Da sie zum Münster kamen, wie manche Glocke klang! Man hörte allenthalben manchen Pfaffen Sang. Da kam der König Gunther herzu mit seinem Bann Und auch der grimme Hagen: Sie hättens klüger nicht getan. (1070) Er sprach: “Liebe Schwester, o weh des Leides dein, Dass wir nicht ledig mögen so großen Schadens sein! Wir müssen immer klagen um Siegfriedens Leib.” “Daran tut ihr Unrecht,” sprach das jammerhafte Weib. (1071) “Wenn euch das betrübte, so wär es nicht geschehn. Ihr hattet mein vergessen, das muss ich wohl gestehn, Als ich geschieden wurde, von meinem lieben Mann. Wollte Gott vom Himmel, ihr hättet mir das getan.” (1072) Sie hielten sich am Leugnen. Kriemhilde da begann: Wer unschuldig sein will, leicht ist es dargetan, Er darf nur zu der Bahre hier vor dem Volke gehn: Da mag man gleich zur Stelle sich der Wahrheit versehn. (1073) Das ist ein großes Wunder, wie es noch oft geschieht, Wenn man den Mordbefleckten bei dem Toten sieht, So bluten ihm die Wunden, wie es auch jetzt geschah; Daher man nun der Untat sich zu Hagen versah. (1074) Die Wunden flossen wieder so stark als je vorher. Die erst so heftig klagten, die weinten nun noch mehr. Da sprach König Gunther: “Nun hört die Wahrheit an: Ihn erschlugen Schächer: Hagen hat es nicht getan.” (1075) “Mir sind diese Schächer,” sprach sie, “wohl bekannt: Nun lass es Gott noch rächen von seiner Freunde Hand! Gunther und Hagen, ihr habt es wohl getan.” Da wollten wieder streiten die Degen in Siegfrieds Bann. (1076) Da sprach aber Kriemhild: “Ertragt mit mir die Not.” Da kamen auch die beiden, wo sie ihn fanden tot, Gernot ihr Bruder und Geiselher das Kind: Sie beklagten ihn in Wahrheit; ihr Augen wurden tränenblind. (1077) Da weinten sie von Herzen um Kriemhildens Mann. Man wollte Messe singen. Zum Münster heran Gingen allenthalben, beides, Mann und Weib. Die ihn doch leicht verschmerzten, weinten um Siegfrieds Leib. (1078) Geiselher und Gernot, die sprachen: “Schwester mein, Nun tröste dich des Todes, es muss nun also sein; Wir wollen dirs ersetzen so lange wir leben.” Da wusst ihr doch niemand auf Erden Trostes zu geben. (1079) Sein Sarg war geschmiedet wohl um den hohen Tag; Man hob ihn von der Bahre, worauf der Tote lag. Da wollt ihn noch die Fraue nicht lassen begraben: Drob mussten alle Leute großen Kummer noch haben. (1080) In kostbare Zeuge man den Toten wand. Gewiss dass man da niemand ohne Tränen fand. Da klagt' aus vollem Herzen Ute das edle Weib, Und all ihr Ingesinde um Siegfrieds herrlichen Leib. (1081) Als das Volk vernommen, dass man im Münster sang Und ihn besargt hatte, da hob sich großer Drang; Um seiner Seele willen was man da Opfer trug! Er hatte bei den Feinden doch guter Freunde genug. (1082) Kriemhild die arme zu den Kämmerlingen sprach: “Ihr sollt um meinetwillen leiden Ungemach: Die ihm Gutes gönnen und mir blieben hold, Um Siegfriedens Seele verteilt an diese sein Gold.” (1083) Da war kein Kind so kleine, mocht es Verstand nur haben Das nicht zum Opfer ginge eh er ward begraben. Wohl an hundert Messen man des Tages sang; Von Siegfriedens Freunden hob sich da mächtiger Drang, (1084) Als die gesungen waren verlief die Menge sich Da sprach Frau Kriemhilde: “Ihr sollt nicht einsam mich Heunt bewachen lassen den auserwählten Degen: Es ist an seinem Leibe all meine Freude gelegen. (1085)