weinen? Warum mu? ich immer der Starkere und der Gefa?tere sein, ich mochte doch auch einmal weinen und getrostet werden, ich bin doch wirklich nicht viel mehr als ein Kind, im Schrank hangen noch meine kurzen Knabenhosen, – es ist doch erst so wenig Zeit her, warum ist es denn vorbei?
So ruhig ich kann, sage ich:»Wo wir liegen, da sind keine Frauen, Mutter.«
»Und sei recht vorsichtig dort im Felde, Paul.«
Ach Mutter, Mutter! Warum nehme ich dich nicht in meine Arme, und wir sterben. Was sind wir doch fur arme Hunde!
»Ja, Mutter, das will ich sein.«
»Ich werde jeden Tag fur dich beten, Paul.«
Ach Mutter, Mutter! La? uns aufstehen und fortgehen, zuruck durch die Jahre, bis all dies Elend nicht mehr auf uns liegt, zuruck zu dir und mir allein, Mutter!
»Vielleicht kannst du einen Posten bekommen, der nicht so gefahrlich ist.«
»Ja, Mutter, vielleicht komme ich in die Kuche, das kann wohl sein.«
»Nimm ihn ja an, wenn die andern auch reden -«
»Darum kummere ich mich nicht, Mutter -«
Sie seufzt. Ihr Gesicht ist ein wei?er Schein im Dunkel.
»Nun mu?t du schlafen gehen, Mutter.«
Sie antwortet nicht. Ich stehe auf und lege ihr meine Decke uber die Schultern. Sie stutzt sich auf meinen Arm, sie hat Schmerzen. So bringe ich sie hinuber. Eine Weile bleibe ich noch bei ihr. »Du mu?t nun auch gesund werden, Mutter, bis ich wiederkomme.«
»Jaja, mein Kind.«
»Ihr durft mir nicht eure Sachen schicken, Mutter. Wir haben drau?en genug zu essen. Ihr konnt es hier besser brauchen.«
Wie arm sie in ihrem Bette liegt, sie, die mich liebt, mehr als alles. Als ich schon gehen will, sagt sie hastig:»Ich habe dir noch zwei Unterhosen besorgt. Es ist gute Wolle. Sie werden warm halten. Du mu?t nicht vergessen, sie dir einzupacken.«
Ach Mutter, ich wei?, was dich diese beiden Unterhosen gekostet haben an Herumstehen und Laufen und Betteln! Ach Mutter, Mutter, wie kann man es begreifen, da? ich weg mu? von dir, wer hat denn anders ein Recht auf mich als du. Noch sitze ich hier, und du liegst dort, wir mussen uns so vieles sagen, aber wir werden es nie konnen.
»Gute Nacht, Mutter.«
»Gute Nacht, mein Kind.«
Das Zimmer ist dunkel. Der Atem meiner Mutter geht darin hin und her. Dazwischen tickt die Uhr. Drau?en vor den Fenstern weht es. Die Kastanien rauschen.
Auf dem Vorplatz stolpere ich uber meinen Tornister, der fertig gepackt daliegt, weil ich morgen sehr fruh fort mu?.
Ich bei?e in meine Kissen, ich krampfe die Fauste um die Eisenstabe meines Bettes. Ich hatte nie hierherkommen durfen. Ich war gleichgultig und oft hoffnungslos drau?en; – ich werde es nie mehr so sein konnen. Ich war ein Soldat, und nun bin ich nichts mehr als Schmerz um mich, um meine Mutter, um alles, was so trostlos und ohne Ende ist. Ich hatte nie auf Urlaub fahren durfen.
8.
Die Baracken im Heidelager kenne ich noch. Hier hat Himmelsto? Tjaden erzogen. Sonst aber kenne ich kaum jemand hier; alles hat gewechselt, wie immer. Nur einige der Leute habe ich fruher fluchtig gesehen.
Den Dienst mache ich mechanisch. Abends bin ich fast stets im Soldatenheim, da liegen Zeitschriften aus, die ich aber nicht lese; es steht jedoch ein Klavier da, auf dem ich gern ‘ spiele. Zwei Madchen bedienen, eins davon ist jung. Das Lager ist von hohen Drahtzaunen umgeben. Wenn wir spat aus dem Soldatenheim kommen, mussen wir Passierscheine haben. Wer sich mit dem Posten versteht, kriecht naturlich auch so durch.
Zwischen Wacholderbuschen und Birkenwaldern uben wir jeden Tag Kompanieexerzieren in der Heide. Es ist zu ertragen, wenn man nicht mehr verlangt. Man rennt vorwarts, wirft sich hin, und der Atem biegt die Stengel und Bluten der Heide hin und her. Der klare Sand ist, so dicht am Boden gesehen, rein wie in einem Laboratorium, aus vielen kleinsten Kieseln gebildet. Es ist seltsam verlockend, die Hand hineinzugraben. Aber das schonste sind die Walder mit ihren Birkenrandern. Sie wechseln jeden Augenblick die Farbe. Jetzt leuchten die Stamme im hellsten Wei?, und seidig und luftig schwebt zwischen ihnen das pastellhafte Grun des Laubes; – im nachsten Moment wechselt alles zu einem opalenen Blau, das silbrig vom Rande her streicht und das Grun forttupft; – aber sogleich vertieft es sich an einer Stelle fast zu Schwarz, wenn eine Wolke uber die Sonne geht. Und dieser Schatten lauft wie ein Gespenst zwischen den nun fahlen Stammen entlang, weiter uber die Heide zum Horizont, – inzwischen stehen die Birken schon wie festliche Fahnen mit wei?en Stangen vor dem rotgoldenen Geloder ihres sich farbenden Laubes.
Ich verliere mich oft an dieses Spiel zartester Lichter und durchsichtiger Schatten, so sehr, da? ich fast die Kommandos uberhore; – wenn man allein ist, beginnt man die Natur zu beobachten und zu lieben. Und ich habe hier nicht viel Anschlu?, wunsche ihn auch nicht uber das normale Ma? hinaus. Man ist zuwenig miteinander bekannt, um mehr zu tun, als etwas zu quatschen und abends Siebzehn-und-vier zu spielen oder zu mauscheln. Neben unsern Baracken befindet sich das gro?e Russenlager. Es ist von uns zwar durch Drahtwande getrennt, trotzdem gelingt es den Gefangenen doch, zu uns heruberzukommen. Sie geben sich sehr scheu und angstlich, dabei haben die meisten Barte und sind gro?; dadurch wirken sie wie verprugelte Bernhardiner.
Sie schleichen um unsere Baracken und revidieren die Abfalltonnen. Man mu? sich vorstellen, was sie da finden. Die Kost ist bei uns schon knapp und vor allem schlecht, es gibt Steckruben, in sechs Teile geschnitten und in Wasser gekocht, Mohrrubenstrunke, die noch schmutzig sind; fleckige Kartoffeln sind gro?e Leckerbissen, und das Hochste ist dunne Reissuppe, in der kleingeschnittene Rindfleischsehnen schwimmen sollen. Aber sie sind so klein geschnitten, da? sie nicht mehr zu finden sind.
Trotzdem wird naturlich alles gegessen. Wenn wirklich einer mal so reich ist, nicht leerfuttern zu brauchen, stehen zehn andere da, die es ihm gern abnehmen. Nur die Reste, die der Loffel nicht mehr erreicht, werden ausgespult und in die Abfalltonnen geschuttet. Dazu kommen dann manchmal einige Steckrubenschalen, verschimmelte Brotrinden und allerlei Dreck.
Dieses dunne, trube, schmutzige Wasser ist das Ziel der Gefangenen. Sie schopfen es gierig aus den stinkenden Tonnen und tragen es unter ihren Blusen fort.
Es ist sonderbar, diese unsere Feinde so nahe zu sehen. Sie haben Gesichter, die nachdenklich machen, gute Bauerngesichter, breite Stirnen, breite Nasen, breite Lippen, breite Hande, wolliges Haar. Man mu?te sie zum Pflugen und Mahen und Apfelpflucken verwenden. Sie sehen noch gutmutiger aus als unsere Bauern in Friesland.
Es ist traurig, ihre Bewegungen, ihr Betteln um etwas Essen zu sehen. Sie sind alle ziemlich schwach, denn sie erhalten gerade so viel, da? sie nicht verhungern. Wir selbst bekommen ja langst nicht satt zu essen. Sie haben Ruhr, mit angstlichen Blicken zeigen manche verstohlen blutige Hemdzipfel heraus. Ihre Rucken, ihre Nacken sind gekrummt, die Knie geknickt, der Kopf blickt schief von unten herauf, wenn sie die Hand ausstrecken und mit den wenigen Worten, die sie kennen, betteln, – betteln mit diesen weichen, leisen Bassen, die wie warme Ofen und Heimatstuben sind.
Es gibt Leute, die ihnen einen Tritt geben, da? sie umfallen; – aber das sind nur wenig. Die meisten tun ihnen nichts, sie gehen an ihnen vorbei. Mitunter, wenn sie sehr elend sind allerdings, gerat man daruber in Wut und versetzt ihnen dann einen Tritt. Wenn sie einen nur nicht so ansehen wollten, – was fur ein Jammer in zwei so kleinen Flecken sitzen kann, die man mit dem Daumen schon zuhalten kann: in den Augen.
Abends kommen sie in die Baracken und handeln. Sie tauschen alles, was sie haben, gegen Brot ein. Es gelingt ihnen manchmal, denn sie haben gute Stiefel, unsere aber sind schlecht. Das Leder ihrer hohen Schaftstiefel ist wunderbar weich, wie Juchten. Die Bauernsohne bei uns, die von zu Hause Fettigkeiten geschickt erhalten, konnen sie sich leisten. Der Preis fur ein Paar Stiefel ist ungefahr zwei bis drei Kommi?brote oder ein Kommi?brot und eine kleinere harte Mettwurst.