Immerhin haben die paar Sekunden fur funf Bauchschusse bei uns ausgereicht. Kat schlagt einem der unverwundet gebliebenen Maschinengewehrschutzen mit dem Kolben das Gesicht zu Brei. Die andern erstechen wir, ehe sie ihre Handgranaten heraus haben. Dann saufen wir durstig das Kuhlwasser aus.

Uberall knacken Drahtzangen, poltern Bretter uber die Verhaue, springen wir durch die schmalen Zugange in die Graben. Haie sto?t einem riesigen Franzosen seinen Spaten in den Hals und wirft die erste Handgranate; wir ducken uns einige Sekunden hinter einer Brustwehr, dann ist das gerade Stuck des Grabens vor uns leer. Schrag uber die Ecke zischt der nachste Wurf und schafft freie Bahn, im Vorbeilaufen fliegen geballte Ladungen in die Unterstande, die Erde ruckt, es kracht, dampft und stohnt, wir stolpern uber glitschige Fleischfetzen, uber weiche Korper, ich falle in einen zerrissenen Bauch, auf dem ein neues, sauberes Offizierskappi liegt.

Das Gefecht stockt. Die Verbindung mit dem Feinde rei?t ab. Da wir uns hier nicht lange halten konnen, werden wir unter dem Schutze unserer Artillerie zuruckgenommen auf unsere Stellung. Kaum wissen wir es, als wir in gro?ter Eile noch in die nachsten Unterstande sturzen, um von Konserven an uns zu rei?en, was wir gerade sehen, vor allem die Buchsen mit Corned beef und Butter, ehe wir turmen. Wir kommen gut zuruck. Es erfolgt vorlaufig kein weiterer Angriff von druben.Uber eine Stunde liegen wir, keuchen und ruhen uns aus, ehe jemand spricht. Wir sind so vollig ausgepumpt, da? wir trotz unseres starken Hungers nicht an die Konserven denken. Erst allmahlich werden wir wieder so etwas wie Menschen.

Das Corned beef von druben ist an der ganzen Front beruhmt. Es ist mitunter sogar der Hauptgrund zu einem uberraschenden Vorsto? von unserer Seite, denn unsere Ernahrung ist im allgemeinen schlecht; wir haben standig Hunger.

Insgesamt haben wir funf Buchsen geschnappt. Die Leute druben werden ja verpflegt, das ist eine Pracht gegen uns Hungerleider mit unserer Rubenmarmelade, das Fleisch steht da nur so herum, man braucht blo? danach zu greifen. Haie hat au?erdem ein dunnes franzosisches Wei?brot erwischt und hinter sein Koppel geschoben wie einen Spaten. An einer Ecke ist es ein bi?chen blutig, doch das la?t sich abschneiden.

Es ist ein Gluck, da? wir jetzt gut zu essen haben; wir werden unsere Krafte noch brauchen. Sattessen ist ebenso wertvoll wie ein guter Unterstand; deshalb sind wir so gierig danach, denn es kann uns das Leben retten.

Tjaden hat noch zwei Feldflaschen Kognak erbeutet. Wir lassen sie reihum gehen.

* * *

Der Abendsegen beginnt. Die Nacht kommt, aus den Trichtern steigen Nebel. Es sieht aus, als waren die Locher von gespenstigen Geheimnissen erfullt. Der wei?e Dunst kriecht angstvoll umher, ehe er wagt, uber den Rand hinwegzugleiten. Dann ziehen lange Streifen von Trichter zu Trichter.

Es ist kuhl. Ich bin auf Posten und starre in die Dunkelheit. Mir ist schwach zumute, wie immer nach einem Angriff, und deshalb wird es mir schwer, mit meinen Gedanken allein zu sein. Es sind keine eigentlichen Gedanken; es sind Erinnerungen, die mich in meiner Schwache jetzt heimsuchen und mich sonderbar stimmen.

Die Leuchtschirme gehen hoch – und ich sehe ein Bild, einen Sommerabend, wo ich im Kreuzgang des Domes bin und auf hohe Rosenbusche schaue, die in der Mitte des kleinen Kreuzgartens bluhen, in dem die Domherren begraben werden. Rundum stehen die Steinbilder der Stationen des Rosenkranzes. Niemand ist da; – eine gro?e Stille halt dieses bluhende Viereck umfangen, die Sonne liegt warm auf den dicken grauen Steinen, ich lege meine Hand darauf und fuhle die Warme. Uber der rechten Ecke des Schieferdaches strebt der grune Domturm in das matte, weiche Blau des Abends. Zwischen den beglanzten kleinen Saulen der umlaufenden Kreuzgange ist das kuhle Dunkel, das nur Kirchen haben, und ich stehe dort und denke daran, da? ich mit zwanzig Jahren die verwirrenden Dinge kennen werde, die von den Frauen kommen.

Das Bild ist besturzend nahe, es ruhrt mich an, ehe es unter dem Aufflammen der nachsten Leuchtkugel zergeht. Ich fasse mein Gewehr und rucke es zurecht. Der Lauf ist feucht, ich lege meine Hand fest darum und zerreibe die Feuchtigkeit mit den Fingern.

Zwischen den Wiesen hinter unserer Stadt erhob sich an einem Bach eine Reihe von alten Pappeln. Sie waren weithin sichtbar, und obschon sie nur auf einer Seite standen, hie?en sie die Pappelallee. Schon als Kinder hatten wir eine Vorliebe fur sie, unerklarlich zogen sie uns an, ganze Tage verbrachten wir bei ihnen und horten ihrem leisen Rauschen zu. Wir sa?en unter ihnen am Ufer des Baches und lie?en die Fu?e in die hellen, eiligen Wellen hangen. Der reine Duft des Wassers und die Melodie des Windes in den Pappeln beherrschten unsere Phantasie. Wir liebten sie sehr, und das Bild dieser Tage la?t mir jetzt noch das Herz klopfen, ehe es wieder geht.

Es ist seltsam, da? alle Erinnerungen, die kommen, zwei Eigenschaften haben. Sie sind immer voll Stille, das ist das Starkste an ihnen, und selbst dann, wenn sie es nicht in dem Ma?e in Wahrheit waren, wirken sie so. Sie sind lautlose Erscheinungen, die zu mir sprechen mit Blicken und Gebarden, wortlos und schweigend, – und ihr Schweigen ist das Erschutternde, das mich zwingt, meinen Armel anzufassen und mein Gewehr, um mich nicht vergehen zu lassen in dieser Auflosung und Lockung, in der mein Korper sich ausbreiten und sanft zerflie?en mochte zu den stillen Machten hinter den Dingen.

Sie sind so still, weil das fur uns so unbegreiflich ist. An der Front gibt es keine Stille, und der Bann der Front reicht so weit, da? wir nie au?erhalb von ihr sind. Auch in den zuruckgelegenen Depots und Ruhequartieren bleibt das Summen und das gedampfte Poltern des Feuers stets in unseren Ohren. Wir sind nie so weit fort, da? wir es nicht mehr horen. In diesen Tagen aber war es unertraglich.

Die Stille ist die Ursache dafur, da? die Bilder des Fruher nicht so sehr Wunsche erwecken als Trauer – eine ungeheure, fassungslose Schwermut. Sie waren – aber sie kehren nicht wieder. Sie sind vorbei, sie sind eine andere Welt, die fur uns voruber ist. Auf den Kasernenhofen riefen sie ein rebellisches, wildes Begehren hervor, da waren sie noch mit uns verbunden, wir gehorten zu ihnen und sie zu uns, wenn wir auch getrennt waren. Sie stiegen auf bei den Soldatenliedern, die wir sangen, wenn wir zwischen Morgenrot und schwarzen Waldsilhouetten zum Exerzieren nach der Heide marschierten, sie waren eine heftige Erinnerung, die in uns war und aus uns kam.

Hier in den Graben aber ist sie uns verlorengegangen. Sie steigt nicht mehr aus uns auf; – wir sind tot, und sie steht fern am Horizont, sie ist eine Erscheinung, ein ratselhafter Widerschein, der uns heimsucht, den wir furchten und ohne Hoffnung lieben. Sie ist stark, und unser Begehren ist stark – aber sie ist unerreichbar, und wir wissen es. Sie ist ebenso vergeblich wie die Erwartung, General zu werden.

Und selbst wenn man sie uns wiedergabe, diese Landschaft unserer Jugend, wir wurden wenig mehr mit ihr anzufangen wissen. Die zarten und geheimen Krafte, die von ihr zu uns gingen, konnen nicht wiedererstehen. Wir wurden in ihr sein und in ihr umgehen; wir wurden uns erinnern und sie lieben und bewegt sein von ihrem Anblick. Aber es ware das gleiche, wie wenn wir nachdenklich werden vor der Fotografie eines toten Kameraden; es sind seine Zuge, es ist sein Gesicht, und die Tage, die wir mit ihm zusammen waren, gewinnen ein trugerisches Leben in unserer Erinnerung; aber er ist es nicht selbst.

Wir wurden nicht mehr verbunden sein mit ihr, wie wir es waren. Nicht die Erkenntnis ihrer Schonheit und ihrer Stimmung hat uns ja angezogen, sondern das Gemeinsame, dieses Gleichfuhlen einer Bruderschaft mit den Dingen und Vorfallen unseres Seins, die uns abgrenzte und uns die Welt unserer Eltern immer etwas unverstandlich machte; – denn wir waren irgendwie immer zartlich an sie verloren und hingegeben, und das Kleinste mundete uns einmal immer den Weg der Unendlichkeit. Vielleicht war es nur das Vorrecht unserer Jugend – wir sahen noch keine Bezirke, und nirgendwo gaben wir ein Ende zu; wir hatten die Erwartung des Blutes, die uns eins machte mit dem Verlauf unserer Tage.

Heute wurden wir in der Landschaft unserer Jugend umhergehen wie Reisende. Wir sind verbrannt von Tatsachen, wir kennen Unterschiede wie Handler und Notwendigkeiten wie Schlachter. Wir sind nicht mehr unbekummert – wir sind furchterlich gleichgultig. Wir wurden da sein; aber wurden wir leben?

Wir sind verlassen wie Kinder und erfahren wie alte Leute, wir sind roh und traurig und oberflachlich – ich glaube, wir sind verloren.

* * *

Meine Hande werden kalt, und meine Haut schauert; dabei ist es eine warme Nacht. Nur der Nebel ist kuhl, dieser unheimliche Nebel, der die Toten vor uns beschleicht und ihnen das letzte, verkrochene Leben aussaugt. Morgen werden sie bleich und grun sein und ihr Blut gestockt und schwarz.

Immer noch steigen die Leuchtschirme empor und werfen ihr erbarmungsloses Licht uber die versteinerte

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