Kat ist besorgt. »Wenn er dich meldet, wird’s bose.«»Meinst du, da? er es tut?« fragt Tjaden. »Bestimmt«, sage ich.
»Das mindeste, was du kriegst, sind funf Tage Dicken«, erklart Kat.
Das erschuttert Tjaden nicht. »Funf Tage Kahn sind funf Tage Ruhe.«
»Und wenn du auf Festung kommst?« forscht der grundlichere Muller.
»Dann ist der Krieg fur mich so lange aus.«
Tjaden ist ein Sonntagskind. Fur ihn gibt es keine Sorgen. Mit Haie und Leer zieht er ab, damit man ihn nicht in der ersten Aufregung findet.
Muller ist noch immer nicht zu Ende. Er nimmt sich wieder Kropp vor. »Albert, wenn du nun tatsachlich nach Hause kamst, was wurdest du machen?«
Kropp ist jetzt satt und deshalb nachgiebiger. »Wieviel Mann waren wir dann eigentlich in der Klasse?« Wir rechnen: von zwanzig sind sieben tot, vier verwundet, einer in der Irrenanstalt. Es kamen hochstens also zwolf Mann zusammen.
»Drei sind davon Leutnants«, sagt Muller. »Glaubst du, da? sie sich von Kantorek anschnauzen lie?en?«
»Wir glauben es nicht; wir wurden uns auch nicht mehr anschnauzen lassen.«
»Was haltst du eigentlich von der dreifachen Handlung im Wilhelm Tell?« erinnert sich Kropp mit einem Male und brullt vor Lachen.
»Was waren die Ziele des Gottinger Hainbundes?« forscht auch Muller plotzlich sehr streng.
»Wieviel Kinder hatte Karl der Kuhne?« erwidere ich ruhig.
»Aus Ihnen wird im Leben nichts, Baumer«, quakt Muller.
»Wann war die Schlacht bei Zama?« will Kropp wissen.
»Ihnen fehlt der sittliche Ernst, Kropp, setzen Sie sich, drei minus -«, winke ich ab.
»Welche Aufgaben hielt Lykurgus fur die wichtigsten im Staate?« wispert Muller und scheint an einem Kneifer zu rucken.
»Hei?t es: Wir Deutsche furchten Gott, sonst niemand in der Welt, oder wir Deutsche…?« gebe ich zu bedenken.
»Wieviel Einwohner hat Melbourne?« zwitschert Muller zuruck.
»Wie wollen Sie blo? im Leben bestehen, wenn Sie das nicht wissen?« frage ich Albert emport.
»Was versteht man unter Kohasion?« trumpft der nun auf.
Von dem ganzen Kram wissen wir nicht mehr allzuviel. Er hat uns auch nichts genutzt. Aber niemand hat uns in der Schule beigebracht, wie man bei Regen und Sturm eine Zigarette anzundet, wie man ein Feuer aus nassem Holz machen kann – oder da? man ein Bajonett am besten in den Bauch sto?t, weil es da nicht festklemmt wie bei den Rippen.
Muller sagt nachdenklich:»Was nutzt es. Wir werden doch wieder auf die Schulbank mussen.«
Ich halte es fur ausgeschlossen. »Vielleicht machen wir ein Notexamen.«
»Dazu brauchst du Vorbereitung. Und wenn du es schon bestehst, was dann? Student sein ist nicht viel besser. Wenn du kein Geld hast, mu?t du auch buffeln.«
»Etwas besser ist es. Aber Quatsch bleibt es trotzdem, was sie dir da eintrichtern.«
Kropp trifft unsere Stimmung:»Wie kann man das ernst nehmen, wenn man hier drau?en gewesen ist.«
»Aber du mu?t doch einen Beruf haben«, wendet Muller ein, als ware er Kantorek in Person.
Albert reinigt sich die Nagel mit dem Messer. Wir sind erstaunt uber dieses Stutzertum. Aber es ist nur Nachdenklichkeit. Er schiebt das Messer weg und erklart:»Das ist es ja. Kat und Detering und Haie werden wieder in ihren Beruf gehen, weil sie ihn schon vorher gehabt haben. Himmelsto? auch. Wir haben keinen gehabt. Wie sollen wir uns da nach diesem hier«- er macht eine Bewegung zur Front -»an einen gewohnen?«
»Man mu?te Rentier sein und dann ganz allein in einem Walde wohnen konnen -«, sage ich, schame mich aber sofort uber diesen Gro?enwahn.
»Was soll das blo? werden, wenn wir zuruckkommen?« meint Muller, und selbst er ist betroffen.
Kropp zuckt die Achseln. »Ich wei? nicht. Erst mal da sein, dann wird sich’s ja zeigen.«
Wir sind eigentlich alle ratlos. »Was konnte man denn machen?« frage ich.
»Ich habe zu nichts Lust«, antwortet Kropp mude. »Eines Tages bist du doch tot, was hast du da schon? Ich glaube nicht, da? wir uberhaupt zuruckkommen.«
»Wenn ich daruber nachdenke, Albert«, sage ich nach einer Weile und walze mich auf den Rucken,»so mochte ich, wenn ich das Wort Friede hore, und es ware wirklich so, irgend etwas Unausdenkbares tun, so steigt es mir zu Kopf. Etwas, wei?t du, was wert ist, da? man hier im Schlamassel gelegen hat. Ich kann mir blo? nichts vorstellen. Was ich an Moglichem sehe, diesen ganzen Betrieb mit Beruf und Studium und Gehalt und so weiter – das kotzt mich an, denn das war ja immer schon da und ist widerlich. Ich finde nichts – ich finde nichts, Albert.«
Mit einemmal scheint mir alles aussichtslos und verzweifelt.
Kropp denkt ebenfalls daruber nach. »Es wird uberhaupt schwer werden mit uns allen. Ob die sich in der Heimat eigentlich nicht manchmal Sorgen machen deswegen? Zwei Jahre Schie?en und Handgranaten – das kann man doch nicht ausziehen wie einen Strumpf nachher.«
Wir stimmen darin uberein, da? es jedem ahnlich geht; nicht nur uns hier; uberall, jedem, der in der gleichen Lage ist, dem einen mehr, dem andern weniger. Es ist das gemeinsame Schicksal unserer Generation.
Albert spricht es aus. »Der Krieg hat uns fur alles verdorben.«
Er hat recht. Wir sind keine Jugend mehr. Wir wollen die Welt nicht mehr sturmen. Wir sind Fluchtende. Wir fluchten vor uns. Vor unserem Leben. Wir waren achtzehn Jahre und begannen die Welt und das Dasein zu lieben; wir mu?ten darauf schie?en. Die erste Granate, die einschlug, traf in unser Herz. Wir sind abgeschlossen vom Tatigen, vom Streben, vom Fortschritt. Wir glauben nicht mehr daran; wir glauben an den Krieg.
Die Schreibstube wird lebendig. Himmelsto? scheint sie alarmiert zu haben. An der Spitze der Kolonne trabt der dicke Feldwebel. Komisch, da? fast alle etatsma?igen Feldwebel dick sind.
Ihm folgt der rachedurstende Himmelsto?. Seine Stiefel glanzen in der Sonne.
Wir erheben uns. Der Spie? schnauft:»Wo ist Tjaden?«
Naturlich wei? es keiner. Himmelsto? glitzert uns bose an.
»Bestimmt wi?t ihr es. Wollt es blo? nicht sagen. Raus mit der Sprache.«
Der Spie? sieht sich suchend um; Tjaden ist nirgendwo zu erblicken. Er versucht es andersherum. »Ihn zehn Minuten soll Tjaden sich auf der Schreibstube melden.« Damit zieht er davon, Himmelsto? in seinem Kielwasser.
»Ich habe das Gefuhl, da? mir beim nachsten Schanzen eine Drahtrolle auf die Beine von Himmelsto? fallen wird«, vermutet Kropp.
»Wir werden an ihm noch viel Spa? haben«, lacht Muller. Das ist nun unser Ehrgeiz: einem Brieftrager die Meinung sto?en. – Ich gehe in die Baracke und sage Tjaden Bescheid, damit er verschwindet.
Dann wechseln wir unsern Platz und lagern uns wieder, um Karten zu spielen. Denn das konnen wir: Kartenspielen, fluchen und Krieg fuhren. Nicht viel fur zwanzig Jahre – zuviel fur zwanzig Jahre.
Nach einer halben Stunde ist Himmelsto? erneut bei uns.
Niemand beachtet ihn. Er fragt nach Tjaden. Wir zucken die Achseln.
»Ihr solltet ihn doch suchen«, beharrt er.
»Wieso ihr?« erkundigt sich Kropp.
»Na, ihr hier -«
»Ich mochte Sie bitten, uns nicht zu duzen«, sagt Kropp wie ein Oberst.
Himmelsto? fallt aus den Wolken. »Wer duzt euch denn?«
»Sie!«
»Ich?«
»Ja.«