zweiunddrei?ig schweigen sie. Und es schweigt lange, ehe die Stimme fragt:»Noch jemand?«- und wartet und dann leise sagt:»In Gruppen -«, und doch abbricht und nur vollenden kann:»Zweite Kompanie -«, muhselig:»Zweite Kompanie – ohne Tritt marsch!«
Eine Reihe, eine kurze Reihe tappt in den Morgen hinaus. Zweiunddrei?ig Mann.
7.
Man nimmt uns weiter als sonst zuruck, in ein Feld-Rekrutendepot, damit wir dort neu zusammengestellt werden konnen. Unsere Kompanie braucht uber hundert Mann Ersatz.
Einstweilen bummeln wir umher, wenn wir keinen Dienst machen. Nach zwei Tagen kommt Himmelsto? zu uns -. Seine gro?e Schnauze hat er verloren, seit er im Graben war. Er schlagt vor, da? wir uns vertragen wollen. Ich bin bereit, denn ich habe gesehen, da? er Haie Westhus, dem der Rucken weggerissen wurde, mit fortgebracht hat. Da er au?erdem wirklich vernunftig redet, haben wir nichts dabei, da? er uns in die Kantine einladt. Nur Tjaden ist mi?trauisch und reserviert.
Doch auch er wird gewonnen, denn Himmelsto? erzahlt, da? er den in Urlaub fahrenden Kuchenbullen vertreten soll. Als Beweis dafur ruckt er sofort zwei Pfund Zucker fur uns und ein halbes Pfund Butter fur Tjaden besonders heraus. Er sorgt sogar dafur, da? wir fur die nachsten drei Tage in die Kuche zum Kartoffel- und Steckrubenschalen kommandiert werden. Das Essen, das er uns dort vorsetzt, ist tadellose Offizierskost.
So haben wir im Augenblick wieder die beiden Dinge, die der Soldat zum Gluck braucht: gutes Essen und Ruhe. Das ist wenig, wenn man es bedenkt. Vor ein paar Jahren noch hatten wir uns furchtbar verachtet. Jetzt sind wir fast zufrieden. Alles ist Gewohnheit, auch der Schutzengraben. Diese Gewohnheit ist der Grund dafur, da? wir scheinbar so rasch vergessen. Vorgestern waren wir noch im Feuer, heute machen wir Albernheiten und fechten uns durch die Gegend, morgen gehen wir wieder in den Graben. In Wirklichkeit vergessen wir nichts. Solange wir hier im Felde sein mussen, sinken die Fronttage, wenn sie vorbei sind, wie Steine in uns hinunter, weil sie zu schwer sind, um sofort daruber nachdenken zu konnen. Taten wir es, sie wurden uns hinterher erschlagen; denn soviel habe ich schon gemerkt: Das Grauen la?t sich ertragen, solange man sich einfach duckt; aber es totet, wenn man daruber nachdenkt.
Genau wie wir zu Tieren werden, wenn wir nach vorn gehen, weil es das einzige ist, was uns durchbringt, so werden wir zu oberflachlichen Witzbolden und Schlafmutzen, wenn wir in Ruhe sind. Wir konnen gar nicht anders, es ist formlich ein Zwang. Wir wollen leben um jeden Preis; da konnen wir uns nicht mit Gefuhlen belasten, die fur den Frieden dekorativ sein mogen, hier aber falsch sind. Kemmerich ist tot, Haie Westhus stirbt, mit dem Korper Hans Kramers werden sie am Jungsten Tage Last haben, ihn aus einem Volltreffer zusammenzuklauben, Martens hat keine Beine mehr, Meyer ist tot, Marx ist tot, Beyer ist tot, Hammerling ist tot, hundertzwanzig Mann liegen irgendwo mit Schussen, es ist eine verdammte Sache, aber was geht es uns noch an, wir leben. Konnten wir sie retten, ja dann sollte man mal sehen, es ware egal, ob wir selbst draufgingen, so wurden wir loslegen; denn wir haben einen verfluchten Muck, wenn wir wollen; Furcht kennen wir nicht viel – Todesangst wohl, doch das ist etwas anderes, das ist korperlich.
Aber unsere Kameraden sind tot, wir konnen ihnen nicht helfen, sie haben Ruhe – wer wei?, was uns noch bevorsteht; wir wollen uns hinhauen und schlafen oder fressen, soviel wir in den Magen kriegen, und saufen und rauchen, damit die Stunden nicht ode sind. Das Leben ist kurz.
Das Grauen der Front versinkt, wenn wir ihm den Rucken kehren, wir gehen ihm mit gemeinen und grimmigen Witzen zuleibe; wenn jemand stirbt, dann hei?t es, da? er den Arsch zugekniffen hat, und so reden wir uber alles, das rettet uns vor dem Verrucktwerden, solange wir es so nehmen, leisten wir Widerstand.
Aber wir vergessen nicht! Was in den Kriegszeitungen steht uber den goldenen Humor der Truppen, die bereits Tanzchen arrangieren, wenn sie kaum aus dem Trommelfeuer zuruck sind, ist gro?er Quatsch. Wir tun das nicht, weil wir Humor haben, sondern wir haben Humor, weil wir sonst kaputt gehen. Die Kiste wird ohnehin nicht mehr allzulange halten, der Humor ist jeden Monat bitterer. Und ich wei?: all das, was jetzt, solange wir im Kriege sind, versackt in uns wie ein Stein, wird nach dem Kriege wieder aufwachen, und dann beginnt erst die Auseinandersetzung auf Leben und Tod.
Die Tage, die Wochen, die Jahre hier vorn werden noch einmal zuruckkommen, und unsere toten Kameraden werden dann aufstehen und mit uns marschieren, unsere Kopfe werden klar sein, wir werden ein Ziel haben, und so werden wir marschieren, unsere toten Kameraden neben uns, die Jahre der Front hinter uns: – gegen wen, gegen wen?
Hier in der Gegend war vor einiger Zeit ein Fronttheater. Auf einer Bretterwand kleben noch bunte Plakate von den Vorstellungen her. Mit gro?en Augen stehen Kropp und ich davor. Wir konnen nicht begreifen, da? es so etwas noch gibt. Da ist ein Madchen in einem hellen Sommerkleid abgebildet, mit einem roten Lackgurtel um die Huften. Sie stutzt sich mit der einen Hand auf ein Gelander, mit der anderen halt sie einen Strohhut. Sie tragt wei?e Strumpfe und wei?e Schuhe, zierliche Spangenschuhe mit hohen Absatzen. Hinter ihr leuchtet die blaue See mit einigen Wogenkammen, eine Bucht greift seitlich hell hinein. Es ist ein ganz herrliches Madchen, mit einer schmalen Nase, mit roten Lippen und langen Beinen, unvorstellbar sauber und gepflegt, es badet gewi? zweimal am Tage und hat nie Dreck unter den Nageln. Hochstens vielleicht mal ein bi?chen Sand vom Strand.
Neben ihm steht ein Mann in wei?er Hose, mit blauem Jackett und Seglermutze, aber der interessiert uns viel weniger.
Das Madchen auf der Bretterwand ist fur uns ein Wunder. Wir haben ganz vergessen, da? es so etwas gibt, und auch jetzt noch trauen wir unseren Augen kaum. Seit Jahren jedenfalls haben wir nichts Derartiges gesehen, nichts nur entfernt Derartiges an Heiterkeit, Schonheit und Gluck. Das ist der Frieden, so mu? er sein, spuren wir erregt. »Sieh dir nur diese leichten Schuhe an, darin konnte sie keinen Kilometer marschieren«, sage ich und komme mir gleich albern vor, denn es ist blodsinnig, bei einem solchen Bild an Marschieren zu denken.
»Wie alt mag sie sein?« fragt Kropp.
Ich schatze:»Allerhochstens zweiundzwanzig, Albert.«
»Dann ware sie ja alter als wir. Sie ist nicht mehr als siebzehn, sage ich dir!«
Eine Gansehaut uberlauft uns. »Albert, das ware was, meinst du nicht?«
Er nickt. »Zu Hause habe ich auch eine wei?e Hose.«
»Wei?e Hose«, sage ich,»aber so ein Madchen -«
Wir sehen an uns herunter, gegenseitig. Da ist nicht viel zu finden, eine ausgeblichene, geflickte, schmutzige Uniform bei jedem. Es ist hoffnungslos, sich zu vergleichen.
Zunachst einmal kratzen wir deshalb den jungen Mann mit der wei?en Hose von der Bretterwand ab, vorsichtig, damit wir das Madchen nicht beschadigen. Dadurch ist schon etwas erreicht. Dann schlagt Kropp vor:»Wir konnten uns mal entlausen lassen.«
Ich bin nicht ganz einverstanden, denn die Sachen leiden darunter, aber die Lause hat man nach zwei Stunden wieder. Doch nachdem wir uns wieder in das Bild vertieft haben, erklare ich mich bereit. Ich gehe sogar noch weiter. »Konnten auch mal sehen, ob wir nicht ein reines Hemd zu fassen kriegen -«
Albert meint aus irgendeinem Grunde:»Fu?lappen waren noch besser.«
»Vielleicht auch Fu?lappen. Wir wollen mal ein bi?chen spekulieren gehen.«
Doch da schlendern Leer und Tjaden heran; sie sehen das Plakat, und im Handumdrehen wird die Unterhaltung ziemlich schweinisch. Leer war in unserer Klasse der erste, der ein Verhaltnis hatte und davon aufregende Einzelheiten erzahlte. Er begeistert sich in seiner Weise an dem Bilde, und Tjaden stimmt machtig ein.
Es ekelt uns nicht gerade an. Wer nicht schweinigelt, ist kein Soldat; nur liegt es uns im Moment nicht ganz, deshalb schlagen wir uns seitwarts und marschieren der Entlausungs anstalt zu mit einem Gefuhl, als sei sie ein feines Herrenmodengeschaft.