Leute verzaubern.«
Ylith lachelte. »Was meinst du, Azzie?«
»Eine Hexe mehr, was fur eine Rolle spielt das schon?« fragte Azzie. »Ist das dein Wunsch, Kleine? Du mochtest eine Hexe werden?«
»Ja!« erwiderte Brigitte fest.
Azzie sah Ylith an. »Und was meinst du?«
»Nun, ich nehme tatsachlich hin und wieder eine Schulerin an. Brigitte ist zwar noch etwas zu jung, aber in einigen Jahren…«
»O ja, bitte!« bettelte Brigitte.
»Also gut«, gab Ylith nach.
»Na schon«, sagte Azzie. »Du sollst deinen Wunsch haben, Kleines. Und jetzt la? mich hier raus.«
»Gib meinem Vater zuerst die Stimme zuruck.«
Azzie kam ihrer Aufforderung nach. Thomas Scrivener holte aus, um seiner Tochter eine saftige Ohrfeige zu verpassen, mu?te aber die unerfreuliche Erfahrung machen, da? sein Arm von einer unsichtbaren Kraft festgehalten wurde.
»Was hast du mit ihm gemacht?« wollte Brigitte von Ylith wissen.
»Das war ganz einfache Magie«, erwiderte Ylith. Sie drehte sich zu Scrivener um und sagte: »Behandle dein kleines Madchen anstandig. In ein paar Jahren wird sie in der Lage sein, dich in Mausepastete zu verwandeln. Und du wirst auch mit mir rechnen mussen.«
KAPITEL 1
Nachdem Brigitte Azzie aus seiner Gefangenschaft erlost hatte, band Ylith zwei Besenstiele mit einem kraftigen Hanfseil zusammen und flog mit Azzie, der hinter ihr sa? und sich an ihr festklammerte, zuruck nach Augsburg. Es war ein herrliches Gefuhl, die Arme des jungen virilen Damons um ihren Korper zu spuren. Als seine Klauen versehentlich ihre Bruste streiften, uberlief sie ein wohliger Schauder. Was fur eine Wonne es war, mit dem Geliebten hoch uber den Wolken dahinzufliegen! Fur eine Weile verga? sie alle Gedanken an Sunde und Sunder, an Gut und Bose, wahrend sie ausgelassen durch das klare Blau des Himmels scho? und uber violettgetonte Wolken hinwegsetzte, die sich vor ihren Augen auflosten und erneut formten. Auch Azzie geno? die Kapriolen, drangte Ylith aber, sich zu beeilen. Sie mu?ten das Parchen von den Harpyien abholen.
In Azzies Anwesen zuruckgekehrt, blieb Ylith gerade Zeit genug, ihr Haar zu waschen und es festzustecken. Dann war sie reisefertig.
Sie schwang sich auf einem frisch aufgeladenen Besenstiel in die Hohe und jagte allein dahin – eilig, aber aufmerksam. Die Erde schrumpfte unter ihr zusammen, und schon bald befand sie sich im funkelnden Reich des Himmels, wo sie sich auf die Suche nach den Harpyien machte, ohne allerdings die geringste Spur von ihnen entdecken zu konnen. Sie umkreiste den au?ersten Rand der Welt und fand nichts. Doch dann naherte sich ihr ein Pelikan im langsamen Flug und fragte: »Sucht Ihr die Harpyien mit den beiden Leichen? Sie haben mir aufgetragen, Euch zu sagen, da? ihnen langweilig geworden ist und sie die Korper an einem sicheren Platz abgestellt haben. Sie selbst sind zu ihren Schwestern zuruckgekehrt.«
»Haben sie sonst noch irgend etwas gesagt?« erkundigte sich Ylith und fuhrte eine Reihe spiralformiger Wenden aus, um ihre Geschwindigkeit der des langsam fliegenden Pelikans anzupassen.
»Nur irgend etwas von einem Mah-Jongg-Spiel«, erwiderte der Vogel.
»Haben sie gesagt, wo dieser sichere Ort ist?«
»Nicht ein Wort«, sagte der Pelikan. »Ich wollte sie noch danach fragen, aber da waren sie schon weg, und man kann sie unmoglich einholen. Ihr wi?t ja, wie schnell sie mit diesen neumodischen Bronzeflugeln fliegen konnen.«
»Aus welcher Richtung sind sie gekommen?« wollte Ylith wissen.
»Aus Norden«, antwortete der Pelikan und deutete mit einer Flugelspitze in die entsprechende Richtung.
»Geografischer oder magnetischer Norden?«
»Geografischer Norden.«
»Ich glaube, dann wei? ich, wo sie hergekommen sind«, sagte Ylith.
Sie schwenkte nach Norden und beschleunigte, obwohl sie wu?te, da? der Wind ihre Augen roten wurde, was ihrem Aussehen nicht gerade zutraglich war. In kurzester Zeit hatte sie das Land der Franken hinter sich gelassen und passierte die von tiefen Fjorden zerkluftete Kuste, wo die Nordmanner noch immer ihren alten Gottern huldigten und mit Hammern, Axten und anderen landwirtschaftlichen Werkzeugen kampften. Ihr Flug fuhrte sie weiter uber das Land der Lappen, die ihre Rentierherden durch den Schnee trieben und Yliths Anwesenheit spurten, auch wenn sie so taten, als wurden sie sie nicht bemerken, denn das beste, was man tun kann, wenn man mit unerklarlichen Phanomenen konfrontiert wird, ist, sie einfach zu ignorieren.
Schlie?lich erreichte Ylith den Nordpol, und zwar den richtigen, der an dem imaginaren Punkt liegt, an dem sich der wahre und der absolute Norden treffen: der Nordpol, den kein Sterblicher jemals finden wird. Nachdem sie durch die Realitatsfalte geschlupft war, hinter der er lag, erblickte sie unter sich das Dorf des Weihnachtsmanns.
Es war auf der kompakten Eiskappe errichtet worden, die den Nordpol bedeckte. Die Gebaude waren sehr ordentlich zum Teil aus Baumstammen, zum Teil aus Brettern gezimmert. Auf einer Seite entdeckte Ylith die Werkstatten, wo die Gnome des Weihnachtsmanns alle moglichen Geschenke fur die Sterblichen anfertigten. Diese Werkstatten sind allgemein bekannt. Weniger bekannt dagegen ist, da? es ein Hinterzimmer gibt, in dem die Essenz von Gut und Bose aus den geheimen Lagerstatten der Erde angeliefert wird. Jedem Geschenk wurde eine Prise Gluck oder Ungluck hinzugefugt. Nach welchen Kriterien Gluck und Ungluck verteilt wurden, konnte niemand erklaren. Als Ylith nun zwischen den Fertigungsstatten hindurchschlenderte und die kleinen Gesellen mit ihren Hammern und Schraubenziehern beobachtete, schien es ihr, als wurde die Verteilung rein zufallig ablaufen. In der Mitte des gro?en Arbeitstisches stand ein Trichter, in den kleine glitzernde Bruchstuck von Gluck und Ungluck hinabregneten, die wie kleine Krauterstrau?e aussahen. Vor dem trichterformigen Behalter sa? ein Zwerg, der die Schicksalsbringer herausnahm, ohne sie auch nur eines fluchtigen Blickes zu wurdigen, und sie in die Weihnachtsgeschenke stopfte.
Ylith fragte die Zwerge, ob erst kurzlich ein paar Harpyien mit zwei tiefgefrorenen Menschen vorbeigekommen waren. Die Zwerge schuttelten gereizt die Kopfe. Weihnachtsgeschenke herzustellen und zu verpacken ist Prazisionsarbeit, und wenn man dabei angesprochen wird, gerat man schnell aus dem Rhythmus. Ein Zwerg deutete mit einer ruckhaften Kopfbewegung in den hinteren Bereich der Werkstatt. Ylith ging in die angegebene Richtung und erblickte am Ende des langgestreckten Raumes eine Tur mit der Aufschrift:
Der Nikolaus war ein gro?er dicker Mann mit einem Gesicht, das zum Lacheln geschaffen war. Aber das Aussehen verrat nicht immer die Wahrheit. Im Augenblick wirkte seine Miene murrisch und verkniffen, wahrend er in eine magische Seemuschel sprach.
»Hallo, ist dort die Abteilung fur Ausrustung und Zubehor? Ich mu? mit einem der Verantwortlichen sprechen.«
Die Antwort kam aus einem ausgestopften Paviankopf an der Wand.
»Sie haben richtig gewahlt. Wer spricht dort?«
»Hier ist der Nikolaus.«
»Ja, Herr Nikolaus. Sind Sie autorisiert, sich mit der Abteilung fur Ausrustung und Zubehor in Verbindung zu setzen?«
»Ich nehme an, Sie haben noch nicht von mir gehort«, erwiderte der Nikolaus. »Ich bin derjenige, der an jedem vierundzwanzigsten Dezember nach dem neuen Kalender die Geschenke bringt.«
»Oh,
»Ich habe schon mehr als genug damit zu tun, den Menschen Geschenke zu bringen«, antwortete der Nikolaus. »Ich habe ein Problem…«
»Warten Sie einen Moment«, sagte die Stimme. »Ich verbinde Sie mit der Beschwerdeabteilung.«
Der Nikolaus seufzte. Wieder wurde er hingehalten. Dann entdeckte er Ylith, die gerade das Buro betreten