der wei?en Wasche, und die Hitze der Bugeleisen stromt aus den offenen Fenstern. Hunde trotten durch die schmale Stra?e, vor den Hausturen stehen Menschen und sehen mir nach, wie ich schmutzig und bepackt vorubergehe.
In dieser Konditorei haben wir Eis gegessen und uns im Zigarettenrauchen geubt. In dieser Stra?e, die an mir vorubergleitet, kenne ich jedes Haus, das Kolonialwarengeschaft, die Drogerie, die Backerei. Und dann stehe ich vor der braunen Tur mit der abgegriffenen Klinke, und die Hand wird mir schwer.
Ich offne sie; die Kuhle kommt mir wunderlich entgegen, sie macht meine Augen unsicher.
Unter meinen Stiefeln knarrt die Treppe. Oben klappt eine Tur, jemand blickt uber das Gelander. Es ist die Kuchentur, die geoffnet wurde, sie backen dort gerade Kartoffelpuffer, das Haus riecht danach, heute ist ja auch Sonnabend, und es wird meine Schwester sein, die sich herunterbeugt. Ich schame mich einen Augenblick und senke den Kopf, dann nehme ich den Helm ab und sehe hinauf. Ja, es ist meine alteste Schwester.
»Paul!« ruft sie. »Paul -!«
Ich nicke, mein Tornister sto?t gegen das Gelander, mein Gewehr ist so schwer.
Sie rei?t eine Tur auf und ruft:»Mutter, Mutter, Paul ist da.« Ich kann nicht mehr weitergehen. Mutter, Mutter, Paul ist da. Ich lehne mich an die Wand und umklammere meinen Helm und mein Gewehr. Ich umklammere sie, so fest es geht, aber ich kann keinen Schritt mehr machen, die Treppe verschwimmt vor meinen Augen, ich sto?e mir den Kolben auf die Fu?e und presse zornig die Zahne zusammen, aber ich kann nicht gegen dieses eine Wort an, das meine Schwester gerufen hat, nichts kann dagegen an, ich quale mich gewaltsam, zu lachen und zu
sprechen, aber ich bringe kein Wort hervor, und so stehe ich auf der Treppe, unglucklich, hilflos, in einem furchtbaren Krampf, und will nicht, und die Tranen laufen mir immer nur so uber das Gesicht.
Meine Schwester kommt zuruck und fragt:»Was hast du denn?«
Da raffe ich mich zusammen und stolpere zum Vorplatz hinauf. Mein Gewehr lehne ich in eine Ecke, den Tornister stelle ich gegen die Wand, und den Helm packe ich darauf. Auch das Koppel mit den Sachen daran mu? fort. Dann sage ich wutend:»So gib doch endlich ein Taschentuch her!«
Sie gibt mir eins aus dem Schrank, und ich wische mir das Gesicht ab. Uber mir an der Wand hangt der Glaskasten mit bunten Schmetterlingen, die ich fruher gesammelt habe.
Nun hore ich die Stimme meiner Mutter. Sie kommt aus dem Schlafzimmer.
»Ist sie nicht auf?« frage ich meine Schwester.
»Sie ist krank -«, antwortet sie.
Ich gehe hinein zu ihr, gebe ihr die Hand und sage, so ruhig ich kann:»Da bin ich, Mutter.«
Sie liegt im Halbdunkel. Dann fragt sie angstvoll, und ich fuhle, wie ihr Blick mich abtastet:»Bist du verwundet?«
»Nein, ich habe Urlaub.«
Meine Mutter ist sehr bla?. Ich scheue mich, Licht zu machen. »Da liege ich nun und weine«, sagt sie,»anstatt mich zu freuen.«
»Bist du krank, Mutter?« frage ich »Ich werde heute etwas aufstehen«, sagt sie und wendet sich zu meiner Schwester, die immer auf einen Sprung in die Kuche mu?, damit ihr das Essen nicht anbrennt:»Mach auch das Glas mit den eingemachten Preiselbeeren auf, – das i?t du doch gern?« fragt sie mich.
»Ja, Mutter, das habe ich lange nicht gehabt.«
»Als ob wir es geahnt hatten, da? du kommst«, lacht meine Schwester,»gerade dein Lieblingsessen, Kartoffelpuffer, und
jetzt sogar mit Preiselbeeren.«
»Es ist ja auch Sonnabend«, antworte ich.
»Setz dich zu mir«, sagt meine Mutter.
Sie sieht mich an. Ihre Hande sind wei? und kranklich und schmal gegen meine. Wir sprechen nur einige Worte, und ich bin ihr dankbar dafur, da? sie nichts fragt. Was soll ich auch sagen: Alles, was moglich war, ist ja geschehen. Ich bin heil herausgelangt und sitze neben ihr. Und in der Kuche steht meine Schwester und macht das Abendbrot und singt dazu.
»Mein lieber Junge«, sagt meine Mutter leise.
Wir sind nie sehr zartlich in der Familie gewesen, das ist nicht ublich bei armen Leuten, die viel arbeiten mussen und Sorgen haben. Sie konnen das auch nicht so verstehen, sie beteuern nicht gern etwas ofter, was sie ohnehin wissen. Wenn meine Mutter zu mir »lieber Junge« sagt, so ist das so viel, als wenn eine andere wer wei? was anstellt. Ich wei? bestimmt, da? das Glas mit Preiselbeeren das einzige ist seit Monaten und da? sie es aufbewahrt hat fur mich, ebenso wie die schon alt schmeckenden Kekse, die sie mir jetzt gibt. Sie hat sicher bei einer gunstigen Gelegenheit einige erhalten und sie gleich zuruckgelegt fur mich.
Ich sitze an ihrem Bett, und durch das Fenster funkeln in Braun und Gold die Kastanien des gegenuberliegenden Wirtsgartens. Ich atme langsam ein und aus und sage mir:»Du bist zu Hause, du bist zu Hause.« Aber eine Befangenheit will nicht von mir weichen, ich kann mich noch nicht in alles hineinfinden. Da ist meine Mutter, da ist meine Schwester, da mein Schmetterlingskasten und da das Mahagoniklavier – aber ich bin noch nicht ganz da. Es sind ein Schleier und ein Schritt dazwischen.
Deshalb gehe ich jetzt, hole meinen Tornister ans Bett und packe aus, was ich mitgebracht habe: einen ganzen Edamer Kase, den Kat mir besorgt hat, zwei Kommi?brote, dreiviertel Pfund Butter, zwei Buchsen Leberwurst, ein Pfund Schmalz und ein Sackchen Reis.
»Das konnt ihr sicher gebrauchen -«
Sie nicken. »Hier ist es wohl schlecht damit?« erkundige ich mich.
»Ja, es gibt nicht viel. Habt ihr denn drau?en genug?« Ich lachele und zeige auf die mitgebrachten Sachen. »So viel ja nun nicht immer, aber es geht doch einigerma?en.« Erna bringt die Lebensmittel fort. Meine Mutter nimmt plotzlich heftig meine Hand und fragt stockend:»War es sehr schlimm drau?en, Paul?«
Mutter, was soll ich dir darauf antworten! Du wirst es nicht verstehen und nie begreifen. Du sollst es auch nie begreifen. War es schlimm, fragst du. – Du, Mutter. – Ich schuttele den Kopf und sage:»Nein, Mutter, nicht so sehr. Wir sind ja mit vielen zusammen, da ist es nicht so schlimm.«
»Ja, aber kurzlich war Heinrich Bredemeyer hier, der erzahlte, es ware jetzt furchtbar drau?en, mit dem Gas und all dem andern.«
Es ist meine Mutter, die das sagt. Sie sagt: mit dem Gas und all dem andern. Sie wei? nicht, was sie spricht, sie hat nur Angst um mich. Soll ich ihr erzahlen, da? wir einmal drei gegnerische Graben fanden, die erstarrt waren in ihrer Haltung, wie vom Schlag getroffen? Auf den Brustwehren, in den Unterstanden, wo sie gerade waren, standen und lagen die Leute mit blauen Gesichtern, tot.
»Ach, Mutter, was so geredet wird«, antworte ich,»der Bredemeyer erzahlt nur so etwas dahin. Du siehst ja, ich bin heil und dick -«
An der zitternden Sorge meiner Mutter finde ich meine Ruhe wieder. Jetzt kann ich schon umhergehen und sprechen und Rede stehen, ohne Furcht, mich plotzlich an die Wand lehnen zu mussen, weil die Welt weich wird wie Gummi und die Adern murbe wie Zunder.
Meine Mutter will aufstehen, ich gehe solange in die Kuche zu meiner Schwester. »Was hat sie?« frage ich. Sie zuckt die Achseln:»Sie liegt schon ein paar Monate, wir sollten es dir aber nicht schreiben. Es sind mehrere Arzte bei ihr gewesen. Einer sagte, es ware wohl wieder Krebs.«
Ich gehe zum Bezirkskommando, um mich anzumelden. Langsam wandere ich durch die Stra?en. Hier und da spricht mich jemand an. Ich halte mich nicht lange auf, denn ich will nicht so viel reden.
Als ich aus der Kaserne zuruckkomme, ruft mich eine laute Stimme an. Ich drehe mich um, ganz in Gedanken, und stehe einem Major gegenuber. Er fahrt mich an:»Konnen Sie nicht gru?en?«
»Entschuldigen Herr Major«, sage ich verwirrt,»ich habe Sie nicht gesehen.«
Er wird noch lauter:»Konnen Sie sich auch nicht vernunftig ausdrucken?«
Ich mochte ihm ins Gesicht schlagen, beherrsche mich aber, denn sonst ist mein Urlaub hin, nehme die Knochen zusammen und sage:»Ich habe Herrn Major nicht gesehen.«»Dann passen Sie gefalligst auf!« schnauzt er. »Wie hei?en Sie?«
Ich rapportiere.
Sein rotes, dickes Gesicht ist immer noch emport. »Truppenteil?«