Ich melde vorschriftsma?ig. Er hat immer noch nicht genug. »Wo liegen Sie?«
Aber ich habe jetzt genug und sage:»Zwischen Langemark und Bixschoote.«
»Wieso?« fragt er etwas verblufft.
Ich erklare ihm, da? ich vor einer Stunde auf Urlaub gekommen sei, und denke, da? er jetzt abtrudeln wird. Aber ich irre mich. Er wird sogar noch wilder:»Das konnte Ihnen wohl so passen, hier Frontsitten einzufuhren, was? Das gibt’s nicht! Hier herrscht Gott sei Dank Ordnung!« Er kommandiert:»Zwanzig Schritt zuruck, marsch, marsch!«
In mir sitzt die dumpfe Wut. Aber ich kann nichts gegen ihn machen, er la?t mich sofort festnehmen, wenn er will. So spritze ich zuruck, gehe vor und zucke sechs Meter vor ihm zu einem zackigen Gru? zusammen, den ich erst wegnehme, als ich sechs Meter hinter ihm bin.
Er ruft mich wieder heran und gibt mir jetzt leutselig bekannt, da? er noch einmal Gnade vor Recht ergehen lassen will. Ich zeige mich stramm dankbar. »Wegtreten!« kommandiert er. Ich knalle die Wendung und ziehe ab.
Der Abend ist mir dadurch verleidet. Ich mache, da? ich nach Hause komme, und werfe die Uniform in die Ecke, das hatte ich sowieso vor. Dann hole ich meinen Zivilanzug aus dem Schrank und ziehe ihn an.
Das ist mir ganz ungewohnt. Der Anzug sitzt ziemlich kurz und knapp, ich bin beim Kommi? gewachsen. Kragen und Krawatte machen mir Schwierigkeiten. Schlie?lich bindet mir meine Schwester den Knoten. Wie leicht so ein Anzug ist, man hat das Gefuhl, als ware man nur in Unterhosen und Hemd.
Ich betrachte mich im Spiegel. Das ist ein sonderbarer Anblick. Ein sonnenverbrannter, etwas ausgewachsener Konfirmand sieht mich da verwundert an.
Meine Mutter ist froh, da? ich Zivilzeug trage; ich bin ihr dadurch vertrauter. Doch mein Vater hatte lieber, da? ich Uniform anzoge, er mochte so mit mir zu seinen Bekannten gehen.
Aber ich weigere mich.
Es ist schon, still irgendwo zu sitzen, zum Beispiel in dem Wirtsgarten gegenuber den Kastanien, nahe der Kegelbahn. Die Blatter fallen auf den Tisch und auf die Erde, wenige nur, die ersten. Ich habe ein Glas Bier vor mir stehen, das Trinken hat man beim Militar gelernt. Das Glas ist halb geleert, ich habe also noch einige gute, kuhle Schlucke vor mir, und au?erdem kann ich ein zweites und ein drittes bestellen, wenn ich will. Es gibt keinen Appell und kein Trommelfeuer, die Kinder des Wirts spielen auf der Kegelbahn, und der Hund legt mir seinen Kopf auf die Knie. Der Himmel ist blau, zwischen dem Laub der Kastanien ragt der grune Turm der Margaretenkirche auf.
Das ist gut, und ich liebe es. Aber mit den Leuten kann ich nicht fertig werden. Die einzige, die nicht fragt, ist meine Mutter. Doch schon mit meinem Vater ist es anders. Er mochte, da? ich etwas erzahle von drau?en, er hat Wunsche, die ich ruhrend und dumm finde, zu ihm schon habe ich kein rechtes Verhaltnis mehr. Am liebsten mochte er immerfort etwas horen. Ich begreife, da? er nicht wei?, da? so etwas nicht erzahlt werden kann, und ich mochte ihm auch gern den Gefallen tun; aber es ist eine Gefahr fur mich, wenn ich diese Dinge in Worte bringe, ich habe Scheu, da? sie dann riesenhaft werden und sich nicht mehr bewaltigen lassen. Wo blieben wir, wenn uns alles ganz klar wurde, was da drau?en vorgeht.
So beschranke ich mich darauf, ihm einige lustige Sachen zu erzahlen. Er aber fragt mich, ob ich auch einen Nahkampf mitgemacht hatte. Ich sage nein und stehe auf, um auszugehen.
Doch das bessert nichts. Nachdem ich mich auf der Stra?e ein paarmal erschreckt habe, weil das Quietschen der Stra?enbahnen sich wie heranheulende Granaten anhort, klopft mir jemand auf die Schulter. Es ist mein Deutschlehrer, der mich mit den ublichen Fragen uberfallt. »Na, wie steht es drau?en. Furchtbar, furchtbar, nicht wahr? Ja, es ist schrecklich, aber wir mussen eben durchhalten. Und schlie?lich, drau?en habt ihr doch wenigstens gute Verpflegung, wie ich gehort habe, Sie sehen gut aus, Paul, kraftig. Hier ist das naturlich schlechter, ganz naturlich, ist ja auch selbstverstandlich, das Beste immer fur unsere Soldaten!« Er schleppt mich zu einem Stammtisch mit. Ich werde gro?artig empfangen, ein Direktor gibt mir die Hand und sagt:»So, Sie kommen von der Front? Wie ist denn der Geist dort? Vorzuglich, vorzuglich, was?«
Ich erklare, da? jeder gern nach Hause mochte.
Er lacht drohnend:»Das glaube ich! Aber erst mu?t ihr den Franzmann verkloppen! Rauchen Sie? Hier, stecken Sie sich mal eine an. Ober, bringen Sie unserm jungen Krieger auch ein Bier.«
Leider habe ich die Zigarre genommen, deshalb mu? ich bleiben. Alle triefen nur so von Wohlwollen, dagegen ist nichts einzuwenden. Trotzdem bin ich argerlich und qualme, so schnell ich kann. Um wenigstens etwas zu tun, sturze ich das Glas Bier in einem Zug hinunter. Sofort wird mir ein zweites bestellt; die Leute wissen, was sie einem Soldaten schuldig sind. Sie disputieren daruber, was wir annektieren sollen. Der Direktor mit der eisernen Uhrkette will am meisten haben: ganz Belgien, die Kohlengebiete Frankreichs und gro?e Stucke von Ru?land. Er gibt genaue Grunde an, weshalb wir das haben mussen, und ist unbeugsam, bis die andern schlie?lich nachgeben. Dann beginnt er zu erlautern, wo in Frankreich der Durchbruch einsetzen musse, und wendet sich zwischendurch zu mir:»Nun macht mal ein bi?chen vorwarts da drau?en mit eurem ewigen Stellungskrieg. Schmei?t die Kerle ‘raus, dann gibt es auch Frieden.«-Ich antworte, da? nach unserer Meinung ein Durchbruch unmoglich sei. Die druben hatten zuviel Reserven. Au?erdem ware der Krieg doch anders, als man sich das so denke.
Er wehrt uberlegen ab und beweist mir, da? ich davon nichts verstehe. »Gewi?, der einzelne«, sagt er,»aber es kommt doch auf das Gesamte an. Und das konnen Sie nicht so beurteilen. Sie sehen nur Ihren kleinen Abschnitt und haben deshalb keine Ubersicht. Sie tun Ihre Pflicht, Sie setzen Ihr Leben ein, das ist hochster Ehren wert – jeder von euch mu?te das Eiserne Kreuz haben -, aber vor allem mu? die gegnerische Front in Flandern durchbrochen und dann von oben aufgerollt werden.«
Er schnauft und wischt sich den Bart. »Vollig aufgerollt mu? sie werden, von oben herunter. Und dann auf Paris.« Ich mochte wissen, wie er sich das vorstellt, und gie?e das dritte Bier in mich hinein. Sofort la?t er ein neues bringen. Aber ich breche auf. Er schiebt mir noch einige Zigarren in die Tasche und entla?t mich mit einem freundschaftlichen Klaps. »Alles Gute! Hoffentlich horen wir nun bald etwas Ordentliches von euch.«
Ich habe mir den Urlaub anders vorgestellt. Vor einem Jahr war er auch anders. Ich bin es wohl, der sich inzwischen geandert hat. Zwischen heute und damals liegt eine Kluft. Damals kannte ich den Krieg noch nicht, wir hatten in ruhigeren Abschnitten gelegen. Heute merke ich, da? ich, ohne es zu wissen, zermurbter geworden bin. Ich finde mich hier nicht mehr zurecht, es ist eine fremde Welt. Die einen fragen, die andern fragen nicht, und man sieht ihnen an, da? sie stolz darauf sind; oft sagen sie es sogar noch mit dieser Miene des Verstehens, da? man daruber nicht reden konne. Sie bilden sich etwas darauf ein.
Am liebsten bin ich allein, da stort mich keiner. Denn alle kommen stets auf dasselbe zuruck, wie schlecht es geht und wie gut es geht, der eine findet es so, der andere so, – immer sind sie auch rasch bei den Dingen, die ihr Dasein darstellen. Ich habe fruher sicher genauso gelebt, aber ich finde jetzt keinen Anschlu? mehr daran.
Sie reden mir zuviel. Sie haben Sorgen, Ziele, Wunsche, die ich nicht so auffassen kann wie sie. Manchmal sitze ich mit einem von ihnen in dem kleinen Wirtsgarten und versuche, ihm klarzumachen, da? dies eigentlich schon alles ist: so still zu sitzen. Sie verstehen das naturlich, geben es zu, finden es auch, aber nur mit Worten, nur mit Worten, das ist es ja – sie empfinden es, aber stets nur halb, ihr anderes Wesen ist bei anderen Dingen, sie sind so verteilt, keiner empfindet es mit seinem ganzen Leben; ich kann ja selbst auch nicht recht sagen, was ich meine.
Wenn ich sie so sehe, in ihren Zimmern, in ihren Buros, in ihren Berufen, dann zieht das mich unwiderstehlich an, ich mochte auch darin sein und den Krieg vergessen; aber es sto?t mich auch gleich wieder ab, es ist so eng, wie kann das ein Leben ausfullen, man sollte es zerschlagen, wie kann das alles so sein, wahrend drau?en jetzt die Splitter uber die Trichter sausen und die Leuchtkugeln hochgehen, die Verwundeten auf Zeltbahnen zuruckgeschleift werden und die Kameraden sich in die Graben drucken! – Es sind andere Menschen hier, Menschen, die ich nicht richtig begreife, die ich beneide und verachte. Ich mu? an Kat und Albert und Muller und Tjaden denken, was mogen sie tun? Sie sitzen vielleicht in der Kantine oder sie schwimmen – bald mussen sie wieder nach vorn.