»Ja, es ist eindeutig die Frau, die Ihr sucht«, sagte Macha, der alteste der drei. »Der Geruch ist unverkennbar.«

»Ich kann doch annehmen, da? sie tot ist?« erkundigte sich Azzie.

»Naturlich ist sie tot«, bestatigte Macha. »Ihr wolltet sie doch tot haben, nicht wahr? Und selbst wenn sie noch leben wurde, konntet Ihr sie jederzeit toten lassen.«

Azzie machte sich nicht die Muhe zu erklaren, da? es gewisse Vorschriften gegen ein solches Vorgehen gab. »Wo kann ich sie finden?«

»Wenn Ihr dieser Stra?e ein paar Meilen weit folgt, kommt Ihr in eine kleine Stadt. Die Frau befindet sich im zweiten Gebaude zu Eurer Linken.«

»Ich danke dir, Vogel des Unheils«, sagte Azzie.

Macha nickte und schwang sich in die Luft. Die anderen schlossen sich ihm an. Kurz darauf waren sie verschwunden.

Azzie und Frike bestiegen ihre Pferde und ritten die Stra?e entlang nach Suden. Es war eine alte romische Stra?e, die Sudeuropa durchquerte und in die gro?e Festungsstadt Carcassonne fuhrte. Ihr Zustand war deutlich besser als der vieler anderen Stra?en, die sie bisher benutzt hatten. Sie ritten schweigend dahin und erreichten nach einer Weile ein relativ gro?es Dorf. Azzie schickte Frike voraus, um nach einer Unterkunft Ausschau zu halten, wahrend er sich selbst auf die Suche nach Mirandas Kopf begab.

Er ging zu dem Haus, das die Raben ihm genannt hatten. Es war das gro?te Gebaude entlang des Weges, ein dunkles Haus, das durch die schie?schartenartigen Fenster und das schlecht gedeckte Dach einen absto?enden Anblick bot.

Azzie klopfte an die Tur. Keine Antwort. Er druckte die Klinke herunter. Die Tur war nicht verschlossen. Er offnete sie und trat in den Hauptraum.

Es war dunkel im Haus, nur durch die Risse im Dach fiel etwas Licht. Ein intensiver Weingeruch lag in der Luft.

Auf einmal meldete sich Azzies Gespur fur Gefahr, allerdings einen Augenblick zu spat. Er fiel durch ein Loch im Boden in den Keller und prallte hart auf. Als er sich wieder aufgerappelt hatte, fand er sich im Inneren einer Flasche wieder.

KAPITEL 2

Es war eine Glasflasche mit einer breiten Offnung, wie man sie in diesem Zeitalter nur selten zu sehen bekam, gro? genug, um einen Damon mittlerer Gro?e wie Azzie zu fassen. Der Sturz hatte ihn einen Moment lang benommen gemacht. Er horte ein Gerausch uber sich, konnte es jedoch nicht deuten, bis er nach oben blickte. Erst dann begriff er, da? die Flasche mit einem holzernen Korken verschlossen worden war. Azzie schuttelte die Benommenheit schnell wieder ab. Wieso steckte er hier in einer Flasche?

Er spahte durch das grune Glas und sah, da? er sich in einem von vielen Kerzen erhellten Raum befand. Um einen kleinen Tisch herum standen drei rauh aussehende Manner, die sich gerade stritten.

Azzie klopfte an das Glas, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen.

Sie drehten sich zu ihm um. Einer von ihnen, der Mann mit dem ha?lichsten Gesicht, kam naher und sagte irgend etwas. Da der Flaschenhals verstopft war, drang kein Gerausch herein, worauf Azzie hinwies, indem er auf seine Ohren deutete und den Kopf schuttelte.

Als der tolpelhafte Bursche endlich verstanden hatte, sagte er den anderen Bescheid. Sie begannen, erneut zu streiten, diesmal noch ungestumer. Schlie?lich gelangten sie zu irgendeiner Entscheidung. Der erste Mann kletterte eine an die Flasche gelehnte Leiter hinauf und hob den holzernen Stopsel ein wenig an.

»Jetzt kannst du horen«, sagte er. »Aber wenn du irgendwelche Dummheiten versuchst, stopfen wir den Korken fest, hauen ab und lassen dich hier fur immer schmoren.«

Azzie regte sich nicht. Er rechnete sich eine gute Chance aus, den Korken heraussto?en zu konnen, bevor die drei ihn festklopfen konnten, aber er wollte erfahren, was sie zu sagen hatten.

»Du bist wegen der Hexe gekommen, nicht wahr?« fragte der Mann.

»Es wurde die Dinge erleichtern, wenn ich eure Namen wu?te«, erwiderte Azzie.

»Das da ist Ansei, der da ist Chor, und ich bin Hald. Wir sind Bruder, und die tote Hexe Miranda ist unsere Schwester.«

»Sieh an«, sagte Azzie. »Wo ist sie?«

»Sie ist ganz in der Nahe. Wir haben sie mit Eis frischgehalten.«

»Das wir teuer gekauft haben«, warf sein Bruder Ansei ein. »Wir mussen unser Geld zuruckbekommen. Und das ist erst der Anfang.«

»Ihr seid etwas voreilig«, wandte Azzie ein. »Was bringt euch auf den Gedanken, da? eure Schwester, die ihr eine Hexe nennt, den ganzen Aufwand wert ist?«

»Der Doktor hat es uns gesagt.«

»Was fur ein Doktor ist das?« wollte Azzie wissen.

»Der alte Dr. Parvenu. Er ist au?erdem der ortliche Alchemist. Nachdem dieser verruckte Kerl Miranda umgebracht hat und wir sie fortgeschafft hatten, haben wir zuerst Dr. Parvenu gefragt, der ein Experte in diesen Dingen ist. Naturlich erst, nachdem wir Phillipe getotet hatten.«

»Ja, ich wei? von Phillipe, ihrem Verfuhrer«, sagte Azzie. »Und was solltet ihr nach Dr. Parvenus Anweisungen mit der Leiche eurer Schwester tun?«

»Er hat uns in allen Dingen beraten und uns gesagt, wir sollten ihren Kopf behalten.«

»Wieso?«

»Er hat gesagt, da? eine Schonheit wie die ihre mit Sicherheit einen Damon anlocken wurde!«

Azzie sah keinen Grund, diesen Kerlen zu erklaren, was er wirklich mit Mirandas Kopf vorhatte. Er war ziemlich entspannt. Damonen lernen schon sehr fruh, wie man mit dem Flaschentrick umgeht, und diese Burschen wirkten nicht allzu schlau…

»Dieser verruckte Kerl, der Miranda umgebracht hat – wer war er?«

»Wir haben nur gehort, da? er Armand hie?. Keiner von uns hat ihn gesehen, denn als wir das Bordell erreicht hatten, war er schon tot. Nachdem die Leute entdeckt hatten, was er Miranda angetan hatte, waren sie so aufgebracht, da? sie ihn totgeschlagen und seine Leiche in Stucke gerissen haben.«

»Und jetzt wollt ihr den Kopf eurer eigenen Schwester verkaufen?«

»Naturlich! Sie war eine Hure! Was macht es da noch aus, was wir mit ihrem Kopf machen?«

»Ich schatze, ich konnte euch funf Goldstucke fur sie geben«, sagte Azzie. »Es sei denn, ihr Gesicht ist vollig zerschlagen und entstellt.«

»Nicht im geringsten!« beteuerte Ansei. »Sie sieht jetzt noch genauso gut wie zu Lebzeiten aus. Vielleicht sogar noch besser, wenn man den Anblick von Leid und Schmerz mag.«

»Bevor ich kaufe«, gab Azzie zu bedenken, »mu? ich sie erst einmal sehen.«

»Das wirst du. Naturlich durch die Flasche!«

»Naturlich«, sagte Azzie. »Bringt sie her.«

Ansei rief seinen Brudern zu, Mirandas Kopf zu bringen. Chor und Hald eilten in den hinteren Teil des Kellers und kehrten kurz darauf mit dem gewunschten Objekt zuruck. Ansei wischte den Kopf an seinem Hemd ab, um die Eiskristalle zu entfernen, bevor er ihn Azzie prasentierte.

Azzie sah, da? Miranda selbst im Tod noch wunderschon war. Die gro?en traurigen Lippen waren ein wenig geoffnet. Das aschblonde Haar klebte ihr an der Stirn. Ein Wassertropfen glitzerte auf ihrer Wange…

Er wu?te sofort, da? ihn sein Instinkt nicht getrogen hatte, sie war wirklich genau diejenige, die er gebraucht hatte.

»Also, was meinst du?« wollte Ansei wissen.

»Sie ist ganz passabel«, erwiderte Azzie. »La? mich jetzt hier raus, und wir sprechen uber den Preis.«

»Wie ware es, wenn du uns dafur drei Wunsche gewahrst?« fragte Ansei.

»Nein«, sagte Azzie.

»Nein? Einfach so?«

»Genau.«

»Kein Gegenangebot?«

»Nicht solange ihr mich in dieser Flasche eingesperrt haltet.«

»Aber wenn wir dich rauslassen, haben wir nichts mehr, womit wir dich unter Druck setzen konnen.«

»Das stimmt«, bestatigte Azzie.

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