Die Hauser, in denen wir Quartier haben, liegen nahe am Kanal. Jenseits des Kanals sind Teiche, die von Pappelwaldern umstanden sind; – jenseits des Kanals sind auch Frauen.
Die Hauser auf unserer Seite sind geraumt worden. Auf der andern jedoch sieht man ab und zu noch Bewohner. Abends schwimmen wir. Da kommen drei Frauen am Ufer entlang. Sie gehen langsam und sehen nicht weg, obschon wir keine Badehosen tragen.
Leer ruft zu ihnen hinuber. Sie lachen und bleiben stehen, um uns zuzuschauen. Wir werfen ihnen in gebrochenem Franzosisch Satze zu, die uns gerade einfallen, alles durcheinander, eilig, damit sie nicht fortgehen. Es sind nicht gerade feine Sachen, aber wo sollen wir die auch herhaben. Eine Schmale, Dunkle ist dabei. Man sieht ihre Zahne schimmern, wenn sie lacht. Sie hat rasche Bewegungen, der Rock schlagt locker um ihre Beine. Obschon das Wasser kalt ist, sind wir machtig aufgeraumt und bestrebt, sie zu interessieren, damit sie bleiben. Wir versuchen Witze, und sie antworten, ohne da? wir sie verstehen; wir lachen und winken. Tjaden ist vernunftiger. Er lauft ins Haus, holt ein Kommi?brot und halt es hoch.
Das erzielt gro?en Erfolg. Sie nicken und winken, da? wir hinuberkommen sollen. Aber das durfen wir nicht. Es ist verboten, das jenseitige Ufer zu betreten. Uberall stehen Posten an den Brucken. Ohne Ausweis ist nichts zu machen. Wir dolmetschen deshalb, sie mochten zu uns kommen; aber sie schutteln die Kopfe und zeigen auf die Brucken. Man la?t auch sie nicht durch.
Sie kehren um, langsam gehen sie den Kanal aufwarts, immer am Ufer entlang. Wir begleiten sie schwimmend. Nach einigen hundert Metern biegen sie ab und zeigen auf ein Haus, das abseits aus Baumen und Gebusch herauslugt. Leer fragt, ob sie dort wohnen.
Sie lachen – ja, dort sei ihr Haus.
Wir rufen ihnen zu, da? wir kommen wollen, wenn uns die Posten nicht sehen konnen. Nachts. Diese Nacht.
Sie heben die Hande, legen sie flach zusammen, die Gesichter darauf, und schlie?en die Augen. Sie haben verstanden. Die Schmale, Dunkle macht Tanzschritte. Eine Blonde zwitschert:»Brot – gut -«
Wir bestatigen eifrig, da? wir es mitbringen werden. Auch noch andere schone Sachen, wir rollen die Augen und zeigen sie mit den Handen. Leer ersauft fast, als er »ein Stuck Wurst« klarmachen will. Wenn es notwendig ware, wurden wir ihnen ein ganzes Proviantdepot versprechen. Sie gehen und wenden sich noch oft um. Wir klettern an das Ufer auf unserer Seite und achten darauf, ob sie auch in das Haus gehen, denn es kann ja sein, da? sie schwindeln. Dann schwimmen wir zuruck.
Ohne Ausweis darf niemand uber die Brucke, deshalb werden wir einfach nachts hinuberschwimmen. Die Erregung packt uns und la?t uns nicht los. Wir konnen es nicht an einem Fleck aushaken und gehen zur Kantine. Dort gibt es gerade Bier und eine Art Punsch. Wir trinken Punsch und lugen uns phantastische Erlebnisse vor. Jeder glaubt dem andern gern und wartet ungeduldig, um noch dicker aufzutrumpfen. Unsere Hande sind unruhig, wir paffen ungezahlte Zigaretten, bis Kropp sagt:»Eigentlich konnten wir ihnen auch ein paar Zigaretten mitbringen.« Da legen wir sie in unsere Mutzen und bewahren sie auf.
Der Himmel wird grun wie ein unreifer Apfel. Wir sind zu viert, aber drei konnen nur mit; deshalb mussen wir Tjaden loswerden und geben Rum und Punsch fur ihn aus, bis er torkelt. Als es dunkel wird, gehen wir unsern Hausern zu. Tjaden in der Mitte. Wir gluhen und sind von Abenteuerlust erfullt. Fur mich ist die Schmale, Dunkle, das haben wir verteilt und ausgemacht.
Tjaden fallt auf seinen Strohsack und schnarcht. Einmal wacht er auf und grinst uns so listig an, da? wir schon erschrecken und glauben, er habe gemogelt, und der ausgegebene Punsch sei umsonst gewesen. Dann fallt er zuruck und schlaft weiter.
Jeder von uns dreien legt ein ganzes Kommi?brot bereit und wickelt es in Zeitungspapier. Die Zigaretten packen wir dazu, au?erdem noch drei gute Portionen Leberwurst, die wir heute abend empfangen haben. Das ist ein anstandiges Geschenk.
Vorlaufig stecken wir die Sachen in unsere Stiefel; denn Stiefel mussen wir mitnehmen, damit wir druben auf dem andern Ufer nicht in Draht und Scherben treten. Da wir vorher schwimmen mussen, konnen wir weiter keine Kleider brauchen. Es ist ja auch dunkel und nicht weit. Wir brechen auf, die Stiefel in den Handen. Rasch gleiten wir ins Wasser, legen uns auf den Rucken, schwimmen und halten die Stiefel mit dem Inhalt uber unsere Kopfe. Am andern Ufer klettern wir vorsichtig hinauf, nehmen die Pakete heraus und ziehen die Stiefel an. Die Sachen klemmen wir unter die Arme. So setzen wir uns, na?, nackt, nur mit Stiefeln bekleidet, in Trab. Wir finden das Haus sofort. Es liegt dunkel in den Buschen. Leer fallt uber eine Wurzel und schrammt sich die Ellbogen. »Macht nichts«, sagt er frohlich.
Vor den Fenstern sind Laden. Wir umschleichen das Haus und versuchen, durch die Ritzen zu spahen. Dann werden wir ungeduldig. Kropp zogert plotzlich. »Wenn nun ein Major drinnen bei ihnen ist?«
»Dann kneifen wir eben aus«, grinst Leer,»er kann unsere Regimentsnummer ja hier lesen«, und klatscht sich auf den Hintern.
Die Haustur ist offen. Unsere Stiefel machen ziemlichen Larm. Eine Tur offnet sich, Licht fallt hindurch, eine Frau sto?t erschreckt einen Schrei aus. Wir machen »Pst, pst – camarade – bon ami -« und heben beschworend unsere Pakete hoch.
Die andern beiden sind jetzt auch sichtbar, die Tur offnet sich ganz, und das Licht bestrahlt uns. Wir werden erkannt, und alle drei lachen unbandig uber unsern Aufzug. Sie biegen und beugen sich im Turrahmen, so mussen sie lachen. Wie geschmeidig sie sich bewegen!
»Un moment.« Sie verschwinden und werfen uns Zeugstucke zu, die wir uns notdurftig umwickeln. Dann durfen wir eintreten. Eine kleine Lampe brennt im Zimmer, es ist warm und riecht etwas nach Parfum. Wir packen unsere Pakete aus und ubergeben sie ihnen. Ihre Augen glanzen, man sieht, da? sie Hunger haben.
Dann werden wir alle etwas verlegen. Leer macht die Gebarde des Essens. Da kommt wieder Leben hinein, sie holen Teller und Messer und fallen uber die Sachen her. Bei jedem Scheibchen Leberwurst heben sie, ehe sie es essen, das Stuck zuerst bewundernd in die Hohe, und wir sitzen stolz dabei.
Sie ubersprudeln uns mit ihrer Sprache – wir verstehen nicht viel, aber wir horen, da? es freundliche Worte sind. Vielleicht sehen wir auch sehr jung aus. Die Schmale, Dunkle, streicht mir uber das Haar und sagt, was alle franzosischen Frauen immer sagen:»La guerre – grand malheur – pauvres garcons -«
Ich halte ihren Arm fest und lege meinen Mund in ihre Handflache. Die Finger umschlie?en mein Gesicht. Dicht uber mir sind ihre erregenden Augen, das sanfte Braun der Haut und die roten Lippen. Der Mund spricht Worte, die ich nicht verstehe. Ich verstehe auch die Augen nicht ganz, sie sagen mehr, als wir erwarteten, da wir hierher kamen. Es sind Zimmer nebenan. Im Gehen sehe ich Leer, er ist mit der Blonden handfest und laut. Er kennt das ja auch. Aber ich – ich bin verloren an ein Fernes, Leises und Ungestumes und vertraue mich ihm an. Meine Wunsche sind sonderbar gemischt aus Verlangen und Versinken. Mir wird schwindelig, es ist nichts hier, woran man sich noch halten konnte. Unsere Stiefel haben wir vor der Tur gelassen, man hat uns Pantoffeln dafur gegeben, und nun ist nichts mehr da, was mir die Sicherheit und Frechheit des Soldaten zuruckruft: kein Gewehr, kein Koppel, kein Waffenrock, keine Mutze. Ich lasse mich fallen ins Ungewisse, mag geschehen, was will – denn ich habe etwas Angst, trotz allem.
Die Schmale, Dunkle bewegt die Brauen, wenn sie nachdenkt; aber sie sind still, wenn sie spricht. Manchmal auch wird der Laut nicht ganz zum Wort und erstickt oder schwingt halbfertig uber mich weg; ein Bogen, eine Bahn, ein Komet. Was habe ich davon gewu?t – was wei? ich davon? – Die Worte dieser fremden Sprache, von der ich kaum etwas begreife, sie schlafern mich ein zu einer Stille, in der das Zimmer braun und halb beglanzt verschwimmt und nur das Antlitz uber mir lebt und klar ist. Wie vielfaltig ist ein Gesicht, wenn es fremd war noch vor einer Stunde und jetzt geneigt ist zu einer Zartlichkeit, die nicht aus ihm kommt, sondern aus der Nacht, der Welt und dem Blut, die in ihm zusammenzustrahlen scheinen. Die Dinge des Raumes werden davon angeruhrt und verwandelt, sie werden besonders, und vor meiner hellen Haut habe ich beinahe Ehrfurcht, wenn der Schein der Lampe darauf liegt und die kuhle braune Hand daruberstreicht. Wie anders ist dies alles als die Dinge in den Mannschaftsbordells, zu denen wir Erlaubnis haben und wo in langer Reihe angestanden wird. Ich mochte nicht an sie denken; aber sie gehen mir unwillkurlich durch den Sinn, und ich erschrecke, denn vielleicht kann man so etwas nie mehr loswerden.
Dann aber fuhle ich die Lippen der Schmalen, Dunklen, und drange mich ihnen entgegen, ich schlie?e die Augen und mochte alles damit ausloschen, Krieg und Grauen und Gemeinheit, um jung und glucklich zu erwachen;