ersticken – Graues Licht sickert zu uns herein. Wind fegt uber den Friedhof. Ich schiebe mich uber den Rand des Trichters. In der schmutzigen Dammerung liegt vor mir ein ausgerissenes Bein, der Stiefel ist vollkommen heil, ich sehe das alles ganz deutlich im Augenblick. Aber jetzt erhebt sich wenige Meter weiter jemand, ich putze die Fenster, sie beschlagen mir vor Aufregung sofort wieder, ich starre hinuber – der Mann dort tragt keine Gasmaske mehr.

Noch Sekunden warte ich – er bricht nicht zusammen, er blickt suchend umher und macht einige Schritte – der Wind hat das Gas zerstreut, die Luft ist frei – da zerre ich rochelnd ebenfalls die Maske weg und falle hin, wie kaltes Wasser stromt die Luft in mich hinein, die Augen wollen brechen, die Welle uberschwemmt mich und loscht mich dunkel aus.

* * *

Die Einschlage haben aufgehort. Ich drehe mich zum Trichter und winke den andern. Sie klettern herauf und rei?en sich die Masken herunter. Wir umfassen den Verwundeten, einer nimmt seinen geschienten Arm. So stolpern wir hastig davon.

Der Friedhof ist ein Trummerfeld. Sarge und Leichen liegen verstreut. Sie sind noch einmal getotet worden; aber jeder von ihnen, der zerfetzt wurde, hat einen von uns gerettet.

Der Zaun ist verwustet, die Schienen der Feldbahn druben sind aufgerissen, sie starren hochgebogen in die Luft. Vor uns liegt jemand. Wir halten an, nur Kropp geht mit dem Verwundeten weiter.

Der am Boden ist ein Rekrut. Seine Hufte ist blutverschmiert; er ist so erschopft, da? ich nach meiner Feldflasche greife, in der ich Rum mit Tee habe. Kat halt meine Hand zuruck und beugt sich uber ihn:»Wo hat’s dich erwischt, Kamerad?«

Er bewegt die Augen; er ist zu schwach zum Antworten.

Wir schneiden vorsichtig die Hose auf. Er stohnt. »Ruhig, ruhig, es wird ja besser -«

Wenn er einen Bauchschu? hat, darf er nichts trinken. Er hat nichts erbrochen, das ist gunstig. Wir legen die Hufte blo?. Sie ist ein einziger Fleischbrei mit Knochensplittern. Das Gelenk ist getroffen. Dieser Junge wird nie mehr gehen konnen.

Ich wische ihm mit dem befeuchteten Finger uber die Schlafe und gebe ihm einen Schluck. In seine Augen kommt Bewegung. Jetzt erst sehen wir, da? auch der rechte Arm blutet.

Kat zerfasert zwei Verbandspackchen so breit wie moglich, damit sie die Wunde decken. Ich suche nach Stoff, um ihn lose daruberzuwickeln. Wir haben nichts mehr, deshalb schlitze ich dem Verwundeten das Hosenbein weiter auf, um ein Stuck seiner Unterhose als Binde zu verwenden. Aber er tragt keine.

Ich sehe ihn genauer an: es ist der Flachskopf von vorhin.

Kat hat inzwischen aus den Taschen eines Toten noch Packchen geholt, die wir vorsichtig an die Wunde schieben. Ich sage dem Jungen, der uns unverwandt ansieht:»Wir holen jetzt eine Bahre.«

Da offnet er den Mund und flustert:»Hierbleiben -« Kat sagt:»Wir kommen ja gleich wieder. Wir holen fur dich eine Bahre.«

Man kann nicht erkennen, ob er verstanden hat; er wimmert wie ein Kind hinter uns her:»Nicht weggehen -« Kat sieht sich um und flustert:»Sollte man da nicht einfach einen Revolver nehmen, damit es aufhort?« Der Junge wird den Transport kaum uberstehen, und hochstens kann es noch einige Tage mit ihm dauern. Alles bisher aber wird nichts sein gegen diese Zeit, bis er stirbt. Jetzt ist er noch betaubt und fuhlt nichts. In einer Stunde wird er ein kreischendes Bundel unertraglicher Schmerzen werden. Die Tage, die er noch leben kann, bedeuten fur ihn eine einzige rasende Qual. Und wem nutzt es, ob er sie noch hat oder nicht – Ich nicke. »Ja, Kat, man sollte einen Revolver nehmen.«

»Gib her«, sagt er und bleibt stehen. Er ist entschlossen, ich sehe es. Wir blicken uns um, aber wir sind nicht mehr allein. Vor uns sammelt sich ein Hauflein, aus den Trichtern und Grabern kommen Kopfe.

Wir holen eine Bahre.

Kat schuttelt den Kopf. »So junge Kerle«- Er wiederholt es:»So junge, unschuldige Kerle -«

* * *

Unsere Verluste sind geringer, als anzunehmen war: funf Tote und acht Verwundete. Es war nur ein kurzer Feueruberfall. Zwei von unseren Toten liegen in einem der aufgerissenen Graber; wir brauchen sie blo? zuzubuddeln. Wir gehen zuruck. Schweigend trotten wir im Gansemarsch hintereinander her. Die Verwundeten werden zur Sanitatsstation gebracht. Der Morgen ist trube, die Krankenwarter laufen mit Nummern und Zetteln, die Verletzten wimmern. Es beginnt zu regnen. Nach einer Stunde haben wir unsere Wagen erreicht und klettern hinauf. Jetzt ist mehr Platz als vorher da. Der Regen wird starker. Wir breiten Zeltbahnen aus und legen sie auf unsere Kopfe. Das Wasser trommelt darauf nieder. An den Seiten flie?en die Regenstrahnen ab. Die Wagen platschen durch die Locher, und wir wiegen uns im Halbschlaf hin und her.

Zwei Mann vorn im Wagen haben lange gegabelte Stucke bei sich. Sie achten auf die Telefondrahte, die quer uber die Stra?e hangen, so tief, da? sie unsere Kopfe wegrei?en konnen. Die beiden Leute fangen sie mit ihren gegabelten Stocken auf und heben sie uber uns hinweg. Wir horen ihren Ruf:»Achtung – Draht«, und im Halbschlaf gehen wir in die Kniebeuge und richten uns wieder auf. Monoton pendeln die Wagen, monoton sind die Rufe, monoton rinnt der Regen. Er rinnt auf unsere Kopfe und auf die Kopfe der Toten vorn, auf den Korper des kleinen Rekruten mit der Wunde, die viel zu gro? fur seine Hufte ist, er rinnt auf das Grab Kemmerichs, er rinnt auf unsere Herzen.

Ein Einschlag hallt irgendwo. Wir zucken auf, die Augen sind gespannt, die Hande wieder bereit, um die Korper uber die Wande des Wagens in den Stra?engraben zu werfen.

Es kommt nichts weiter. – Monoton nur die Rufe:»Achtung

– Draht«- wir gehen in die Knie, wir sind wieder im Halbschlaf.

5.

Es ist beschwerlich, die einzelne Laus zu toten, wenn man Hunderte hat. Die Tiere sind etwas hart, und das ewige Knipsen mit den Fingernageln wird langweilig. Tjaden hat deshalb den Deckel einer Schuhputzschachtel mit Draht uber einem brennenden Kerzenstumpf befestigt. In diese kleine Pfanne werden die Lause einfach hineingeworfen – es knackt, und sie sind erledigt.

Wir sitzen rundherum, die Hemden auf den Knien, den Oberkorper nackt in der warmen Luft, die Hande bei der Arbeit. Haie hat eine besonders feine Art von Lausen: sie haben ein rotes Kreuz auf dem Kopf. Deshalb behauptet er, sie aus dem Lazarett in Thourhout mitgebracht zu haben, sie seien von einem Oberstabsarzt personlich. Er will auch das sich langsam in dem Blechdeckel ansammelnde Fett zum Stiefelschmieren benutzen und brullte eine halbe Stunde lang vor Lachen uber seinen Witz. Doch heute hat er wenig Erfolg; etwas anderes beschaftigt uns zu sehr.

Das Gerucht ist Wahrheit geworden. Himmelsto? ist da. Gestern ist er erschienen, wir haben seine wohlbekannte Stimme schon gehort. Er soll zu Hause ein paar junge Rekruten zu kraftig im Sturzacker gehabt haben. Ohne da? er es wu?te, war der Sohn des Regierungsprasidenten dabei. Das brach ihm das Genick.

Hier wird er sich wundern. Tjaden erortert seit Stunden alle Moglichkeiten, wie er ihm antworten will. Haie sieht nachdenklich seine gro?e Flosse an und kneift mir ein Auge. Die Prugelei war der Hohepunkt seines Daseins; er hat mir erzahlt, da? er noch manchmal davon traumt.

* * *

Kropp und Muller unterhalten sich. Kropp hat als einziger ein Kochgeschirr voll Linsen erbeutet, wahrscheinlich bei der Pionierkuche. Muller schielt gierig hin, beherrscht sich aber und fragt:»Albert, was wurdest du tun, wenn jetzt mit einemmal Frieden ware?«

»Frieden gibt’s nicht!« au?ert Albert kurz.

»Na, aber wenn -«, beharrt Muller,»was wurdest du machen?«

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