Das Seitengewehr hat allerdings an Bedeutung verloren. Zum Sturmen ist es jetzt manchmal Mode, nur mit Handgranaten und Spaten vorzugehen. Der gescharfte Spaten ist eine leichtere und vielseitigere Waffe, man kann ihn nicht nur unter das Kinn sto?en, sondern vor allem damit schlagen, das hat gro?ere Wucht; besonders wenn man schrag zwischen Schulter und Hals trifft, spaltet man leicht bis zur Brust durch. Das Seitengewehr bleibt beim Stich oft stecken, man mu? dann erst dem andern kraftig gegen den Bauch treten, um es loszukriegen, und in der Zwischenzeit hat man selbst leicht eins weg. Dabei bricht es noch au?erdem manchmal ab.
Nachts wird Gas abgeblasen. Wir erwarten den Angriff und liegen mit den Masken fertig, bereit, sie abzurei?en, sowie der erste Schatten auftaucht.
Der Morgen graut, ohne da? etwas erfolgt. Nur immer dieses nervenzerreibende Rollen druben, Zuge, Zuge, Lastwagen, Lastwagen, was konzentriert sich da nur? Unsere Artillerie funkt standig hinuber, aber es hort nicht auf, es hort nicht auf. – Wir haben mude Gesichter und sehen aneinander vorbei.
»Es wird wie an der Somme, da hatten wir nachher sieben Tage und Nachte Trommelfeuer«, sagt Kat duster. Er hat gar keinen Witz mehr, seit wir hier sind, und das ist schlimm, denn Kat ist ein altes Frontschwein, das Witterung besitzt. Nur Tjaden freut sich der guten Portionen und des Rums; er meint sogar, wir wurden genauso in Ruhe zuruckkehren, es wurde gar nichts passieren. Fast scheint es so. Ein Tag nach dem andern geht voruber. Ich sitze nachts im Loch auf Horchposten. Uber mir steigen die Raketen und Leuchtschirme auf und nieder. Ich bin vorsichtig und gespannt, mein Herz klopft. Immer wieder liegt mein Auge auf der Uhr mit dem Leuchtzifferblatt; der Zeiger will nicht weiter. Der Schlaf hangt in meinen Augenlidern, ich bewege die Zehen in den Stiefeln, um wachzubleiben. Nichts geschieht, bis ich abgelost werde; – nur immer das Rollen druben. Wir werden allmahlich ruhig und spielen standig Skat und Mauscheln. Vielleicht haben wir Gluck.
Der Himmel hangt tagsuber voll Fesselballons. Es hei?t, da? von druben jetzt auch hier Tanks eingesetzt werden sollen und Infanterieflieger beim Angriff. Das interessiert uns aber weniger als das, was von den neuen Flammenwerfern erzahlt wird.
Mitten in der Nacht erwachen wir. Die Erde drohnt. Schweres Feuer liegt uber uns. Wir drucken uns in die Ecken. Geschosse aller Kaliber konnen wir unterscheiden. Jeder greift nach seinen Sachen und vergewissert sich alle Augenblicke von neuem, da? sie da sind. Der Unterstand bebt, die Nacht ist ein Brullen und Blitzen. Wir sehen uns bei dem sekundenlangen Licht an und schutteln mit bleichen Gesichtern und gepre?ten Lippen die Kopfe. Jeder fuhlt es mit, wie die schweren Geschosse die Grabenbrustung wegrei?en, wie sie die Boschung durchwuhlen und die obersten Betonklotze zerfetzen. Wir merken den dumpferen, rasenderen Schlag, der dem Prankenhieb eines fauchenden Raubtiers gleicht, wenn der Schu? im Graben sitzt. Morgens sind einige Rekruten bereits grun und kotzen. Sie sind noch zu unerfahren.
Langsam rieselt widerlich graues Licht in den Stollen und macht das Blitzen der Einschlage fahler. Der Morgen ist da. Jetzt mischen sich explodierende Minen in das Artilleriefeuer. Es ist das Wahnsinnigste an Erschutterung, was es gibt. Wo sie niederfegen, ist ein Massengrab.
Die Ablosungen gehen hinaus, die Beobachter taumeln herein, mit Schmutz beworfen, zitternd. Einer legt sich schweigend in die Ecke und i?t, der andere, ein Ersatzreservist, schluchzt; er ist zweimal uber die Brustwehr geflogen durch den Luftdruck der Explosion, ohne sich etwas anderes zu holen als einen Nervenschock.
Die Rekruten sehen zu ihm hin. So etwas steckt rasch an, wir mussen aufpassen, schon fangen verschiedene Lippen an zu flattern. Gut ist, da? es Tag wird; vielleicht erfolgt der Angriff vormittags.
Das Feuer schwacht nicht ab. Es liegt auch hinter uns. So weit man sehen kann, spritzen Dreck- und Eisenfontanen. Ein sehr breiter Gurtel wird bestrichen. Der Angriff erfolgt nicht, aber die Einschlage dauern an. Wir werden langsam taub. Es spricht kaum noch jemand.
Man kann sich auch nicht verstehen.
Unser Graben ist fast fort. An vielen Stellen reicht er nur noch einen halben Meter hoch, er ist durchbrochen von Lochern, Trichtern und Erdbergen. Direkt vor unserm Stollen platzt eine Granate. Sofort ist es dunkel. Wir sind zugeschuttet und mussen uns ausgraben. Nach einer Stunde ist der Eingang wieder frei, und wir sind etwas gefa?ter, weil wir Arbeit hatten.
Unser Kompaniefuhrer klettert herein und berichtet, da? zwei Unterstande weg sind. Die Rekruten beruhigen sich, als sie ihn sehen. Er sagt, da? heute abend versucht werden soll, Essen heranzubringen.
Das klingt trostlich. Keiner hat daran gedacht, au?er Tjaden. Nun ruckt etwas wieder von drau?en naher; – wenn Essen geholt werden soll, kann es ja nicht so schlimm sein, denken die Rekruten. Wir storen sie nicht, wir wissen, da? Essen ebenso wichtig wie Munition ist und nur deshalb herangeschafft werden mu?.
Aber es mi?lingt. Eine zweite Staffel geht los. Auch sie kehrt um. Schlie?lich ist Kat dabei, und selbst er erscheint unverrichtetersache wieder. Niemand kommt durch, kein Hundeschwanz ist schmal genug fur dieses Feuer.
Wir ziehen unsere Schmachtriemen enger und kauen jeden Happen dreimal so lange. Doch es reicht trotzdem nicht aus; wir haben verfluchten Kohldampf. Ich bewahre mir eine Kante auf; das Weiche esse ich heraus, die Kante bleibt im Brotbeutel; ab und zu knabbere ich mal daran.
Die Nacht ist unertraglich. Wir konnen nicht schlafen, wir stieren vor uns hin und duseln. Tjaden bedauert, da? wir unsere angefressenen Brotstucke fur die Ratten vergeudet haben. Wir hatten sie ruhig aufheben sollen. Jeder wurde sie jetzt essen. Wasser fehlt uns auch, aber noch nicht so sehr.
Gegen Morgen, als es noch dunkel ist, entsteht Aufregung.
Durch den Eingang sturzt ein Schwarm fluchtender Ratten und jagt die Wande hinauf. Die Taschenlampen beleuchten die Verwirrung. Alle schreien und fluchen und schlagen zu. Es ist der Ausbruch der Wut und der Verzweiflung vieler Stunden, der sich entladt. Die Gesichter sind verzerrt, die Arme schlagen, die Tiere quietschen, es fallt schwer, da? wir aufhoren, fast hatte einer den anderen angefallen. Der Ausbruch hat uns erschopft. Wir liegen und warten wieder. Es ist ein Wunder, da? unser Unterstand noch keine Verluste hat. Er ist einer der wenigen tiefen Stollen, die es jetzt noch gibt.
Ein Unteroffizier kriecht herein; der hat ein Brot bei sich. Drei Leuten ist es doch gegluckt, nachts durchzukommen und etwas Proviant zu holen. Sie haben erzahlt, da? das Feuer in unverminderter Starke bis zu den Artilleriestanden lage. Es sei ein Ratsel, wo die druben so viele Geschutze hernahmen.
Wir mussen warten, warten. Mittags passiert das, womit ich schon rechnete. Einer der Rekruten hat einen Anfall. Ich habe ihn schon lange beobachtet, wie er ruhelos die Zahne bewegte und die Fauste ballte und schlo?. Diese gehetzten, herausspringenden Augen kennen wir zur Genuge. In den letzten Stunden ist er nur scheinbar stiller geworden. Er ist in sich zusammengesunken wie ein morscher Baum.
Jetzt steht er auf, unauffallig kriecht er durch den Raum, verweilt einen Augenblick und rutscht dann dem Ausgang zu. Ich lege mich herum und frage:»Wo willst du hin?«
»Ich bin gleich wieder da«, sagt er und will an mir vorbei.
»Warte doch noch, das Feuer la?t schon nach.«
Er horcht auf, und das Auge wird einen Moment klar. Dann hat es wieder den truben Glanz wie bei einem tollwutigen Hund, er schweigt und drangt mich fort. »Eine Minute, Kamerad!« rufe ich. Kat wird aufmerksam. Gerade als der Rekrut mich fortsto?t, packt er zu, und wir halten ihn fest.
Sofort beginnt er zu toben:»La?t mich los, la?t mich ‘raus, ich will hier ‘raus!«
Er hort auf nichts und schlagt um sich, der Mund ist na? und spruht Worte, halbverschluckte, sinnlose Worte. Es ist ein Anfall von Unterstandsangst, er hat das Gefuhl, hier zu ersticken, und kennt nur den einen Trieb: hinauszugelangen. Wenn man ihn laufen lie?e, wurde er ohne Deckung irgendwohin rennen. Er ist nicht der erste.
Da er sehr wild ist und die Augen sich schon verdrehen, so hilft es nichts, wir mussen ihn verprugeln, damit er vernunftig wird. Wir tun es schnell und erbarmungslos und erreichen, da? er vorlaufig wieder ruhig sitzt. Die andern sind bleich bei der Geschichte geworden; hoffentlich schreckt es sie ab. Dieses Trommelfeuer ist zuviel fur die armen Kerle; sie sind vom Feldrekrutendepot gleich in einen Schlamassel geraten, der selbst einem alten Mann graue Haare machen konnte.
Die stickige Luft fallt uns nach diesem Vorgang noch mehr auf die Nerven. Wir sitzen wie in unserm Grabe und