daseins flo? im Ruckstrom von dir durch unsre Hande, so da? wir die geretteten in dich gruben und im stummen Angstgluck der uberstandenen Minute mit unseren Lippen in dich hineinbissen! – Wir schnellen mit einem Ruck in einem Teil unseres Seins beim ersten Drohnen der Granaten um Tausende von Jahren zuruck. Es ist der Instinkt des Tieres, der in uns erwacht, der uns leitet und beschutzt. Er ist nicht bewu?t, er ist viel schneller, viel sicherer, viel unfehlbarer als das Bewu?tsein. Man kann es nicht erklaren. Man geht und denkt an nichts – plotzlich liegt man in einer Bodenmulde, und uber einen spritzen die Splitter hinweg; – aber man kann sich nicht entsinnen, die Granate kommen gehort oder den Gedanken gehabt zu haben, sich hinzulegen. Hatte man sich darauf verlassen sollen, man ware bereits ein Haufen verstreutes Fleisch. Es ist das andere gewesen, diese hellsichtige Witterung in uns, die uns niedergerissen und gerettet hat, ohne da? man wei?, wie. Wenn sie nicht ware, gabe es von Flandern bis zu den Vogesen schon langst keine Menschen mehr.
Wir fahren ab als murrische oder gutgelaunte Soldaten, – wir kommen in die Zone, wo die Front beginnt, und sind Menschentiere geworden.
Ein durftiger Wald nimmt uns auf. Wir passieren die Gulaschkanonen. Hinter dem Walde steigen wir ab. Die