Schritt vor seiner Gruppe sein; – kommandiert man nun: Kehrt – marsch!, so macht die Schwarmlinie nur die Wendung, der Gruppenfuhrer jedoch, der dadurch plotzlich zwanzig Schritt hinter der Linie ist, mu? im Galopp vorsturzen, um wieder seine zwanzig Schritt vor die Gruppe zu kommen. Das sind zusammen vierzig Schritt: Marsch, marsch. Kaum ist er aber angelangt, so wird einfach wieder Kehrt -marsch! befohlen, und er mu? eiligst wieder vierzig Schritt nach der anderen Seite rasen. Auf diese Weise macht die Gruppe nur gemutlich immer eine Wendung und ein paar Schritte, wahrend der Gruppenfuhrer hin und her saust wie ein Furz auf der Gardinenstange. Das Ganze ist eines der vielen probaten Rezepte von Himmelsto?.
Kantorek kann von Mittelstaedt nichts anderes verlangen, denn er hat ihm einmal eine Versetzung vermurkst, und Mittelstaedt ware schon dumm, diese gute Gelegenheit nicht auszunutzen, bevor er wieder ins Feld kommt. Man stirbt doch vielleicht etwas leichter, wenn der Kommi? einem auch einmal solch eine Chance geboten hat. Einstweilen spritzt Kantorek hin und her wie ein aufgescheuchtes Wildschwein. Nach einiger Zeit la?t Mittelstaedt aufhoren, und nun beginnt die so wichtige Ubung des Kriechens. Auf Knien und Ellenbogen, die Knarre vorschriftsma?ig gefa?t, schiebt Kantorek seine Prachtfigur durch den Sand, dicht an uns vorbei. Er schnauft kraftig, und sein Schnaufen ist Musik.
Mittelstaedt ermuntert ihn, indem er den Landsturmmann Kantorek mit Zitaten des Oberlehrers Kantorek trostet. »Landsturmmann Kantorek, wir haben das Gluck, in einer gro?en Zeit zu leben, da mussen wir alle uns zusammenrei?en und das Bittere uberwinden.« Kantorek spuckt ein schmutziges Stuck Holz aus, das ihm zwischen die Zahne gekommen ist, und schwitzt. Mittelstaedt beugt sich nieder, beschworend eindringlich:»Und uber Kleinigkeiten niemals das gro?e Erlebnis vergessen, Landsturmmann Kantorek!«
Mich wundert, da? Kantorek nicht mit einem Knall zerplatzt, besonders, da jetzt die Turnstunde folgt, in der Mittelstaedt ihn gro?artig kopiert, indem er ihm in den Hosenboden fa?t beim Klimmzug am Querbaum, damit er das Kinn stramm uber die Stange bringen kann, und dazu von weisen Reden nur so trieft. Genauso hat Kantorek es fruher mit ihm gemacht.
Danach wird der weitere Dienst verteilt. »Kantorek und Boettcher zum Kommi?brotholen! Nehmen Sie den Handwagen mit.«
Ein paar Minuten spater geht das Paar mit dem Handwagen los. Kantorek halt wutend den Kopf gesenkt. Der Portier ist stolz, weil er leichten Dienst hat.
Die Brotfabrik ist am andern Ende der Stadt. Beide mussen also hin und zuruck durch die ganze Stadt.
»Das machen sie schon ein paar Tage«, grinst Mittelstaedt. »Es gibt bereits Leute, die darauf warten, sie zu sehen.«»Gro?artig«, sage ich,»aber hat er sich noch nicht beschwert?«
»Versucht! Unser Kommandeur hat furchtbar gelacht, als er die Geschichte gehort hat. Er kann keine Schulmeister leiden. Au?erdem poussiere ich mit seiner Tochter;«
»Er wird dir das Examen versauen.«
»Darauf pfeife ich«, meint Mittelstaedt gelassen. »Seine Beschwerde ist au?erdem zwecklos gewesen, weil ich beweisen konnte, da? er meistens leichten Dienst hat.«
»Konntest du ihn nicht mal ganz gro? schleifen?« frage ich.
»Dazu ist er mir zu damlich«, antwortet Mittelstaedt erhaben und gro?zugig.
Was ist Urlaub? – Ein Schwanken, das alles nachher noch viel schwerer macht. Schon jetzt mischt sich der Abschied hinein. Meine Mutter sieht mich schweigend an; – sie zahlt die Tage, ich wei? es; – jeden Morgen ist sie traurig. Es ist schon wieder ein Tag weniger. Meinen Tornister hat sie weggepackt, sie will durch ihn nicht erinnert werden. Die Stunden laufen schnell, wenn man grubelt. Ich raffe mich auf und begleite meine Schwester. Sie geht zum Schlachthof, um einige Pfund Knochen zu holen. Das ist eine gro?e Vergunstigung, und morgens schon stellen sich die Leute hin, um darauf anzustehen. Manche werden ohnmachtig.
Wir haben kein Gluck. Nachdem wir drei Stunden abwechselnd gewartet haben, lost sich die Reihe auf. Die Knochen sind zu Ende.
Es ist gut, da? ich meine Verpflegung erhalte. Davon bringe ich meiner Mutter mit, und wir haben so alle etwas kraftigeres Essen.
Immer schwerer werden die Tage, die Augen meiner Mutter immer trauriger. Noch vier Tage. Ich mu? zu Kemmerichs Mutter gehen.
Man kann das nicht niederschreiben. Diese bebende, schluchzende Frau, die mich schuttelt und mich anschreit:»Weshalb lebst du denn, wenn er tot ist!«, die mich mit Tranen uberstromt und ruft:»Weshalb seid ihr uberhaupt da, Kinder, wie ihr -«, die in einen Stuhl sinkt und weint:»Hast du ihn gesehen? Hast du ihn noch gesehen? Wie starb er?«
Ich sage ihr, da? er einen Schu? ins Herz erhalten hat und gleich tot war. Sie sieht mich an, sie zweifelt:»Du lugst. Ich wei? es besser. Ich habe gefuhlt, wie schwer er gestorben ist. Ich habe seine Stimme gehort, seine Angst habe ich nachts gespurt, – sag die Wahrheit, ich will es wissen, ich mu? es wissen.«
»Nein«, sage ich,»ich war neben ihm. Er war sofort tot.« Sie bittet mich leise:»Sag es mir. Du mu?t es. Ich wei?, du willst mich damit trosten, aber siehst du nicht, da? du mich schlimmer qualst, als wenn du die Wahrheit sagst? Ich kann die Ungewi?heit nicht ertragen, sag mir, wie es war, und wenn es noch so furchtbar ist. Es ist immer noch besser, als was ich sonst denken mu?.«
Ich werde es nie sagen, eher kann sie aus mir Hackfleisch machen. Ich bemitleide sie, aber sie kommt mir auch ein wenig dumm vor. Sie soll sich doch zufrieden geben, Kemmerich bleibt tot, ob sie es wei? oder nicht. Wenn man so viele Tote gesehen hat, kann man so viel Schmerz um einen einzigen nicht mehr recht begreifen. So sage ich etwas ungeduldig:»Er war sofort tot. Er hat es gar nicht gefuhlt. Sein Gesicht war ganz ruhig.«
Sie schweigt. Dann fragt sie langsam:»Kannst du das beschworen?«
»Ja.«
»Bei allem, was dir heilig ist?«
Ach Gott, was ist mir schon heilig; – so was wechselt ja schnell bei uns.
»Ja, er war sofort tot.«
»Willst du selbst nicht wiederkommen, wenn es nicht wahr ist?«
»Ich will nicht wiederkommen, wenn er nicht sofort tot war.«
Ich wurde noch wer wei? was auf mich nehmen. Aber sie scheint mir zu glauben. Sie stohnt und weint lange. Ich soll erzahlen, wie es war, und erfinde eine Geschichte, an die ich jetzt beinahe selbst glaube.
Als ich gehe, ku?t sie mich und schenkt mir ein Bild von ihm. Er lehnt darauf in seiner Rekrutenuniform an einem runden Tisch, dessen Beine aus ungeschalten Birkenasten bestehen. Dahinter ist ein Wald gemalt als Kulisse. Auf dem Tisch steht ein Bierseidel.
Es ist der letzte Abend zu Hause. Alle sind schweigsam. Ich gehe fruh zu Bett, ich fasse die Kissen an, ich drucke sie an mich und lege den Kopf hinein. Wer wei?, ob ich je wieder so in einem Federbett liegen werde!
Meine Mutter kommt spat noch in mein Zimmer. Sie glaubt, da? ich schlafe, und ich stelle mich auch so. Zu sprechen, wach miteinander zu sein, ist zu schwer.
Sie sitzt fast bis zum Morgen, obschon sie Schmerzen hat und sich manchmal krummt. Endlich kann ich es nicht mehr aushaken, ich tue, als erwachte ich.
»Geh schlafen, Mutter, du erkaltest dich hier.«
Sie sagt:»Schlafen kann ich noch genug spater.«
Ich richte mich auf. »Es geht ja nicht sofort ins Feld, Mutter. Ich mu? doch erst vier Wochen ins Barackenlager. Von dort komme ich vielleicht einen Sonntag noch heruber.«
Sie schweigt. Dann fragt sie leise:»Furchtest du dich sehr?«
»Nein, Mutter.«
»Ich wollte dir noch sagen: Nimm dich vor den Frauen in acht in Frankreich. Sie sind schlecht dort.«
Ach Mutter, Mutter! Fur dich bin ich ein Kind, – warum kann ich nicht den Kopf in deinen Scho? legen und