ich denke an das Bild des Madchens auf dem Plakat und glaube einen Augenblick, da? mein Leben davon abhangt, es zu gewinnen. – Und um so tiefer presse ich mich in die Arme, die mich umfassen, vielleicht geschieht ein Wunder.
Irgendwie finden wir uns alle nachher wieder zusammen. Leer ist sehr forsch. Wir verabschieden uns herzlich und schlupfen in unsere Stiefel. Die Nachtluft kuhlt unsere hei?en Korper. Gro? ragen die Pappeln in das Dunkel und rauschen. Der Mond steht am Himmel und im Wasser des Kanals. Wir laufen nicht, wir gehen nebeneinander mit langen Schritten.
Leer sagt:»Das war ein Kommi?brot wert!« Ich kann mich nicht entschlie?en zu sprechen, ich bin gar nicht einmal froh.
Da horen wir Schritte und ducken uns hinter einen Busch.
Die Schritte kommen naher, dicht an uns vorbei. Wir sehen einen nackten Soldaten, in Stiefeln, genau wie wir, er hat ein Paket unter dem Arm und sprengt im Galopp vorwarts. Es ist Tjaden in gro?er Fahrt. Schon ist er verschwunden. Wir lachen.
Morgen wird er schimpfen. Unbemerkt gelangen wir zu unseren Strohsacken.
Ich werde zur Schreibstube gerufen. Der Kompaniefuhrer gibt mir Urlaubsschein und Fahrschein und wunscht mir gute Reise. Ich sehe nach, wieviel Urlaub ich habe. Siebzehn Tage – vierzehn sind Urlaub, drei Reisetage. Es ist zuwenig, und ich frage, ob ich nicht funf Reisetage haben kann. Bertinck zeigt auf meinen Schein. Da sehe ich erst, da? ich nicht sofort zur Front zuruckkomme. Ich habe mich nach Ablauf des Urlaubs noch zum Kursus im Heidelager zu melden.
Die anderen beneiden mich. Kat gibt mir gute Ratschlage, wie ich versuchen soll, Druckpunkt zu nehmen. »Wenn du gerissen bist, bleibst du da hangen.« Es ware mir eigentlich lieber gewesen, wenn ich erst in acht Tagen hatte fahren brauchen; denn so lange sind wir noch hier, und hier ist es ja gut. – Naturlich mu? ich in der Kantine einen ausgeben. Wir sind alle ein bi?chen angetrunken. Ich werde trubselig; es sind sechs Wochen, die ich fortbleiben werde, das ist naturlich ein machtiges Gluck, aber wie wird es sein, wenn ich zuruckkomme? Werde ich sie hier noch alle wiedertreffen? Haie und Kemmerich sind schon nicht mehr da – wer wird der nachste sein?
Wir trinken, und ich sehe einen nach dem andern an. Albert sitzt neben mir und raucht, er ist munter, wir sind immer zusammen gewesen; – gegenuber hockt Kat mit den abfallenden Schultern, dem breiten Daumen und der ruhigen Stimme, Muller mit den vorstehenden Zahnen und dem bellenden Lachen; – Tjaden mit den Mauseaugen; – Leer, der sich einen Vollbart stehen la?t und ausschaut wie vierzig.
Uber unsern Kopfen schwebt dicker Qualm. Was ware der Soldat ohne Tabak! Die Kantine ist eine Zuflucht, Bier ist mehr als ein Getrank, es ist ein Zeichen, da? man gefahrlos die Glieder dehnen und recken darf. Wir tun es auch ordentlich, die Beine haben wir lang von uns gestreckt, und wir spucken gemutlich in die Gegend, da? es nur so eine Art hat. Wie einem das alles vorkommt, wenn man morgen abreist!
Nachts sind wir noch einmal jenseits des Kanals. Ich habe beinahe Furcht, der Schmalen, Dunklen zu sagen, da? ich fortgehe und da?, wenn ich zuruckkehre, wir sicher irgendwo weiter sind; da? wir uns also nicht wiedersehen werden. Aber sie nickt nur und la?t nicht allzuviel merken. Ich kann das erst gar nicht recht verstehen, dann aber begreife ich. Leer hat schon recht: ware ich an die Front gegangen, dann hatte es wieder gehei?en:»pauvre garcon«; aber ein Urlauber – davon wollen sie nicht viel wissen, das ist nicht so interessant. Mag sie zum Teufel gehen mit ihrem Gesumm und Gerede. Man glaubt an Wunder, und nachher sind es Kommi?brote.
Am nachsten Morgen, nachdem ich entlaust bin, marschiere ich zur Feldbahn. Albert und Kat begleiten mich.
Wir horen an der Haltestelle, da? es wohl noch ein paar Stunden dauern wird bis zur Abfahrt. Die beiden mussen zum Dienst zuruck. Wir nehmen Abschied.
»Mach’s gut, Kat; mach’s gut, Albert.«
Sie gehen und winken noch ein paarmal. Ihre Gestalten werden kleiner. Mir ist jeder Schritt, jede Bewegung an ihnen vertraut, ich wurde sie weithin schon daran erkennen. Dann sind sie verschwunden.
Ich setze mich auf meinen Tornister und warte.
Plotzlich bin ich von rasender Ungeduld erfullt, fortzukommen.
Ich liege auf manchem Bahnhof; ich stehe vor manchem Suppenkessel; ich hocke auf mancher Holzplanke; dann aber wird die Landschaft drau?en beklemmend, unheimlich und bekannt. An den abendlichen Fenstern gleitet sie voruber, mit Dorfern, in denen Strohdacher wie Mutzen tief uber gekalkte Fachwerkhauser gezogen sind, mit Kornfeldern, die wie Perlmutter im schragen Licht schimmern, mit Obstgarten und Scheunen und alten Linden. Die Namen der Stationen werden zu Begriffen, bei denen mein Herz zittert. Der Zug stampft und stampft, ich stehe am Fenster und halte mich an den Rahmenholzern fest.
Diese Namen umgrenzen meine Jugend.
Flache Wiesen, Felder, Hofe; ein Gespann zieht einsam vor dem Himmel uber den Weg, der parallel zum Horizont lauft. Eine Schranke, vor der Bauern warten, Madchen, die winken, Kinder, die am Bahndamm spielen, Wege, die ins Land fuhren, glatte Wege, ohne Artillerie.
Es ist Abend, und wenn der Zug nicht stampfte, mu?te ich schreien. Die Ebene entfaltet sich gro?, in schwachem Blau beginnt in der Ferne die Silhouette der Bergrander aufzusteigen. Ich erkenne die charakteristische Linie des Dolbenberges, diesen gezackten Kamm, der jah abbricht, wo der Scheitel des Waldes aufhort. Dahinter mu? die Stadt kommen.
Aber nun flie?t das goldrote Licht verschwimmend uber die Welt, der Zug rattert durch eine Kurve und noch eine – und unwirklich, verweht, dunkel stehen die Pappeln darin, weit weg, hintereinander in langer Reihe, gebildet aus Schatten, Licht und Sehnsucht.
Das Feld dreht sich mit ihnen langsam vorbei; der Zug umgeht sie, die Zwischenraume verringern sich, sie werden ein Block, und einen Augenblick sehe ich nur eine einzige; dann schieben sich die anderen wieder hinter der vordersten heraus, und sie sind noch lange allein am Himmel, bis sie von den ersten Hausern verdeckt werden.
Ein Bahnubergang. Ich stehe am Fenster, ich kann mich nicht trennen. Die andern bereiten ihre Sachen zum Aussteigen vor. Ich spreche den Namen der Stra?e, die wir uberqueren, vor mich hin, Bremer Stra?e – Bremer Stra?e – Radfahrer, Wagen, Menschen sind da unten; es ist eine graue Stra?e und eine graue Unterfuhrung; – sie ergreift mich, als ware sie meine Mutter.
Dann halt der Zug, und der Bahnhof ist da mit Larm, Rufen und Schildern. Ich packe meinen Tornister auf und mache die Haken fest, ich nehme mein Gewehr in die Hand und stolpere die Tritte hinunter.
Auf dem Perron sehe ich mich um; ich kenne niemand von den Leuten, die da hasten. Eine Rote-Kreuz- Schwester bietet mir etwas zu trinken an. Ich wende mich ab, sie lachelt mich zu albern an, so durchdrungen von ihrer Wichtigkeit: Seht nur, ich gebe einem Soldaten Kaffee. – Sie sagt zu mir »Kamerad«, das hat mir gerade gefehlt. Drau?en vor dem Bahnhof aber rauscht der Flu? neben der Stra?e, er zischt wei? aus den Schleusen der Muhlenbrucke hervor. Der viereckige alte Wartturm steht daran, und vor ihm die gro?e bunte Linde, und dahinter der Abend.
Hier haben wir gesessen, oft – wie lange ist das her -; uber diese Brucke sind wir gegangen und haben den kuhlen, fauligen Geruch des gestauten Wassers eingeatmet; wir haben uns uber die ruhige Flut diesseits der Schleuse gebeugt, in der grune Schlinggewachse und Algen an den Bruckenpfeilern hingen; – und wir haben uns jenseits der Schleuse an hei?en Tagen uber den spritzenden Schaum gefreut und von unseren Lehrern geschwatzt.
Ich gehe uber die Brucke, ich schaue rechts und links; das Wasser ist immer noch voll Algen, und es schie?t immer noch in hellem Bogen herab; – im Turmgebaude stehen die Platterinnen wie damals mit blo?en Armen vor