Der Brunnen war lauter, kühl und auch gut; Da neigte sich Gunther hernieder zu der Flut. Als er getrunken hatte, erhob er sich hindann Also hätt auch gerne der kühne Siegfried getan. (1006) Da entgalt er seiner Tugend; den Bogen und das Schwert Trug Hagen beiseite von dem Degen wert. Dann sprang er schnell zurücke, wo er den Wurfspieß fand Und sah nach einem Zeichen an des Kühnen Gewand. (1007) Als Siegfried der König aus dem Brunnen trank, Schoss er ihm durch das Kreuze, dass aus der Wunde sprang Das Blut seines Herzens hoch an Hagens Staat. Kein Held begeht wieder also große Missetat. (1008) Den Wurfspieß im Herzen ließ er ihn stecken tief: Wie im Fliehen Hagen da so grimmig lief, So lief er wohl auf Erden nie vor einem Mann! Als sich der starke Siegfried der großen Wunde besann, (1009) Der Held in wildem Toben von dem Brunnen sprang; Ihm ragte von den Schultern eine Speerstange lang. Nun wähnt' er da zu finden Bogen oder Schwert, So hätt er Lohn Herrn Hagen wohl nach Verdienste gewährt. (1010) Als der Todwunde das Schwert nicht wieder fand, Da blieb ihm nichts weiter als der Schildesrand. Den hob er von dem Brunnen und rannte Hagnen an; Da konnt ihm nicht entrinnen König Gunthers Untertan. (1011) Wie wund er war zum Tode, so kräftig doch er schlug, Dass von dem Schilde nieder rieselte genug Des edeln Gesteins; der Schild zerbrach auch fast! So gern gerochen hätte sich der herrliche Gast. (1012) Gestrauchelt war da Hagen von seiner Hand zu Tal; Der Anger von den Schlägen erscholl im Wiederhall. Hätt er sein Schwert in Händen, so wär es Hagens Tod. Sehr zürnte der Verwundete, es zwang ihn wahrhafte Not. (1013) Seine Farbe war erblichen, er konnte nicht mehr stehn. Seines Leibes Stärke musste ganz zergehn, Da er des Todes Zeichen in lichter Farbe trug. Er ward hernach beweinet von schönen Frauen genug. (1014) Da fiel in die Blumen der Kriemhilde Mann: Das Blut von seiner Wunde stromweis nieder rann. Da begann er die zu schelten, ihn zwang die große Not, Die da geraten hatten mit Untreue seinen Tod. (1015) Da sprach der Todwunde: “Weh, ihr bösen Zagen, Was helfen meine Dienste, da ihr mich habt erschlagen? Ich war euch stets gewogen und sterbe nun daran: Ihr habt an euern Freunden leider übel getan. (1016) Die sind dadurch bescholten, was ihrer auch geborn Wird nach diesem Tage: Ihr habt euern Zorn Allzu sehr gerochen an dem Leben mein. Mit Schanden geschieden sollt ihr von guten Recken sein.” (1017) Hinliefen all die Ritter, wo er erschlagen lag: Es war ihrer vielen ein freudeloser Tag. Wer irgend Treue kannte, von dem ward er beklagt: Das hatt auch wohl um alle verdient der Degen unverzagt. (1018) Der König von Burgonden beklagt' auch seinen Tod. Da sprach der Todwunde: “Das tut nimmer Not, Dass der um Schaden weinet, durch den man ihn gewann: Er verdient groß Schelten, er hätt es besser nicht getan.” (1019) Da sprach der grimme Hagen: “Ich weiß nicht, was euch reut: Nun hat zumal ein Ende unser sorglich Leid. Nun mags nicht manchen geben, der uns darf bestehn; Wohl mir, dass seiner Herrschaft durch mich ein End ist geschehn.” (1020) “Ihr mögt euch leichtlich rühmen,” sprach der von Niederland; “Hätt ich die mörderische Weis an euch erkannt, Vor euch hätt ich behalten Leben wohl und Leib. Mich dauert nichts auf Erden als Frau Kriemhilde mein Weib. (1021)