Landschaft, die voll Krater und Lichtkalte ist wie ein Mond. Das Blut unter meiner Haut bringt Furcht und Unruhe herauf in meine Gedanken. Sie werden schwach und zittern, sie wollen Warme und Leben. Sie konnen es nicht aushaken ohne Trost und Tauschung, sie verwirren sich vor dem nackten Bilde der Verzweiflung.
Ich hore das Klappern von Kochgeschirren und habe sofort das heftige Verlangen nach warmem Essen, es wird mir gut tun und mich beruhigen. Mit Muhe zwinge ich mich, zu warten, bis ich abgelost werde.
Dann gehe ich in den Unterstand und finde einen Becher mit Graupen vor. Sie sind fett gekocht und schmecken gut, ich esse sie langsam. Aber ich bleibe still, obschon die andern besser gelaunt sind, weil das Feuer eingeschlafen ist.
Die Tage gehen hin, und jede Stunde ist unbegreiflich und selbstverstandlich. Die Angriffe wechseln mit Gegenangriffen, und langsam haufen sich auf dem Trichterfeld zwischen den Graben die Toten. Die Verwundeten, die nicht sehr weit weg liegen, konnen wir meistens holen. Manche aber mussen lange liegen, und wir horen sie sterben.
Einen suchen wir vergeblich zwei Tage hindurch. Er mu? auf dem Bauche liegen und sich nicht mehr umdrehen konnen. Anders ist es nicht zu erklaren, da? wir ihn nicht finden; denn nur wenn man mit dem Munde dicht auf dem Boden schreit, ist die Richtung so schwer festzustellen.
Er wird einen bosen Schu? haben, eine dieser schlimmen Verletzungen, die nicht so stark sind, da? sie den Korper rasch derart schwachen, da? man halb betaubt verdammert, und auch nicht so leicht, da? man die Schmerzen mit der Aussicht ertragen kann, wieder heil zu werden. Kat meint, er hatte entweder eine Beckenzertrummerung oder einen Wirbelsaulenschu?. Die Brust sei nicht verletzt, sonst besa?e er nicht so viel Kraft zum Schreien. Man mu?te ihn bei einer anderen Verletzung sich auch bewegen sehen.
Er wird allmahlich heiser. Die Stimme ist so unglucklich im Klang, da? sie uberall herkommen konnte. In der ersten Nacht sind dreimal Leute von uns drau?en. Aber wenn sie glauben, die Richtung zu haben, und schon hinkriechen, ist die Stimme beim nachstenmal, wenn sie horchen, wieder ganz anderswo.
Bis in die Dammerung hinein suchen wir vergeblich.
Tagsuber wird das Gelande mit Glasern durchforscht; nichts ist zu entdecken. Am zweiten Tag wird der Mann leiser; man merkt, da? die Lippen und der Mund vertrocknet sind.
Unser Kompaniefuhrer hat dem, der ihn findet, Vorzugsurlaub und drei Tage Zusatz versprochen. Das ist ein machtiger Anreiz, aber wir wurden auch ohne das tun, was moglich ist; denn das Rufen ist furchtbar. Kat und Kropp gehen sogar nachmittags noch einmal vor. Albert wird das Ohrlappchen dabei abgeschossen. Es ist umsonst, sie haben ihn nicht bei sich.
Dabei ist deutlich zu verstehen, was er ruft. Zuerst hat er immer nur um Hilfe geschrien – in der zweiten Nacht mu? er etwas Fieber haben, er spricht mit seiner Frau und seinen Kindern, wir konnen oft den Namen Elise heraushoren. Heute weint er nur noch. Abends erlischt die Stimme zu einem Krachzen. Aber er stohnt noch die ganze Nacht leise. Wir horen es so genau, weil der Wind auf unsern Graben zusteht. Morgens, als wir schon glauben, er habe langst Ruhe, dringt noch einmal ein gurgelndes Rocheln heruber – Die Tage sind hei?, und die Toten liegen unbeerdigt. Wir konnen sie nicht alle holen, wir wissen nicht, wohin wir mit ihnen sollen. Sie werden von den Granaten beerdigt. Manchen treiben die Bauche auf wie Ballons. Sie zischen, rulpsen und bewegen sich. Das Gas rumort in ihnen. Der Himmel ist blau und ohne Wolken. Abends wird es schwul, und die Hitze steigt aus der Erde. Wenn der Wind zu uns heruberweht, bringt er den Blutdunst mit, der schwer und widerwartig su?lich ist, diesen Totenbrodem der Trichter, der aus Chloroform und Verwesung gemischt scheint und uns Ubelkeiten und Erbrechen verursacht.
Die Nachte werden ruhig, und die Jagd auf die kupfernen
Fuhrungsringe der Granaten und die Seidenschirme der franzosischen Leuchtkugeln geht los. Weshalb die Fuhrungsringe so begehrt sind, wei? eigentlich keiner recht. Die Sammler behaupten einfach, sie seien wertvoll. Es gibt Leute, die so viel davon mitschleppen, da? sie krumm und schief darunter gehen, wenn wir abrucken.
Haie gibt wenigstens einen Grund an; er will sie seiner Braut als Strumpfbanderersatz schicken. Daruber bricht bei den Friesen naturlich unbandige Heiterkeit aus; sie schlagen sich auf die Knie, das ist ein Witz, Donnerwetter, der Haie, der hat es hinter den Ohren. Besonders Tjaden kann sich gar nicht fassen; er hat den gro?ten der Ringe in der Hand und steckt alle Augenblicke sein Bein hindurch, um zu zeigen, wieviel da noch frei ist. »Haie, Mensch, die mu? ja Beine haben, Beine«- seine Gedanken klettern etwas hoher -,»und einen Hintern mu? die dann ja haben, wie – wie ein Elefant.«
Er kann sich nicht genug tun. »Mit der mochte ich mal Schinkenkloppen spielen, meine Fresse…«
Haie strahlt, weil seine Braut soviel Anerkennung findet, und au?ert selbstzufrieden und knapp:»Stramm isse!«
Die Seidenschirme sind praktischer zu verwerten. Drei oder vier ergeben eine Bluse, je nach der Brustweite. Kropp und ich brauchen sie als Taschentucher. Die andern schicken sie nach Hause. Wenn die Frauen sehen konnten, mit wieviel Gefahr diese dunnen Lappen oft geholt werden, wurden sie einen schonen Schreck kriegen. Kat uberrascht Tjaden, wie er von einem Blindganger in aller Seelenruhe die Ringe abzuklopfen versucht. Bei jedem andern ware das Ding explodiert, Tjaden hat wie stets Gluck.
Einen ganzen Vormittag spielen zwei Schmetterlinge vor unserm Graben. Es sind Zitronenfalter, ihre gelben Flugel haben rote Punkte. Was mag sie nur hierher verschlagen haben; weit und breit ist keine Pflanze und keine Blume. Sie ruhen sich auf den Zahnen eines Schadels aus. Ebenso sorglos wie sie sind die Vogel, die sich langst an den Krieg gewohnt haben. Jeden Morgen steigen Lerchen zwischen der Front auf. Vor einem Jahr konnten wir sogar brutende beobachten, die ihre Jungen auch hochbekamen.
Vor den Ratten haben wir Ruhe im Graben. Sie sind vorn – wir wissen, wozu. Sie werden fett; wo wir eine sehen, knallen wir sie weg. Nachts horen wir wieder das Rollen von druben. Tagsuber haben wir nur das normale Feuer, so da? wir die Graben ausbessern konnen. Unterhaltung ist ebenfalls da, die Flieger sorgen dafur. Taglich finden zahlreiche Kampfe ihr Publikum.
Die Kampfflieger lassen wir uns gefallen, aber die Beobachtungsflugzeuge hassen wir wie die Pest; denn sie holen uns das Artilleriefeuer heruber. Ein paar Minuten nachdem sie erscheinen, funkt es von Schrapnells und Granaten. Dadurch verlieren wir elf Leute an einem Tag, darunter funf Sanitater. Zwei werden so zerschmettert, da? Tjaden meint, man konne sie mit dem Loffel von der Grabenwand abkratzen und im Kochgeschirr beerdigen. Einem andern wird der Unterleib mit den Beinen abgerissen. Er lehnt tot auf der Brust im Graben, sein Gesicht ist zitronengelb, zwischen dem Vollbart glimmt noch die Zigarette. Sie glimmt, bis sie auf den Lippen verzischt. Wir legen die Toten vorlaufig in einen gro?en Trichter. Es sind bis jetzt drei Lagen ubereinander.
Plotzlich beginnt das Feuer nochmals zu trommeln. Bald sitzen wir wieder in der gespannten Starre des untatigen Wartens.
Angriff, Gegenangriff, Sto?, Gegensto? – das sind Worte, aber was umschlie?en sie! Wir verlieren viele Leute, am meisten Rekruten. Auf unserem Abschnitt wird wieder Ersatz eingeschoben. Es ist eines der neuen Regimenter, fast lauter junge Leute der letzten ausgehobenen Jahrgange. Sie haben kaum eine Ausbildung, nur theoretisch haben sie etwas uben konnen, ehe sie ins Feld ruckten. Was eine Handgranate ist, wissen sie zwar, aber von Deckung haben sie wenig Ahnung, vor allen Dingen haben sie keinen Blick dafur. Eine Bodenwelle mu? schon einen halben Meter hoch sein, ehe sie von ihnen gesehen wird.
Obschon wir notwendig Verstarkung brauchen, haben wir fast mehr Arbeit mit den Rekruten, als da? sie uns nutzen. Sie sind hilflos in diesem schweren Angriffsgebiet und fallen wie die Fliegen. Der Stellungskampf von heute erfordert Kenntnisse und Erfahrungen, man mu? Verstandnis fur das Gelande haben, man mu? die Geschosse, ihre Gerausche und Wirkungen im Ohr haben, man mu? vorausbestimmen konnen, wo sie einbauen, wie sie streuen und wie man sich schutzt.
Dieser junge Ersatz wei? naturlich von alledem noch fast gar nichts. Er wird aufgerieben, weil er kaum ein Schrapnell von einer Granate unterscheiden kann, die Leute werden weggemaht, weil sie angstvoll auf das Heulen