der ungefahrlichen gro?en, weit hinten einhauenden Kohlenkasten lauschen und das pfeifende, leise Surren der flach zerspritzenden kleinen Biester uberhoren. Wie die Schafe drangen sie sich zusammen, anstatt auseinanderzulaufen, und selbst die Verwundeten werden noch wie Hasen von den Fliegern abgeknallt.
Die blassen Steckrubengesichter, die armselig gekrallten Hande, die jammervolle Tapferkeit dieser armen Hunde, die trotzdem vorgehen und angreifen, dieser braven, armen Hunde, die so verschuchtert sind, da? sie nicht laut zu schreien wagen und mit zerrissenen Brusten und Bauchen und Armen und Beinen leise nach ihrer Mutter wimmern und gleich aufhoren, wenn man sie ansieht!
Ihre toten, flaumigen, spitzen Gesichter haben die entsetzliche Ausdruckslosigkeit gestorbener Kinder.
Es sitzt einem in der Kehle, wenn man sie ansieht, wie sie aufspringen und laufen und fallen. Man mochte sie verprugeln, weil sie so dumm sind, und sie auf die Arme nehmen und wegbringen von hier, wo sie nichts zu suchen haben. Sie tragen ihre grauen Rocke und Hosen und Stiefel, aber den meisten ist die Uniform zu weit, sie schlottert um die Glieder, die Schultern sind zu schmal, die Korper sind zu gering, es gab keine Uniformen, die fur dieses Kinderma? eingerichtet waren.
Auf einen alten Mann fallen funf bis zehn Rekruten. Ein uberraschender Gasangriff rafft viele weg. Sie sind nicht dazu gelangt, zu ahnen, was ihrer wartete. Einen Unterstand voll finden wir mit blauen Kopfen und schwarzen Lippen. In einem Trichter haben sie die Masken zu fruh losgemacht; sie wu?ten nicht, da? sich das Gas auf dem Grunde am langsten halt; als sie andere ohne Maske oben sahen, rissen sie sie auch ab und schluckten noch genug, um sich die Lungen zu verbrennen. Ihr Zustand ist hoffnungslos, sie wurgen sich mit Blutsturzen und Erstickungsanfallen zu Tode.
In einem Grabenstuck sehe ich mich plotzlich Himmelsto? gegenuber. Wir ducken uns in demselben Unterstand. Atemlos liegt alles beieinander und wartet ab, bis der Vorsto? einsetzt.
Obschon ich sehr erregt bin, schie?t mir beim Hinauslaufen doch noch der Gedanke durch den Kopf: Ich sehe Himmelsto? nicht mehr. Rasch springe ich in den Unterstand zuruck und finde ihn, wie er in der Ecke liegt mit einem kleinen Streifschu? und den Verwundeten simuliert. Sein Gesicht ist wie verprugelt. Er hat einen Angstkoller, er ist ja auch noch neu hier. Aber es macht mich rasend, da? der junge Ersatz drau?en ist und er hier.
»Raus!« fauche ich.
Er ruhrt sich nicht, die Lippen zittern, der Schnurrbart bebt.
»Raus!« wiederhole ich.
Er zieht die Beine an, druckt sich an die Wand und bleckt die Zahne wie ein Koter.
Ich fasse ihn am Arm und will ihn hochrei?en. Er quakt auf. Da gehen meine Nerven durch. Ich habe ihn am Hals, schuttele ihn wie einen Sack, da? der Kopf hin und her fliegt, und schreie ihm ins Gesicht:»Du Lump, willst du ‘raus – du Hund, du Schinder, du willst dich drucken?« Er verglast, ich schleudere seinen Kopf gegen die Wand -»Du Vieh«- ich trete ihm in die Rippen -»Du Schwein«- ich sto?e ihn vorwarts mit dem Kopf voran hinaus.
Eine neue Welle von uns kommt gerade vorbei. Ein Leutnant ist dabei. Er sieht uns und ruft:»Vorwarts, vorwarts, anschlie?en, anschlie?en -!« Und was meine Prugel nicht vermocht haben, das wirkte dieses Wort. Himmelsto? hort den Vorgesetzten, sieht sich erwachend um und schlie?t sich an.
Ich folge und sehe ihn springen. Er ist wieder der schneidige Himmelsto? des Kasernenhofes, er hat sogar den Leutnant eingeholt und ist weit voraus. -
Trommelfeuer, Sperrfeuer, Gardinenfeuer, Minen, Gas, Tanks, Maschinengewehre, Handgranaten – Worte, Worte, aber sie umfassen das Grauen der Welt.
Unsere Gesichter sind verkrustet, unser Denken ist verwustet, wir sind todmude; – wenn der Angriff kommt, mussen manche mit den Fausten geschlagen werden, damit sie erwachen und mitgehen; – die Augen sind entzundet, die Hande zerrissen, die Knie bluten, die Ellbogen sind zerschlagen.
Vergehen Wochen – Monate – Jahre? Es sind nur Tage. – Wir sehen die Zeit neben uns schwinden in den farblosen Gesichtern der Sterbenden, wir loffeln Nahrung in uns hinein, wir laufen, wir werfen, wir schie?en, wir toten, wir liegen herum, wir sind schwach und stumpf, und nur das halt uns, da? noch Schwachere, noch Stumpfere, noch Hilflosere da sind, die mit aufgerissenen Augen uns ansehen als Gotter, die manchmal dem Tode entrinnen konnen.
In den wenigen Stunden der Ruhe unterweisen wir sie. »Da, siehst du den Wackeltopp? Das ist eine Mine, die kommt! Bleib liegen, sie geht druben hin. Wenn sie aber so geht, dann rei? aus! Man kann vor ihr weglaufen.«
Wir machen ihre Ohren scharf auf das heimtuckische Surren der kleinen Dinger, die man kaum vernimmt, sie sollen sie aus dem Krach herauskennen wie Muckensummen; – wir bringen ihnen bei, da? sie gefahrlicher sind als die gro?en, die man lange vorher hort. Wir zeigen ihnen, wie man sich vor Fliegern verbirgt, wie man den toten Mann macht, wenn man vom Angriff uberrannt wird, wie man Handgranaten abziehen mu?, damit sie eine halbe Sekunde vor dem Aufschlag explodieren; – wir lehren sie, vor Granaten mit Aufschlagzundern blitzschnell in Trichter zu fallen, wir machen vor, wie man mit einem Bundel Handgranaten einen Graben aufrollt, wir erklaren den Unterschied in der Zundungsdauer zwischen den gegnerischen Handgranaten und unseren, wir machen sie auf den Ton der Gasgranaten aufmerksam und zeigen ihnen die Kniffe, die sie vor dem Tode retten konnen. Sie horen zu, sie sind folgsam – aber wenn es wieder losgeht, machen sie es in der Aufregung meistens doch wieder falsch.
Haie Westhus wird mit abgerissenem Rucken fortgeschleppt; bei jedem Atemzug pulst die Lunge durch die Wunde. Ich kann ihm noch die Hand drucken; -»is alle, Paul«, stohnt er und bei?t sich vor Schmerz in die Arme.
Wir sehen Menschen leben, denen der Schadel fehlt; wir sehen Soldaten laufen, denen beide Fu?e weggefetzt sind; sie stolpern auf den splitternden Stumpfen bis zum nachsten Loch; ein Gefreiter kriecht zwei Kilometer weit auf den Handen und schleppt die zerschmetterten Knie hinter sich her; ein anderer geht zur Verbandsstelle, und uber seine festhaltenden Hande quellen die Darme; wir sehen Leute ohne Mund, ohne Unterkiefer, ohne Gesicht; wir finden jemand, der mit den Zahnen zwei Stunden die Schlagader seines Armes klemmt, um nicht zu verbluten, die Sonne geht auf, die Nacht kommt, die Granaten pfeifen, das Leben ist zu Ende.
Doch das Stuckchen zerwuhlter Erde, in dem wir liegen, ist gehalten gegen die Ubermacht, nur wenige hundert Meter sind preisgegeben worden. Aber auf jeden Meter kommt ein Toter.
Wir werden abgelost. Die Rader rollen unter uns weg, wir stehen dumpf, und wenn der Ruf:»Achtung – Draht!« kommt, gehen wir in die Kniebeuge. Es war Sommer, als wir hier voruberfuhren, die Baume waren noch grun, jetzt sehen sie schon herbstlich aus, und die Nacht ist grau und feucht. Die Wagen halten, wir klettern hinunter, ein durcheinandergewurfelter Haufen, ein Rest von vielen Namen. An den Seiten, dunkel, stehen Leute und rufen die Nummern von Regimentern, von Kompanien aus. Und bei jedem Ruf sondert sich ein Hauflein ab, ein karges, geringes Hauflein schmutziger, fahler Soldaten, ein furchtbar kleines Hauflein und ein furchtbar kleiner Rest.
Nun ruft jemand die Nummer unserer Kompanie, es ist, man hort es, der Kompaniefuhrer, er ist also davongekommen, sein Arm liegt in der Binde. Wir treten zu ihm hin, und ich erkenne Kat und Albert, wir stellen uns zusammen, lehnen uns aneinander und sehen uns an.
Und noch einmal und noch einmal horen wir unsere Nummer rufen. Er kann lange rufen, man hort ihn nicht in den Lazaretten und den Trichtern.
Noch einmal:»Zweite Kompanie hierher!«
Und dann leiser:»Niemand mehr zweite Kompanie?« Er schweigt und ist etwas heiser, als er fragt:»Das sind alle?« und befiehlt:»Abzahlen!«
Der Morgen ist grau, es war noch Sommer, als wir hinausgingen, und wir waren hundertfunfzig Mann. Jetzt friert uns, es ist Herbst, die Blatter rascheln, die Stimmen flattern mude auf:»Eins – zwei – drei – vier -«, und bei