Staub, aber seine feigen Beine rennen noch immer, rennen jetzt vor dem Tod davon. Vom Gewicht der oberen Korperhalfte befreit, rennen sie leichtfu?ig, auch wenn ihnen allmahlich die Energie ausgeht. Aber wieviel Energie benotigt ein Beinpaar, um zu laufen, wenn sich niemand mehr an seinem oberen Ende befindet? Die rennenden Beine werden mittlerweile von Damonen verfolgt, da sie bereits die Grenzen des Normalen uberschritten und das grenzenlose Reich des Moglichen betreten haben, das die Welt des Ubernaturlichen ist. Und jetzt, endlich, machen sie ihre letzten stolpernden Schritte, drehen sich, schwanken und sturzen leblos zu Boden.«
»Kurz gesagt, wir haben hier die Beine eines Feiglings vor uns«, stellte Azzie fest.
»Ohne Zweifel ein Feigling, aber eine Art gottlicher Feigling, der selbst noch im Tod vor dem Tod davonlauft, so sehr furchtete er sich davor, da? das eintreten konnte, was tatsachlich eingetreten ist.«
KAPITEL 2
Nachdem Hermes ihn verlassen hatte, um an einem Ort, der einst Zurich hei?en sollte, den Vorsitz einer Versammlung von Zauberpriestern zu leiten, sa? Azzie da und brutete vor sich hin. Verdrossen stocherte er an den Beinen herum. Sie waren viel zu wertvoll, um sie als Imbi? zu verzehren. Das war es, was Hermes ihm in seiner typisch umstandlichen Art klargemacht hatte.
Was sollte er mit ihnen anfangen? Wieder dachte er uber das gro?e Ereignis nach, den Jahrtausendwettkampf. Was er brauchte, war eine Idee, ein Konzept… Er starrte die Beine an und schob sie hin und her. Es mu?te irgend etwas geben…
Plotzlich setzte er sich kerzengerade auf. Ja, die Beine! Er hatte es! Eine wunderbare Idee, mit der er sich im Kreis des Bosen bestimmt einen Namen machen konnte. Er hatte eine Idee fur den Wettkampf! Sie war unvermittelt aus damonischer Inspiration geboren worden. Jetzt durfte er keine Zeit mehr verlieren, mu?te sich beeilen, um sie anzumelden und sich der Unterstutzung durch die Machte des Bosen zu versichern. Welcher Tag war heute? Er rechnete schnell nach und stohnte. Es war der letzte Tag, an dem Bewerbungen eingereicht werden konnten. Er mu?te vor den Hohen Damonenrat treten, und zwar unverzuglich.
Nach einem tiefen Atemzug katapulierte er sich von der Erde in die Region des Limbus, wo der Hohe Rat tagte. Zwar ist es nicht allgemein bekannt, aber Damonen haben die gleichen Probleme wie Menschen, bis zu den Entscheidungstragern in den Fuhrungsetagen vorzusto?en. Wenn man nicht selbst eine hohe Stellung in der Hierarchie bekleidet, nicht mit einer wichtigen Person verwandt und auch kein talentierter Sportler ist, kann man sich den Gedanken, direkt zur Spitze vorgelassen zu werden, gleich abschminken. Dann mu? man die verschiedenen Kanale durchlaufen, und das kann seine Zeit dauern.
Azzie hatte jedoch keine Zeit mehr. Schon am nachsten Morgen wurde das Hohe Komitee seinen Kandidaten bestimmen, und das Spiel wurde beginnen.
»Ich mu? zum Spielekomitee«, sagte Azzie zu der Damonenwache vor dem Tor des Ministeriums, das aus einer gro?en Ansammlung verschiedener Gebaude bestand, teils im barocken Stil und mit verzierten zwiebelformigen Kuppeln, teils hochmodern und rechtwinklig erbaut, in dem die Belange von Damonen, Hilfsteufeln und anderen bosen ubernaturlichen Kreaturen geregelt wurden. Viele Damonen arbeiteten hier in der Verwaltung; die unablassigen Bemuhungen, die Verhaltensregeln ubernaturlicher Geschopfe festzulegen, verschlangen eine Unmenge an Papier. Die Verwaltung der Ubernaturlichen Kreaturen des Bosen war sehr viel umfangreicher als alle vergleichbaren Institutionen der Erde und beschaftigte den gro?ten Teil der hollischen Damonen in der einen oder anderen Abteilung. Und das geschah trotz der Tatsache, da? die Leitung der Damonen nie von einer hoheren Macht sanktioniert worden war. Die einzige uber Gut und Bose stehende anerkannte Macht war das seltsame und nebulose Gebilde namens Ananke, Notwendigkeit. Es gab keinen sicheren Anhaltspunkt, ob die Befehlskette mit Ananke endete oder sich in noch hohere Regionen erstreckte. Ananke war das letzte Glied, das die damonischen Theoretiker hatten erfassen konnen. Die Theoretiker hatten gro?e Schwierigkeiten, mit Ananke zu kommunizieren, weil er oder es so geheimnisvoll war, so ungreifbar, so korperlos und so unkommunikativ, da? es unmoglich war, uber irgend etwas Gewi?heit zu haben, au?er da? er oder es zu existieren schien. Ananke fallte das Urteil uber den Wettkampf zwischen Gut und Bose, der alle tausend Jahre ausgetragen wurde. Seine Entscheidung erfolgte auf mysteriose Weise. Ananke selbst war Gesetz, aber ein Gesetz, das sich nur bruchstuckhaft zeigte und sich nie naher erfassen lie?.
Warum sollten Damonen uberhaupt regiert werden? Der Theorie nach waren Damonen autonome Geschopfe, die ihren Trieben folgten, das hei?t ihrem Drang, Boses zu tun. Doch alle intelligenten Geschopfe – ob menschlicher oder damonischer Natur – schienen mit einer angeborenen Perversion behaftet zu sein, die sie dazu zwang, gegen den Strom zu schwimmen, gegen das zu versto?en, was fur sie am besten war, gegen alle Prinzipien aufzubegehren, denen sie eigentlich folgen sollten. Deshalb bedurften Damonen unbedingt der wichtigsten Institution einer jeden Regierung, eines Amtes fur Konformitat – was ihnen einen hollischen Spa? bereitete, waren ihre fuhrenden Theoretiker doch der Meinung, da? die Festsetzung und Durchfuhrung standardisierter Formen des Bosen noch schlimmer – bosartiger – war, als das Begehen boser Taten selbst. Es war nicht leicht, sich in diesem Punkt sicher zu sein, aber es klang durchaus stichhaltig.
Azzie legte ein ziemlich nonkonformistisches Verhalten an den Tag, als er an den Wachen vorbeisturmte, die ihn mit hangenden Unterkiefern anstarrten, denn sein Benehmen war eindeutig undamonisch. Im Umgang mit Vorgesetzten neigen Damonen gewohnlich zu Speichelleckerei. Dennoch zogerten sie, ihm hinterherzujagen und ihn aufzuhalten. Der fuchskopfige junge Damon hatte mehr als nur ein bi?chen verruckt gewirkt, und sollte der Eindruck nicht tauschen, konnte er vielleicht von hoheren Machten, das hei?t von Satan selbst inspiriert sein, in dessen Diensten sich abzurackern fur alle damonischen Krafte ein Glaubensbekenntnis war.
Azzie rannte durch die Flure des Ministeriums, und ihm war nur zu gut bewu?t, warum die Wachterdamonen nicht versucht hatten, ihn aufzuhalten. Das konnte ihm nur recht sein, auch wenn er selbst wu?te, da? er keineswegs inspiriert war und der Hohe Rat alles andere als erfreut uber sein Verhalten sein wurde. Ihm dammerte die Erkenntnis, da? er einen sehr gro?en Fehler begangen und sich mehr vorgenommen hatte, als er zu leisten in der Lage war. Aber er verdrangte diesen Gedanken sofort wieder, und seine Entschlossenheit wuchs. Nachdem er einmal diesen Weg eingeschlagen hatte, wurde er ihm auch weiter folgen mussen.
Er hastete auf einer Seite einer beeindruckenden Doppeltreppe empor, bog links ab, warf beinahe eine Urne mit frisch gepflucktem Fruhlingsunkraut um, rannte den Flur entlang, bog bei jeder sich bietenden Gelegenheit links ab und eilte an untergeordneten Damonen vorbei, die mit Akten und Formularen beladen waren, bis er eine hohe Bronzetur erreicht hatte. Azzie wu?te, da? sein Ziel dahinter liegen mu?te. Er stie? die Tur auf und trat ein.
Die Konferenz der Machte des Bosen war in vollem Gang, als Azzie hineinplatzte. Es war keine frohliche Runde. Unzufriedenheit beherrschte die bestialischen Gesichter der fuhrenden Damonen, Mundwinkel waren herabgezogen, Augen gerotet und verquollen.
»Was soll das?« fragte Belial und erhob sich auf seinen Ziegenfu?en, um Azzie, der sich tief verbeugte, besser in Augenschein nehmen zu konnen.
Azzie, dessen Stimmbander plotzlich wie gelahmt waren, brachte lediglich ein Stammeln zustande und starrte ihn an.
»Das ist doch wohl offensichtlich, oder?« lie? sich Azazel vernehmen, zog die machtigen Schultern hoch und legte seine dunklen Schwingen in Falten. »Es ist ein Damon aus dem gewohnlichen Fu?volk, der sich erdreistet, uns ohne Grund zu belastigen. Ich begreife nicht, was sich die jungen Leute heutzutage alles herausnehmen. Zu meiner Zeit war das noch ganz anders. Damals hatten junge Damonen noch Respekt vor den Alteren und haben versucht, ihr Wohlwollen zu erringen. Heute rotten sie sich in Banden zusammen, Abschaumbanden nennen sie sich, wie ich gehort habe, und es ist ihnen vollig egal, wen sie mit ihrem Radau belastigen. Und nicht genug damit, jetzt haben sie sogar einen aus ihren Reihen ausgeschickt, um in unser inneres Sanctorum einzudringen und uns zu verhohnen.«
Belial, ein alter Rivale Azazels, schlug mit dem Huf auf den Tisch und sagte genu?lich: »Der uberaus ehrenwerte Kollege hat die bemerkenswerte Begabung, eine Storung durch einen einzelnen Damon zu einem Anschlag einer Abschaumbande auf dem Kriegspfad aufzubauschen. Ich sehe hier aber keine Bande, nur einen einzelnen, eher dummlich dreinschauenden Damon. Au?erdem mochte ich darauf hinweisen, da? die Bezeichnung
Azazels Augen loderten auf, kleine blaue Rauchwolkchen drangen aus seiner Schnauze, atzende Saure tropfte aus seiner Nase und fra? Locher in die Tischplatte aus Eisenholz. »Ich verbitte es mir, mich von einem Naturgeist und Emporkommling beleidigen zu lassen, der zu einem Damon