eintauschte.

Als echter Damon, der er nun einmal war, hatte Azzie normalerweise bis zum letzten Penny oder Korperteil weitergezockt, aber die Sonne lugte bereits vorsichtig uber den ostlichen Horizont, und es wurde Zeit, den Friedhof zu verlassen. Also verstaute Azzie seinen Gewinn in einer Tasche aus derbem Segeltuch, die er genau zu diesem Zweck mitgebracht hatte. In seinem Kopf begann langsam eine Idee, Gestalt anzunehmen. Noch war sie ziemlich verschwommen, aber irgend etwas regte sich.

LOBGESANGE

KAPITEL 1

Nachdem er die Pokerrunde verlassen hatte, flog Azzie nordwarts. Er hatte beschlossen, der gro?en Damonenversammlung einen Besuch abzustatten, die als Teil der Eroffnungszeremonien zum Jahrtausendwettkampf bei Aachen stattfand, der alten Hauptstadt Karls des Gro?en. Allerdings wurde er von einem starken Gegenwind aufgehalten. Auch wenn man unsichtbar und eher schlank ist, kann das den Luftwiderstand nicht aufheben. Gegen Abend war er erst bis Ravenna gekommen. Er entschied, auf die Teilnahme an der Versammlung zu verzichten, und fand einen hubschen Friedhof vor den Stadtmauern, wo er Rast machte.

Es war ein angenehmer Ort mit einer Menge gro?er alter Baume, Eichen und Weiden, eine hubsche Kombination – und naturlich Zypressen, den erhabenen Totenbaumen des Mittelmeers. Es gab schone zerfallene Graber und Mausoleen. In der Ferne konnte Azzie die zusammengesackten Umrisse der aus Graustein errichteten Stadtmauern erkennen.

Er machte es sich vor einer verwitterten Grabtafel bequem. Was er jetzt noch benotigte, war ein behagliches Feuer. Also plunderte er ein in der Nahe gelegenes Mausoleum, wo er ein paar au?erordentlich trockene Kadaver fand. Mit ihnen und einigen toten Katzen, die von einem umtriebigen Katzenhasser aus der Stadt vergiftet worden waren, entfachte er das Feuer.

Wahrend die Nacht verstrich, stellte Azzie fest, da? er hungrig wurde. Zwar hatte er im Verlauf des Pokerspiels recht gut gegessen, und Damonen konnen lange Zeitraume zwischen den Mahlzeiten uberstehen, aber den ganzen Tag lang gegen den Wind anzufliegen, hatte seinen Appetit angeregt. Also leerte er seinen Beutel aus und vergewisserte sich, was er noch an Proviant hatte.

Ah, da waren ein paar kandierte Schakalkopfe, die er auf dem Fest eingesteckt hatte, in einen Fetzen modriges Leichentuch eingewickelt. Es waren kostliche Snacks, aber sie reichten nicht aus, um seinen Hunger zu stillen. Er durchwuhlte den Sack weiter und entdeckte das Beinpaar, das er gewonnen hatte.

Die Beine sahen appetitlich aus, aber eigentlich wollte er sie nicht essen. Er erinnerte sich, bei ihrem Anblick eine undeutliche Idee in sich aufkeimen gespurt zu haben, auch wenn er sie schon wieder vergessen hatte. Trotzdem glaubte er, etwas Sinnvolleres mit ihnen anfangen zu konnen, als sie einfach zu verspeisen, und so lehnte er sie gegen einen Grabstein. Ihr Anblick erweckte in ihm das fast unwiderstehliche Bedurfnis, einen Monolog uber sie zu halten. Den Damonen dieser Zeitepoche erschien es uberhaupt nicht seltsam, ein paar hundert Meilen zuruckzulegen, nur um ein wirklich geeignetes Objekt zu finden, das zu Selbstgesprachen Anla? gab. In diesem einsamen hochgelegenen Landstrich Italiens, wo ein heftiger Wind wehte und das ferne Bellen von Schakalen erklang, war das eine besonders angenehme Ubung.

»O ihr Beine«, begann Azzie, »ich wurde wetten, da? ihr der Dame eures Herzens zum Gefallen voll Anmut wandeltet und euch auch galant verbeugtet, denn ihr seid ein Paar muskuloser und doch gewandter Beine von der Art, auf die die Damen voller Wohlgefallen schauen. O ihr Beine, ich stelle euch mir jetzt vor, gespreizt im uralten Taumel der Wonne und dann verschlungen beim letzten Aufbaumen der Liebe. Als ihr jung wart, o ihr Beine, habt ihr viele stattliche Eichen erklommen, seid geschwind den Ufern vieler stromender Bache gefolgt und hurtig uber die freundlichen grunen Felder eures Heimatlandes gelaufen. So darf ich wohl sagen, da? ihr in kuhnem Schwung uber manch Gestrupp und Hecken hinwegsetzt, wahrend ihr euch euren Weg bahntet. Kein Pfad war euch zu lang, und niemals seid ihr ermudet.«

»Glaubst du?« fragte eine Stimme irgendwo uber und hinter Azzie. Der Damon drehte sich um und erblickte die duster gekleidete Gestalt von Hermes Trismegistus. Es uberraschte ihn nicht, da? der Magier ihm hierher gefolgt war. Hermes und die anderen alten Gotter schienen einen anderen Weg als Damonen und Menschen zu beschreiten, einen Weg, fur den solche Dinge wie Gut und Bose von keinerlei Bedeutung sind.

»Schon, dich wiederzusehen, Hermes«, sagte Azzie. »Ich habe gerade uber dieses Beinpaar philosophiert.«

»Ich habe nicht vor, dich davon abzuhalten«, versicherte Hermes. Er hatte knapp zwei Meter uber Azzies Kopf in der Luft geschwebt. Jetzt sank er elegant zu Boden, beugte sich vor und begutachtete die Beine.

»Welcher Art von Mann, glaubst du, haben die gehort?« erkundigte er sich.

Azzie drehte sich um und betrachtete die Beine nachdenklich. »Offensichtlich einem frohlichen Mann, denn sieh her, sie sind noch immer mit farbenfrohen Wollbandern der Art umwickelt, die es Gecken und selbstgefalligen Burschen angetan hat.«

»Ein Geck, meinst du?«

»Mit ziemlicher Sicherheit, denn schau, wie prachtig die Waden geformt sind, wie perfekt und fein die Muskeln der Oberschenkel. Auch durften dir die kleinen Fu?e und ihre hohe aristokratische Wolbung auffallen, die wohlgepflegten Zehen und die gleichma?ig geschnittenen Zehennagel. Daruber hinaus gibt es keine nennenswerten Schwielen an den Fersen oder an den Seiten. Dieser Bursche mu?te nicht viel arbeiten, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, jedenfalls nicht mit den Fu?en. Wie, glaubst du, ist er gestorben?«

»Ich wei? es nicht«, erwiderte Hermes. »Aber wir konnen es schnell herausfinden.«

»Beherrschst du irgendeinen Trick?« fragte Azzie. »Irgendeine Form der Beschworung, die der Masse der gewohnlichen Damonen unbekannt ist?«

»Nicht umsonst bin ich der Schutzheilige der Alchemisten«, erklarte Hermes, »die mich anrufen, wenn sie ihre Mixturen zusammenmischen. Sie versuchen, einfaches Metall in Gold zu verwandeln, ich aber kann aus totem Fleisch lebendige Erinnerung machen.«

»Das scheint mir ein nutzlicher Trick zu sein«, sagte Azzie. »Kannst du ihn mir demonstrieren?«

»Mit Vergnugen«, erklarte sich Hermes sofort einverstanden. »La? uns sehen, wie diese Beine ihren letzten Tag verbracht haben.«

Wie bei dererlei Beschworungen ublich, entstand eine Rauchwolke aus dem Nichts, und das Drohnen eines Messinggongs erklang. Wahrend Azzie zusah, teilte sich der Rauch, und er sah…

… einen jungen Prinzen, der in die Schlacht zog, um das Schlo? seines Vaters zu verteidigen. Er war ein hubscher junger Mann und gut ausgestattet fur das Kriegerhandwerk. Er ritt an der Spitze seiner Truppen, die einen beeindruckenden Anblick boten. Ihre scharlachroten und gelben Banner flatterten prachtig im Sommer wind. Dann entdeckte Azzie eine andere Armee voraus. Der Prinz zugelte sein Ro? und rief seinen Majordomus zu sich.

»Dort sind sie«, verkundete der Prinz. »Jetzt haben wir sie genau zwischen einem Felsen und einem harten Eisklumpen, wie man in Lappland zu sagen pflegt.«

Bis dahin konnte Azzie das Geschehen verfolgen, dann verbla?te das Bild vor seinen Augen.

»Kannst du erkennen, welches Schicksal ihn ereilt hat?« fragte er.

Hermes seufzte, schlo? die Augen und legte den Kopf in den Nacken.

»Ah«, sagte er, »ich habe mich in die Schlacht eingeschaltet, und welch eine herrliche Auseinandersetzung bewaffneter Manner das ist! Sieh, wie wild sie sich aufeinandersturzen, hor, wie die kunstvoll geschmiedeten Schwerter singen! Ja, jetzt prallen sie zusammen, und alle kampfen sie tapfer und gewandt. Aber was ist das…? Einer der Manner hat den Kreis der Kampfenden verlassen. Er ist nicht einmal verwundet, aber schon flieht er! Ist es der ehemalige Besitzer dieser Beine?«

»So ein Feigling!« schrie Azzie, denn ihm war, als konnte er die Schlacht selbst mitverfolgen.

»Aber er kommt nicht ungeschoren davon. Er wird von einem Mann verfolgt, dessen Augen vor Blutdurst gerotet sind, ein riesiger Mann, ein Berserker, einer von denen, gegen die die Franken seit Jahrhunderten kampfen und die sie die Verruckten aus dem Norden nennen!«

»Ich mag die nordlichen Damonen auch nicht sonderlich«, bekannte Azzie.

»Der Berserker holt den feigen Prinzen ein. Sein Schwert blitzt auf – ein waagrechter Schlag, mit einer unheimlichen Kombination aus Geschicklichkeit und Wildheit gefuhrt.«

»Das ist einer der schwierigsten Schlage«, kommentierte Azzie.

»Der Schlag wird gut ausgefuhrt – der hasenfu?ige Prinz wird zerteilt. Die obere Korperhalfte rollt durch den

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