Er befand sich in einem Pentagramm. Grundlicher konnte man nicht herbeibeschworen werden.
Es war naturlich nicht das erste Mal, da? er beschworen worden war. Jeder Damon, der den Wunsch verspurt, ein aktives Leben unter den Menschen zu fuhren, mu? sich daran gewohnen, da? ihm so etwas haufig zusto?t, da die Menschen Damonen ebenso hereinlegen, wie es auch umgekehrt der Fall ist. Es hat nie eine Zeit gegeben, in der Manner und Frauen
»Siehst du, Vater, ich hab’ dir doch gesagt, da? er kommt!«
Es war Brigittes Stimme, und sie klang triumphierend. Da stand sie nun vor ihm, ein kleines Madchen mit schmutzigem Gesicht, das das ihm abgerungene Versprechen benutzt hatte, um ihn ausgerechnet jetzt herbeizurufen.
»Sieht tatsachlich so aus, als hattest du es geschafft«, vernahm Azzie die sonore Stimme eines Mannes. Sie gehorte ihrem Vater, Thomas Scrivener. Anscheinend hatte sich der Bursche wieder vollstandig erholt. Aber naturlich konnte er sich weder an seine Zeit in der Hollengrube noch an seine Begegnung mit Azzie erinnern, wofur dieser dankbar war. Menschen wurden gefahrlich, sobald sie zuviel wu?ten.
»Oh, du bist es«, sagte Azzie und erinnerte sich daran, wie sie ihn mit einem Geistfanger mattgesetzt hatte, als er sich um ihren Vater hatte kummern mussen. »Was willst du?«
»Mein Versprechen!« rief Brigitte.
Ja, es stimmte, Azzie schuldete ihr ein Versprechen. Er hatte es nur zu gern vergessen, aber in der Welt der Magie werden Versprechen zwischen Menschen und ubernaturlichen Kreaturen als besonders gewichtige Tatsachen betrachtet. Es war ihm unmoglich, sich nicht darauf einzulassen.
»Also gut«, sagte er, »offne eine Seite des Pentagramms und la? mich raus. Dann konnen wir daruber reden.«
Brigitte beugte sich vor, um eine der Linien wegzuwischen, aber ihr Vater packte sie und ri? sie hastig zuruck. »La? ihn nicht frei! Sonst verlierst du deine Macht uber ihn!«
Azzie zuckte die Achseln. Es war zumindest einen Versuch wert gewesen. »Meister Scrivener«, wandte er sich an den Mann. »Sag deinem kleinen Madchen, da? es vernunftig sein soll. Wir konnen diese Sache schnell erledigen, und dann werde ich sofort verschwinden.«
»Hor nicht auf ihn!« beschwor Scrivener seine Tochter. »Damonen sind reich. Du kannst alles von ihm verlangen, was du willst! Wirklich alles!«
»Ich sollte das vielleicht lieber erklaren«, sagte Azzie. »Es ist zwar ein weitverbreiteter Aberglaube, da? Damonen reich sind, aber ich kann euch versichern, da? er nicht zutrifft. Damonen konnen nur Wunsche innerhalb ihrer personlichen Moglichkeiten erfullen. So konnte euch beispielsweise nur ein machtiger Damon gro?en Reichtum gewahren. Ich dagegen bin nur ein armer Damon, der nach dem Regierungstarif besoldet wird.«
»Ich mochte eine neue Puppe«, sagte Brigitte zu ihrem Vater. Azzie spannte sich an und beugte sich vor. Da Brigitte nicht zu ihm gesprochen hatte, waren die Voraussetzungen fur einen korrekt geau?erten Wunsch nicht ganz erfullt. Wenn sie es aber noch einmal wiederholte –
»Eine Puppe, Brigitte?« fragte er. »Ich kann dir die schonste Puppe der ganzen Welt besorgen. Du hast doch bestimmt schon von der Konigin des Nordens gehort, nicht wahr? Sie hat ein ganz besonderes kleines Puppenhaus mit winzigen Figuren, die die Hausarbeit machen, mit Kuschelmausen, die hin und her laufen, und noch viele andere Sachen, an die ich mich jetzt nicht mehr erinnere. Soll ich es fur dich holen?«
»Warte!« schrie Scrivener, der Brigitte noch immer festhielt. »Er versucht, uns zu uberlisten, Tochter. Dieser Damon kann Wunder vollbringen. Er kann dich reich oder zu einer Prinzessin machen…«
»Nichts dergleichen«, unterbrach Azzie.
»Verlange irgend etwas Gro?es!« befahl Scrivener. »Oder, noch besser, gib mir deinen Wunsch. Dann werde ich mir genug wunschen, damit wir beide reich sind, und ich werde dir mehr Puppenhauser kaufen, als du dir im Traum vorstellen kannst.«
»Mu? ich dann immer noch nach dem Essen abwaschen?« wollte Brigitte wissen.
»Nein, dafur werden wir einen Diener anstellen«, sagte Scrivener.
»Und mu? ich dann nicht mehr die Kuhe melken, die Huhner futtern und all die anderen Hausarbeiten machen?«
»Naturlich nicht!« versicherte Scrivener.
»Glaub ihm nicht, Brigitte!« warnte Azzie. »Ich sage dir, was das Beste ware. Bitte mich einfach, dir etwas Hubsches zu bringen, und la? dich uberraschen. Was meinst du dazu, hm?«
»Hor nicht auf ihn«, drangte Scrivener. »Du mu?t dir wenigstens ein gro?es Landgut wunschen.«
»Hor nicht auf ihn«, sagte Azzie. »Er schimpft immer herum und ist grob zu dir, stimmt’s? Aber ich erinnere mich an eine Zeit, da war er sehr froh, Hilfe von mir zu bekommen.«
»Was erzahlst du da?« wollte Scrivener wissen. »Ich habe dich noch nie zuvor gesehen.«
»Das glaubst du«, erwiderte Azzie. »Brigitte, welche Farbe soll dein Puppenhaus haben?«
»Wo sollen wir uns begegnet sein?« fragte Scrivener.
»Was ich wirklich will«, begann Brigitte, »ist…«
»Warte!« schrie Scrivener. »Wenn du irgend etwas Lacherliches verlangst, gerbe ich dir das Fell, kleines Fraulein.«
»Ich wunschte, du wurdest aufhoren, mich anzuschreien!« heulte Brigitte.
»Das kann ich fur dich erledigen«, sagte Azzie und vollfuhrte eine Geste.
Thomas Scrivener offnete den Mund, brachte jedoch kein Wort hervor. Er muhte sich ab, seine Zunge bewegte sich hektisch, seine Wangen blahten sich auf und erschlafften wieder, doch er konnte keinen Laut von sich geben.
»Was hast du gemacht?« fragte Brigitte.
»Deinen Wunsch erfullt«, antwortete Azzie. »Er wird dich jetzt nicht mehr anschreien. Weder dich noch sonst jemanden.«
»Das ist unfair!« protestierte Brigitte. »Ich habe mit meinem Papa und nicht mit dir gesprochen! Du schuldest mir immer noch einen Wunsch!«
»Komm schon, Brigitte«, sagte Azzie. »Also gut, dann nenn mir endlich deinen Wunsch. Ich mu? von hier verschwinden.«
Thomas Scrivener versuchte zu sprechen. Sein Gesicht war purpurrot angelaufen, seine Augen traten wie hartgekochte Eier aus ihren Hohlen. Er bot einen spektakularen Anblick, und Brigitte brach in Gelachter aus, verstummte dann aber urplotzlich wieder. Irgend etwas tauchte in der Luft auf.
Es nahm feste Gestalt an, und da stand Ylith. Sie wirkte zerzaust. Rauchfaden krauselten sich vom Ende ihres Besens hervor.
»Azzie!« rief sie. »Nur gut, da? du mir von dieser Wunschgeschichte erzahlt hast und ich mich daran erinnert habe. Gibt es Probleme?«
»Das ist doch offensichtlich, oder?« fragte Azzie zuruck. »Ich versuche schon ziemlich lange, die Kleine dazu zu bringen, mir ihren Wunsch zu nennen, damit ich ihn erfullen und wieder verschwinden kann. Aber sie und ihr Vater streiten sich die ganze Zeit daruber, was fur ein Wunsch das sein sollte.«
Thomas Scrivener machte eine flehende Geste in Yliths Richtung.
»Was hast du mit ihm angestellt?« wollte Ylith wissen.
»Tja, Brigitte wollte, da? er den Mund halt, und das habe ich fur sie erledigt.«
»O Azzie, la? diesen Unfug. Kleines Madchen, was mochtest du werden, wenn du gro? bist?«
Brigitte uberlegte. »Als ich klein war, wollte ich eine Prinzessin werden.«
»Ich wei? nicht, ob Azzie das bewerkstelligen kann«, sagte Ylith.
»Aber das will ich jetzt nicht mehr«, fuhr Brigitte fort. »Jetzt mochte ich eine Hexe werden!«
»Warum willst du das?«
»Weil du eine Hexe bist«, erklarte Brigitte. »Ich mochte so wie du sein, auf einem Besenstiel reiten und