Es arbeitet in ihm. Er schielt Kropp mi?trauisch an, weil er keine Ahnung hat, was der meint. Immerhin traut er sich in diesem Punkte nicht ganz und kommt uns entgegen. »Habt ihr ihn nicht gefunden?«
Kropp legt sich ins Gras und sagt:»Waren Sie schon mal hier drau?en?«
»Das geht Sie gar nichts an«, bestimmt Himmelsto?. »Ich verlange Antwort.«
»Gemacht«, erwidert Kropp und erhebt sich. »Sehen Sie mal dorthin, wo die kleinen Wolkchen stehen. Das sind die Geschosse der Flaks. Da waren wir gestern. Funf Tote, acht Verwundete. Dabei war es eigentlich ein Spa?. Wenn Sie nachstens mit ‘rausgehen, werden die Mannschaften, bevor sie sterben, erst vor Sie hintreten, die Knochen zusammenrei?en und zackig fragen: Bitte wegtreten zu durfen! Bitte abkratzen zu durfen! Auf Leute wie Sie haben wir hier gerade gewartet.«
Er setzt sich wieder, und Himmelsto? verschwindet wie ein Komet.
»Drei Tage Arrest«, vermutet Kat.
»Das nachstemal lege ich los«, sage ich zu Albert.
Aber es ist Schlu?. Dafur findet abends beim Appell eine Vernehmung statt. In der Schreibstube sitzt unser Leutnant Bertinck und la?t einen nach dem andern rufen.
Ich mu? ebenfalls als Zeuge erscheinen und klare auf, weshalb Tjaden rebelliert hat. Die Bettnassergeschichte macht Eindruck. Himmelsto? wird herangeholt und ich wiederhole meine Aussagen. »Stimmt das?« fragt Bertinck Himmelsto?.
Der windet sich und mu? es schlie?lich zugeben, als Kropp die gleichen Angaben macht.
»Weshalb hat denn niemand das damals gemeldet?« fragt Bertinck.
Wir schweigen; er mu? doch selbst wissen, was eine Beschwerde uber solche Kleinigkeiten beim Kommi? fur Zweck hat. Gibt es beim Kommi? uberhaupt Beschwerden? Er sieht es wohl ein und kanzelt Himmelsto? zunachst ab, indem er ihm noch einmal energisch klarmacht, da? die Front kein Kasernenhof sei. Dann kommt in verstarktem Ma?e Tjaden an die Reihe, der eine ausgewachsene Predigt und drei Tage Mittelarrest erhalt. Kropp diktiert er mit einem Augenzwinkern einen Tag Arrest.
»Geht nicht anders«, sagt er bedauernd zu ihm. Er ist ein vernunftiger Kerl.
Mittelarrest ist angenehm. Das Arrestlokal ist ein fruherer Huhnerstall; da konnen beide Besuch empfangen, wir verstehen uns schon darauf, hinzukommen. Dicker Arrest ware Keller gewesen. Fruher wurden wir auch an einen Baum gebunden, doch das ist jetzt verboten. Manchmal werden wir schon wie Menschen behandelt. Eine Stunde nachdem Tjaden und Kropp hinter ihren Drahtgittern sitzen, brechen wir zu ihnen auf. Tjaden begru?t uns krahend. Dann spielen wir bis in die Nacht Skat. Tjaden gewinnt naturlich, das dumme Luder.
Beim Aufbrechen fragt Kat mich:»Was meinst du zu Gansebraten?«
»Nicht schlecht«, finde ich.
Wir klettern auf eine Munitionskolonne. Die Fahrt kostet zwei Zigaretten. Kat hat sich den Ort genau gemerkt. Der Stall gehort einem Regimentsstab. Ich beschlie?e, die Gans zu holen, und lasse mir Instruktionen geben. Der Stall ist hinter der Mauer, nur mit einem Pflock verschlossen. Kat halt mir die Hande hin, ich stemme den Fu? hinein und klettere uber die Mauer. Kat steht unterdessen Schmiere.
Einige Minuten bleibe ich stehen, um die Augen an die Dunkelheit zu gewohnen. Dann erkenne ich den Stall. Leise schleiche ich mich heran, taste den Pflock ab, ziehe ihn weg und offne die Tur.
Ich unterscheide zwei wei?e Flecke. Zwei Ganse, das ist faul: fa?t man die eine, so schreit die andere. Also beide – wenn ich schnell bin, klappt es.
Mit einem Satz springe ich zu. Eine erwische ich sofort, einen Moment spater die zweite. Wie verruckt haue ich die Kopfe gegen die Wand, um sie zu betauben. Aber ich mu? wohl nicht genugend Wucht haben. Die Biester rauspern sich und schlagen mit Fu?en und Flugeln um sich. Ich kampfe erbittert, aber, Donnerwetter, was hat so eine Gans fur Kraft! Sie zerren, da? ich hin und her taumele. Im Dunkel sind diese wei?en Lappen scheu?lich, meine Arme haben Flugel gekriegt, beinahe habe ich Angst, da? ich mich zum Himmel erhebe, als hatte ich ein paar Fesselballons in den Pfoten.
Da geht auch schon der Larm los; einer der Halse hat Luft geschnappt und schnarrt wie eine Weckuhr. Ehe ich mich versehe, tappt es drau?en heran, ich bekomme einen Sto?, liege am Boden und hore wutendes Knurren. Ein Hund.
Ich blicke zur Seite; da schnappt er schon nach meinem Halse. Sofort liege ich still und ziehe vor allem das Kinn an den Kragen.
Es ist eine Dogge. Nach einer Ewigkeit nimmt sie den Kopf zuruck und setzt sich neben mich. Doch wenn ich versuche, mich zu bewegen, knurrt sie. Ich uberlege. Das einzige, was ich tun kann, ist, da? ich meinen kleinen Revolver zu fassen kriege. Fort mu? ich hier auf jeden Fall, ehe Leute kommen. Zentimeterweise schiebe ich die Hand heran. Ich habe das Gefuhl, da? es Stunden dauert. Immer eine leise Bewegung und ein gefahrliches Knurren; Stilliegen und erneuter Versuch. Als ich den Revolver in der Hand habe, fangt sie an zu zittern. Ich drucke sie auf den Boden und mache mir klar: Revolver hochrei?en, schie?en, ehe er zufassen kann, und turmen.
Langsam hole ich Atem und werde ruhiger. Dann halte ich ‘ die Luft an, zucke den Revolver hoch, es knallt, die Dogge spritzt jaulend zur Seite, ich gewinne die Tur des Stalles und purzele uber eine der gefluchteten Ganse. Im Galopp greife ich schnell noch zu, schmei?e sie mit einem Schwung uber die Mauer und klettere selbst hoch. Ich bin noch nicht hinuber, da ist die Dogge auch schon wieder munter und springt nach mir. Rasch lasse ich mich fallen. Zehn Schritt vor mir steht Kat, die Gans im Arm. Sowie er mich sieht, laufen wir.
Endlich konnen wir verschnaufen. Die Gans ist tot, Kat hat das in einem Moment erledigt. Wir wollen sie gleich braten, damit keiner etwas merkt. Ich hole Topfe und Holz aus der Baracke, und wir kriechen in einen kleinen verlassenen Schuppen, den wir fur solche Zwecke kennen. Die einzige Fensterluke wird dicht verhangt. Eine Art Herd ist vorhanden, auf Backsteinen liegt eine eiserne Platte. Wir zunden ein Feuer an.
Kat rupft die Gans und bereitet sie zu. Die Federn legen wir sorgfaltig beiseite. Wir wollen uns zwei kleine Kissen daraus machen mit der Aufschrift:»Ruhe sanft im Trommelfeuer!«
Das Artilleriefeuer der Front umsummt unsern Zufluchtsort. Lichtschein flackert uber unsere Gesichter, Schatten tanzen auf der Wand. Manchmal ein dumpfer Krach, dann zittert der Schuppen. Fliegerbomben. Einmal horen wir gedampfte Schreie. Eine Baracke mu? getroffen sein. Flugzeuge surren; das Tacktack von Maschinengewehren wird laut. Aber von uns dringt kein Licht hinaus, das zu sehen ware.
So sitzen wir uns gegenuber, Kat und ich, zwei Soldaten in abgeschabten Rocken, die eine Gans braten, mitten in der Nacht. Wir reden nicht viel, aber wir sind voll zarterer Rucksicht miteinander, als ich mir denke, da? Liebende es sein konnen. Wir sind zwei Menschen, zwei winzige Funken Leben, drau?en ist die Nacht und der Kreis des Todes. Wir sitzen an ihrem Rande, gefahrdet und geborgen, uber unsere Hande trieft Fett, wir sind uns nahe mit unseren Herzen, und die Stunde ist wie der Raum: uberflackert von einem sanften Feuer, gehen die Lichter und Schatten der Empfindungen hin und her. Was wei? er von mir – was wei? ich von ihm, fruher ware keiner unserer Gedanken ahnlich gewesen – jetzt sitzen wir vor einer Gans und fuhlen unser Dasein und sind uns so nahe, da? wir nicht daruber sprechen mogen.
Es dauert lange, eine Gans zu braten, auch wenn sie jung und fett ist. Wir wechseln uns deshalb ab. Einer begie?t sie, wahrend der andere unterdessen schlaft. Ein herrlicher Duft verbreitet sich allmahlich.
Die Gerausche von drau?en werden zu einem Band, zu einem Traum, der aber die Erinnerung nicht ganz verliert. Ich sehe im Halbschlaf Kat den Loffel heben und senken, ich liebe ihn, seine Schultern, seine eckige, gebeugte Gestalt – und zu gleicher Zeit sehe ich hinter ihm Walder und Sterne, und eine gute Stimme sagt Worte, die mir Ruhe geben, mir, einem Soldaten, der mit seinen gro?en Stiefeln und seinem Koppel und seinem Brotbeutel klein unter dem hohen Himmel den Weg geht, der vor ihm liegt, der rasch vergi?t und nur selten noch traurig ist, der immer weitergeht unter dem gro?en Nachthimmel. Ein kleiner Soldat und eine gute Stimme, und wenn man ihn streicheln wurde, konnte er es vielleicht nicht mehr verstehen, der Soldat mit den gro?en Stiefeln und dem zugeschutteten Herzen, der marschiert, weil er Stiefel tragt, und alles vergessen hat au?er dem Marschieren. Sind am Horizont nicht Blumen und eine Landschaft, die so still ist, da? er weinen mochte, der Soldat? Stehen dort nicht Bilder, die er nicht verloren hat, weil er sie nie besessen hat, verwirrend, aber dennoch fur ihn voruber? Stehen dort nicht seine zwanzig Jahre?
Ist mein Gesicht na?, und wo bin ich? Kat steht vor mir, sein riesiger gebuckter Schatten fallt uber mich wie eine Heimat. Er spricht leise, er lachelt und geht zum Feuer zuruck.
Dann sagt er:»Es ist fertig.«