dem Wirt erfuhr, da? sich niemand mehr fur die ausgeschriebene Stellung beworben hatte.
Er zog seine schwarze Kreditkarte hervor und betrachtete sie genauer. Es war eine schone Karte, und er verspurte den Drang, etwas damit zu bestellen, das ihm Spa? bereiten wurde, zum Beispiel ein paar Tanzerinnen. Aber er entschied sich dagegen. Immer eins nach dem anderen. Zuerst brauchte er einen menschlichen Diener. Danach wurden sowohl die Arbeit als auch das Vergnugen beginnen.
Am Abend beschlo? er, seine Mahlzeit mit den Handlern unten im Schankraum einzunehmen. Er hatte sich einen besonderen Tisch reservieren lassen, der durch einen Vorhang verdeckt war, aber er zog ihn einen kleinen Spalt zur Seite, um das Treiben der anderen Gaste beobachten zu konnen.
Sie a?en, tranken und zechten, und Azzie fragte sich, wie sie nur so unbekummert sein konnten. Spurten sie denn nicht, da? die Jahrtausendwende naher ruckte? Uberall sonst in Europa wu?ten die Menschen Bescheid und ergriffen alle denkbaren Vorkehrungen. Es gab Totentanze auf verfluchten Heideflecken und alle Arten von Zeichen und Omen. Viele Leute waren uberzeugt, da? das Ende der Welt bevorstand. Einige suchten Zuflucht in Gebeten. Andere, die glaubten, verdammt zu sein, vertrieben sich die Zeit mit Schlemmen und sexuellen Aktivitaten. An dutzenden Orten in Europa war der Todesengel gesichtet worden, der die Gegend auskundschaftete und vorlaufige Listen derjenigen erstellte, die aus dem Leben gerissen werden wurden. In Kirchen und Kathedralen wurden Schutzgebete gegen Promiskuitat und Vergnugungssucht intoniert. Aber all das war ziemlich sinnlos. Die Menschen waren durch das Nahen des schrecklichen Jahres aufgewuhlt und verangstigt, in dem angeblich die Toten durch die Stra?en wandeln, der Antichrist auf dem Land gesehen und sich alle Dinge zur Apokalypse zusammenfinden wurden, der letzten gro?en Schlacht zwischen Gut und Bose.
Azzie konnte mit diesem vulgaren Aberglauben nichts anfangen. Er wu?te, da? das Spiel der Menschheit noch lange nicht ausgespielt war. Es wurden noch viele tausend Jahre lang Wettkampfe wie der kurz bevorstehende stattfinden, so wie es sie schon seit Jahrtausenden in der Vergangenheit gegeben hatte, auch wenn im Gedachtnis der Menschen nur au?erst verworrene Erinnerungen daran zuruckgeblieben waren.
Schlie?lich wurde Azzie mude und zog sich auf sein Zimmer zuruck. Es blieb noch etwa eine halbe Stunde bis Mitternacht. Er rechnete nicht damit, da? Hye oder Agatha wiederkommen wurden. Sie schienen nicht aus dem richtigen Holz geschnitzt zu sein. Trotzdem beschlo? er, aus Grunden der Hoflichkeit wach zu bleiben.
Die Minuten schleppten sich dahin, und Stille legte sich uber das Dorf. Dies war die Zeit, die Azzie am meisten liebte, wenn die Mitternacht unmittelbar bevorstand, sich das Erscheinungsbild der Welt veranderte, die freundliche Abenddammerung vergessen und die erlosende Morgendammerung noch fern war. In diesen Stunden zwischen Mitternacht und Morgendammerung fuhlt sich das Bose am wohlsten, ist am unternehmungslustigsten und verspurt das gro?te Bedurfnis nach unerhorten Taten und Sunden, den gro?ten Drang, die alles durchdringenden Perversionen zu erschaffen, die standig erneuert werden mussen und die Seele des Bosen entzucken.
Die Mitternacht kam und verstrich, und niemand klopfte an seine Tur. Azzie begann sich zu langweilen, und das gro?e Bett mit seinen flauschigen Eiderdaunendecken sah ungeheuer einladend aus. Es stellte eine Versuchung dar, und da von Damonen nicht erwartet wird, Versuchungen zu widerstehen, gab er ihr nach, legte sich ins Bett und schlo? die Augen. Er fiel in einen tiefen Schlaf und traumte.
In seinem Traum erschienen drei ganz in Wei? gekleidete junge Madchen, die geheiligte Gegenstande in den Handen hielten. Sie winkten ihm zu und sagten: »Komm, Azzie, nimm teil an unserem frohen Treiben.« Und als Azzie sie betrachtete, verspurte er eine gro?e Lust, sich zu ihnen zu gesellen, denn sie winkten und zwinkerten ihm sehr verfuhrerisch zu. Aber sie hatten irgend etwas an sich, das ihm nicht gefiel, das seinem kundigen Auge verriet, da? sie das Bose nicht wirklich mochten und ihm nur etwas vorspielten, um ihn in ihre Fange zu locken. Trotzdem fuhlte er sich beinahe gegen seinen Willen zu ihnen hingezogen, obwohl er sich einige Zeilen des Glaubensbekenntnisses des Bosen ins Gedachtnis rief, die besagten, da? das Gute in der Lage war, eine angenehme Gestalt anzunehmen, und sich ein Damon vorsehen mu?te, um sich nicht von etwas verfuhren zu lassen, das nur scheinbar bose war. Aber das Credo half ihm nicht. Die Madchen streckten die Hande nach ihm aus…
Er sollte nie erfahren, wie der Traum weitergegangen ware, denn in diesem Augenblick wurde er von einem Klopfen an der Tur geweckt. Er setzte sich auf und ri? sich zusammen. Wie lacherlich es doch war, sich davor zu furchten, vom Guten verfuhrt zu werden! Das war eine unter Damonen weitverbreitete Angst, und es erschreckte ihn, davon zu traumen.
Das Pochen wiederholte sich.
Azzie uberprufte sein Aussehen in dem gesprungenen Spiegel. Er strich seine Augenbrauen glatt und das rote Haar zuruck und setzte versuchsweise einen finsteren Blick auf. Ja, er sah heute nacht eindeutig furchteinflo?end aus, bereit fur jeden Bewerber, der durch die Tur treten mochte.
»Herein«, sagte er.
Er war mehr als nur ein bi?chen uberrascht, als die Tur geoffnet wurde und er seinen Besucher erblickte.
Der Mann, der sein Zimmer betrat, war ihm unbekannt. Er war sehr klein, hatte einen gro?en Buckel und trug eine weite schwarze Kutte, deren Kapuze zuruckgeschlagen war. Sein langes knochiges Gesicht war leichenbla?. Als er naher kam, bemerkte Azzie, da? er sich auf einen Stock stutzte.
»Wer bist du, da? du mich zu einer solch spaten Stunde aufzusuchen wagst?« fragte Azzie.
»Mein Name ist Frike«, antwortete der lahme Bucklige. »Ich komme wegen Eurer Anzeige. Wie es scheint, wunscht Ihr einen Diener, der zu allem bereit ist. Ich empfehle mich Euch als genau die richtige Person.«
»Du hast keine Scheu, dich anzupreisen«, sagte
»Ah, ja«, entgegnete Frike. »Ich bin ihnen zufallig begegnet, dem Poeten und der alten Vettel. Sie standen vor dem Eingang zum Friedhof und haben versucht, den Mut aufzubringen, das zu tun, was Ihr ihnen aufgetragen habt.«
»Sie hatten sich nicht so sehr verspaten durfen«, sagte Azzie. »Der Termin fur ihre Ruckkehr ist schon uberschritten.«
»Nun, Meister, beide haben einen gewissen unglucklichen Unfall erlitten«, erklarte Frike. »Deshalb bin ich an ihrer Stelle gekommen.«
»Was fur einen Unfall?« wollte Azzie wissen.
»Mein Herr«, sagte Frike, »ich habe die Dinge mitgebracht, die zu besorgen Ihr ihnen aufgetragen habt.«
Er griff unter seine Kutte, holte eine Tasche aus dunkelbraunem Rindsleder hervor, entnahm ihr zwei in Sackleinen eingewickelte Gegenstande und faltete den Stoff des ersten Packchens auseinander. Es enthielt acht Finger und einen Daumen, die sauberlich von der Hand abgetrennt worden waren, vermutlich mit einem Rasiermesser.
»Seht her«, verkundete Frike. »Die Frauenfinger.«
»Sie sind etwas gummiartig«, sagte Azzie. Er untersuchte die Finger und knabberte an einem.
»Es waren die besten, die ich auf die Schnelle beschaffen konnte«, erwiderte Frike.
»Und warum sind sie nicht vollstandig? Da fehlt ein Daumen!«
»Euer Hochwohlgeboren haben es wahrscheinlich nicht bemerkt«, erklarte Frike, »da es unter Eurer Wurde liegt, auf solche Kleinigkeiten zu achten, aber ich mochte Euch darauf hinweisen, Sire, da? Agatha, die sich um die Stellung als Eure Dienerin beworben hat, ein Daumen fehlte. Ich wei? nicht, auf welche Weise sie ihn verloren hat, und ich furchte, da? ich es jetzt nicht mehr fur Euch herausfinden kann.«
»Das ist nicht besonders wichtig«, winkte Azzie ab. »Aber ich habe auch nach einem Kopf verlangt.«
»Ach, ja«, sagte Frike. »Die Prufung, die Ihr dem Poeten auferlegt habt. Man sollte annehmen, Herr, da? das eine einfache Aufgabe sein mu?te, da unser Friedhof voll von diesen Exemplaren ist. Aber der Bursche ist lange vor dem Friedhof auf und ab gelaufen, bevor er ihn endlich betreten hat. Er hat seinen Spaten einmal hier und dann wieder dort in die Erde gesto?en, bis ich es leid war, darauf zu warten, da? er seine Arbeit endlich beendet. Also habe ich mir die Freiheit genommen, Herr, das von Euch gewunschte Objekt selbst zu besorgen und mich dabei gleichzeitig meines Konkurrenten zu entledigen.«
Mit diesen Worten offnete er das zweite Packchen und forderte den Kopf des Poeten zutage.
»Nicht sauber abgetrennt, wie ich sehe«, tadelte Azzie, wenn auch nur der Form halber, denn er war sehr angetan von der Arbeit dieses Bewerbers um die Stellung als sein Gehilfe.
»Ich bedauere, da? ich nicht die Zeit hatte, um auf die Gelegenheit fur den richtigen Schnitt zu warten«,