»Ja, Kat.«
Ich schuttele mich. In der Mitte des Raumes leuchtet der braune Braten. Wir holen unsere zusammenklappbaren Gabeln und unsere Taschenmesser heraus und schneiden uns jeder eine Keule ab. Dazu essen wir Kommi?brot, das wir in die So?e tunken. Wir essen langsam, mit vollem Genu?.
»Schmeckt es, Kat?«
»Gut! Dir auch?«
»Gut, Kat.«
Wir sind Bruder und schieben uns gegenseitig die besten Stucke zu. Hinterher rauche ich eine Zigarette, Kat eine Zigarre. Es ist noch viel ubriggeblieben.
»Wie ware es, Kat, wenn wir Kropp und Tjaden ein Stuck brachten?«
»Gemacht«, sagt er. Wir schneiden eine Portion ab und wickeln sie sorgfaltig in Zeitungspapier. Den Rest wollen wir eigentlich in unsere Baracke tragen, aber Kat lacht und sagt nur:»Tjaden.«
Ich sehe es ein, wir mussen alles mitnehmen. So machen wir uns auf den Weg zum Huhnerstall, um die beiden zu wecken. Vorher packen wir noch die Federn weg. Kropp und Tjaden halten uns fur eine Fata Morgana. Dann knirschen ihre Gebisse. Tjaden hat einen Flugel mit beiden Handen wie eine Mundharmonika im Munde und kaut. Er sauft das Fett aus dem Topf und schmatzt:»Das vergesse ich euch nie!«
Wir gehen zu unserer Baracke. Da ist der hohe Himmel wieder mit den Sternen und der beginnenden Dammerung, und ich gehe darunter hin, ein Soldat mit gro?en Stiefeln und vollem Magen, ein kleiner Soldat in der Fruhe – aber neben mir, gebeugt und eckig, geht Kat, mein Kamerad.
Die Umrisse der Baracke kommen in der Dammerung auf uns zu wie ein schwarzer, guter Schlaf.
6.
Es wird von einer Offensive gemunkelt. Wir gehen zwei Tage fruher als sonst an die Front. Auf dem Wege passieren wir eine zerschossene Schule. An ihrer Langsseite aufgestapelt steht eine doppelte, hohe Mauer von ganz neuen, hellen, unpolierten Sargen. Sie riechen noch nach Harz und Kiefern und Wald. Es sind mindestens hundert.
»Da ist ja gut vorgesorgt zur Offensive«, sagt Muller erstaunt.
»Die sind fur uns«, knurrt Detering.
»Quatsch nicht!« fahrt Kat ihn an.
»Sei froh, wenn du noch einen Sarg kriegst«, grinst Tjaden,»dir verpassen sie doch nur eine Zeltbahn fur deine Schie?budenfigur, pa? auf!«
Auch die andern machen Witze, unbehagliche Witze, was tollen wir sonst tun. – Die Sarge sind ja tatsachlich fur uns. In solchen Dingen klappt die Organisation.
Uberall vorn brodelt es. In der ersten Nacht versuchen wir um uns zu orientieren. Da es ziemlich still ist, konnen wir horen, wie die Transporte hinter der gegnerischen Front rollen, unausgesetzt, bis in die Dammerung hinein. Kat sagt, da? sie nicht abrollen, sondern Truppen bringen, Truppen, Munition, Geschutze.
Die englische Artillerie ist verstarkt, das horen wir sofort. Es stehen rechts von der Ferme mindestens vier Batterien 20,5 mehr, und hinter dem Pappelstumpf sind Minenwerfer eingebaut. Au?erdem ist eine Anzahl dieser kleinen franzosischen Biester mit Aufschlagzundern hinzugekommen. Wir sind in gedruckter Stimmung. Zwei Stunden nachdem wir in den Unterstanden stecken, schie?t uns die eigene Artillerie in den Graben. Es ist das drittemal in vier Wochen.
Wenn es noch Zielfehler waren, wurde keiner was sagen, aber es liegt daran, da? die Rohre zu ausgeleiert sind; sie streuen bis in unsern Abschnitt, so unsicher werden die Schusse oft. In dieser Nacht haben wir dadurch zwei Verwundete.
Die Front ist ein Kafig, in dem man nervos warten mu? auf das, was geschehen wird. Wir liegen unter dem Gitter der Granatenbogen und leben in der Spannung des Ungewissen.Uber uns schwebt der Zufall. Wenn ein Gescho? kommt, kann ich mich ducken, das ist alles; wohin es schlagt, kann ich weder genau wissen noch beeinflussen. Dieser Zufall ist es, der uns gleichgultig macht. Ich sa? vor einigen Monaten in einem Unterstand und spielte Skat; nach einer Weile stand ich auf und ging, Bekannte in einem andern Unterstand zu besuchen. Als ich zuruckkam, war von dem ersten nichts mehr zu sehen, er war von einem schweren Treffer zerstampft. Ich ging zum zweiten zuruck und kam gerade rechtzeitig, um zu helfen, ihn aufzugraben. Er war inzwischen verschuttet worden.
Ebenso zufallig, wie ich getroffen werde, bleibe ich am Leben. Im bombensicheren Unterstand kann ich zerquetscht werden, und auf freiem Felde zehn Stunden Trommelfeuer unverletzt uberstehen. Jeder Soldat bleibt nur durch tausend Zufalle am Leben. Und jeder Soldat glaubt und vertraut dem Zufall.
Wir mussen auf unser Brot achtgeben. Die Ratten haben sich sehr vermehrt in der letzten Zeit, seit die Graben nicht mehr recht in Ordnung sind. Detering behauptet, es ware das sicherste Vorzeichen fur dicke Luft.
Die Ratten hier sind besonders widerwartig, weil sie so gro? sind. Es ist die Art, die man Leichenratten nennt. Sie haben scheu?liche, bosartige, nackte Gesichter, und es kann einem ubel werden, wenn man ihre langen, kahlen Schwanze sieht.
Sie scheinen recht hungrig zu sein. Bei fast allen haben sie das Brot angefressen. Kropp hat es unter seinem Kopf fest in die Zeltbahn gewickelt, doch er kann nicht schlafen, weil sie ihm uber das Gesicht laufen, um heranzugelangen. Detering wollte schlau sein; er hatte an der Decke einen dunnen Draht befestigt und sein Brot darangehangt. Als er nachts seine Taschenlampe anknipst, sieht er den Draht hin und her schwanken. Auf dem Brot reitet eine fette Ratte. Schlie?lich machen wir ein Ende. Die Stucke Brot, die von den Tieren benagt sind, schneiden wir sorgfaltig aus; wegwerfen konnen wir das Brot ja auf keinen Fall, weil wir morgen sonst nichts zu essen haben.
Die abgeschnittenen Scheiben legen wir in der Mitte auf dem Boden zusammen. Jeder nimmt seinen Spaten heraus und legt sich schlagbereit hin. Detering, Kropp und Kat halten ihre Taschenlampen bereit.
Nach wenigen Minuten horen wir das erste Schlurfen und Zerren. Es verstarkt sich, nun sind es viele kleine Fu?e. Da blitzen die Taschenlampen auf, und alles schlagt auf den schwarzen Haufen ein, der auseinanderzischt. Der Erfolg ist gut. Wir schaufeln die Rattenteile uber den Grabenrand und legen uns wieder auf die Lauer. Noch einige Male gelingt uns der Schlag. Dann haben die Tiere etwas gemerkt oder das Blut gerochen. Sie kommen nicht mehr. Trotzdem ist der Brotrest auf dem Boden am nachsten Tage von ihnen weggeholt. Im benachbarten Abschnitt haben sie zwei gro?e Katzen und einen Hund uberfallen, totgebissen und angefressen.
Am nachsten Tage gibt es Edamer Kase. Jeder erhalt fast einen Viertelkase. Das ist teilweise gut, denn Edamer schmeckt
– und es ist teilweise faul, denn fur uns waren die dicken roten Balle bislang immer ein Anzeichen fur schweren Schlamassel. Unsere Ahnung steigert sich, als noch Schnaps ausgeteilt wird. Vorlaufig trinken wir ihn; aber uns ist nicht wohl zumute dabei. Tagsuber machen wir Wettschie?en auf Ratten und lungern umher. Die Patronen und Handgranatenvorrate werden reichlicher. Die Bajonette revidieren wir selbst. Es gibt namlich welche, die gleichzeitig auf der stumpfen Seite als Sage eingerichtet sind. Wenn die druben jemand damit erwischen, wird er rettungslos abgemurkst. Im Nachbarabschnitt sind Leute von uns wiedergefunden worden, denen mit diesen Sageseitengewehren die Nasen abgeschnitten und die Augen ausgestochen waren. Dann hatte man ihnen den Mund und Nase mit Sagespanen gefullt und sie so erstickt.
Einige Rekruten haben noch Seitengewehre ahnlicher Art; wir schaffen sie weg und besorgen ihnen andere.