wurde?«
Daruber hatte Azzie noch gar nicht nachgedacht. Er kratzte sich am Kopf – Schuppen, die holte man sich jedes Mal in der Grube – und uberlegte.
»Ich dachte, du wurdest einverstanden sein, weil es richtig ist, das zu tun«, sagte er. »Ich meine, du mochtest doch genau wie ich, da? das Bose siegt, oder? Stell dir vor, das Gute wurde fur die nachsten tausend Jahre das Schicksal der Menschheit bestimmen; das konnte auch dich aus dem Geschaft drangen.«
»Da hast du einen Punkt«, gab Ylith zu, »aber der uberzeugt mich nicht ganz. Warum sollte ich dir helfen? Ich habe mein eigenes Leben und andere Aufgaben vor mir. Ich habe administrative Pflichten in der Hexenversammlung, und ich gebe Unterricht…«
Azzie tat einen geistigen Atemzug, wie er es immer machte, bevor er eine seiner wirklich gro?en Lugen vom Stapel lie?. Und wahrend er geistig Luft holte, halfen ihm sein Genie und all seine Fahigkeiten, in die Rolle zu schlupfen, – von der er wu?te, da? sie jetzt erforderlich war.
»Es ist ganz einfach, Ylith«, sagte er. »Ich liebe dich.«
»Oh, sicher!« erwiderte sie verachtlich, aber nicht so, da? sie damit das Gesprach beendete. »Das ist einfach gro?artig! Erzahl nur mehr davon!«
»Ich habe dich immer geliebt«, versicherte Azzie.
»Was du durch dein Verhalten ja zur Genuge bewiesen hast, nicht wahr?« fragte Ylith.
»Ich kann dir erklaren, warum ich mich nie gemeldet habe«, behauptete Azzie.
»Darauf wurde ich wetten!« konterte Ylith. Sie wartete.
»Es gibt zwei Grunde«, begann Azzie, der im Augenblick noch keine Ahnung hatte, welche Grunde das waren. Aber fur den Fall, da? ein Grund nicht ausreichte, wollte er lieber gleich zwei parat haben.
»So? Dann la? mal horen!«
»Ich habe dir bereits erzahlt, da? ich in der Grube war.«
»Und du hattest mir nicht wenigstens eine Postkarte schicken konnen? Diese ›Ich-war-in-der-Grube‹- Ausrede habe ich schon einmal gehort!«
»Ylith, du mu?t mir ganz einfach glauben. Es gibt gewisse Dinge, uber die ein Mann nicht sprechen kann. Aber ich gebe dir mein Wort, es haben sich bestimmte Dinge ereignet. Ich konnte dir alles erklaren, wenn wir Zeit hatten, aber das Wichtigste ist, da? ich dich liebe. Der bose Zauberbann ist endlich verflogen, und wir konnen wieder Zusammensein, so wie du es immer gewollt hast und wie ich es insgeheim auch gewollt habe, auch wenn ich fruher vielleicht einmal etwas anderes behauptet habe.«
»Was fur ein Zauberbann?« wollte Ylith wissen.
»Hast du gerade einen Zauberbann erwahnt?«
»Du hast gesagt: ›Der bose Zauberbann ist endlich verflogen.‹«
»Habe ich das gesagt? Bist du dir sicher?«
»Naturlich bin ich mir sicher!«
»Also, das hatte ich nicht sagen durfen«, sagte Azzie. »Eine Bedingung fur die Beendigung des bosen Zauberbanns war es, da? ich nie daruber reden sollte. Ich hoffe nur, wir haben ihn jetzt nicht wieder ausgelost.«
»Was fur ein Zauberbann?«
»Ich wei? nicht, wovon du sprichst.«
Ylith richtete sich zu ihrer vollen Gro?e auf und blickte Azzie finster an. Er war wirklich ein unmoglicher Damon. Naturlich erwartet man von einem Damon, da? er log, aber selbst der schlimmste Damon sagt hin und wieder die Wahrheit. Es ist fast unmoglich, nicht ab und zu schon allein aus Versehen die Wahrheit zu sagen. Sah man einmal von Azzie ab. Was jedoch nicht daran lag, da? er im Grunde seines Herzens ein Lugner war. Nein, es lag vielmehr daran, da? er sich so sehr bemuhte, besonders bose zu sein. Trotzdem konnte sie nicht anders, als ihn gern zu haben. Sie fuhlte sich noch immer zu ihm hingezogen. Und es war nicht gerade die amusanteste Zeit in Athen.
»Versprich mir, da? du mich nie mehr verlassen wirst«, verlangte sie.
»Ich verspreche es«, gab Azzie zuruck. Dann wurde ihm klar, da? er zu schnell klein beigegeben hatte, und er fugte hinzu: »Das hei?t, unter normalen Umstanden.«
»Was meinst du mit normalen Umstanden?«
»Umstande, die nicht anormal sind.«
»Und die waren?«
»Woher soll ich das wissen?«
»Oh, Azzie!«
»Du mu?t mich so nehmen, wie ich bin, Ylith«, sagte Azzie. »Ich freue mich wirklich, dich wiederzusehen. Hast du irgendeine Idee wegen dieser Augen?«
»Ja, ich habe tatsachlich die eine oder andere.«
»Dann sei ein Schatz, mach dich auf den Weg und hol sie«, bat Azzie. »Mir geht allmahlich die Jauche aus, und ich wage es nicht, meine beiden Geschopfe aufzuwecken, bevor ich Augen fur sie habe. Das konnte ihre gesamte Entwicklung verandern.«
»Dann werden sie eben warten mussen«, erwiderte Ylith. »Zwei besondere Augenpaare lassen sich nicht einfach im Handumdrehen auf treiben.«
»Wir alle werden auf deine Ruckkehr warten, meine Konigin!« versicherte Azzie.
Ylith stie? ein rauhes Lachen aus, aber Azzie konnte heraushoren, da? sie es geno?, wenn er solche Dinge sagte. Er winkte ihr zu. Ylith wirbelte auf der Stelle herum, loste sich in eine rotierende violette Rauchsaule auf und verschwand dann ganzlich.
KAPITEL 6
Viele Jahre lang war sie damit zufrieden gewesen, in Athen herumzufaulenzen, es sich gutgehen zu lassen, sich auf Parties zu amusieren, viele Liebhaber zu haben und ihr Haus neu einzurichten. Mit der Zeit werden Hexen trage und neigen dazu, sich auf ihren Lorbeeren auszuruhen. Die Sunden, zu denen sie die Menschen zu verfuhren versuchen, schlagen spater auf sie selbst zuruck. Schritt um Schritt verlieren sie ihr Wissen und vergessen, was sie in den gro?en Hexenschulen gelernt haben. Bevor sie von Azzie herbeigerufen worden war, hatte Ylith lange Zeit nur so vor sich hinvegetiert.
Jetzt staunte sie selbst uber ihre Bereitschaft, Augen fur das junge Paar zu suchen. War es wirklich das, was sie tun wollte? Liebte sie Azzie so sehr? Oder lag es eher daran, da? sie sich nach einer Aufgabe sehnte, danach, einem hoheren Zweck als nur ihrem eigenen Wohlbefinden zu dienen? Was auch immer der Grund sein mochte, sie verspurte das Bedurfnis, sich Rat zu holen, als es darum ging, das zweite Augenpaar zu besorgen.
Und der weiseste Ratgeber, den sie kannte, war Skander…
Drachen sind langlebige Geschopfe, und schlaue Drachen leben nicht nur besonders lange, sie wechseln auch von Zeit zu Zeit den Namen, damit die Menschen nicht herausfinden, wie alt sie werden, und ihnen voller Eifersucht nachstellen.
Skander und die anderen Drachen hatten erkannt, wie viele Helden ihnen nachstellten, und so waren sie immer vorsichtiger geworden. Die alten Zeiten, als sie herumgelummelt, Schatze bewacht und sich auf jeden gesturzt hatten, der des Weges kam, waren langst vorbei. Zwar hort man immer nur von den Siegen der Helden im Kampf Mann gegen Drache, aber auch die Drachen hatten sich auf dieses Spiel gut verstanden. Es gab eine Menge Siege auf Seiten der Drachen, doch ihre Zahl war vergleichsweise klein, wahrend es einen endlosen Nachschub an Helden gab. Die Helden griffen unablassig an, bis die Drachen des ganzen Spiels endlich uberdrussig geworden waren.
Sie hielten eine gro?e Zusammenkunft ab, auf der viele Meinungen zur Sprache kamen. Damals stellten die chinesischen Drachen die gro?te Bevolkerungsgruppe, aber sie huteten ihre Weisheit so eifersuchtig vor den anderen Drachen, da? sie, um ihren Rat gefragt, nur solche Spruche von sich gaben wie: ›Fordernd ist es, den weisen Mann aufzusuchen‹, oder ›Man soll das Wasser uberqueren‹, oder ›Der Edle ist wie der Sand‹. Und die chinesischen Philosophen, die eine Vorliebe fur das Undurchsichtige hatten, sammelten diese Ratschlage in Buchern und verkauften sie westlichen Weisheitssuchern.
Der Beschlu?, der am Ende der Konferenz getroffen wurde, lautete, sich den Zwangen der Notwendigkeit zu