»Sind sie nicht wunderschon?« fragte Azzie, als er sie in die Augenhohlen des Marchenprinzen schob und die Rander mit Jauche benetzte.
Und es waren wirklich schone Augen, gefarbt wie ein rauchiger Topas, in dessen Tiefen es funkelte.
»Diese Augen machen mir Sorgen«, sagte Frike. »Ich glaube, da? Drachenaugen Falschheit durchschauen konnen.«
»Genau das, was ein Held braucht.«
»Aber wird er dann nicht auch
»Nein, mein armer Frike«, entgegnete Azzie. »Drachenaugen konnen nicht die Falschheit ihrer eigenen Situation erkennen. Sie bemerken die Makel anderer, aber nicht die eigenen. Unser Marchenprinz wird nicht leicht in die Irre zu leiten sein, aber er ist auch nicht klug oder weitsichtig genug, um seine eigene Lage zu erkennen.«
»Da! Er regt sich!« rief Frike.
Azzie war schon vorsorglich in die Maske des freundlichen Onkels geschlupft. »Ruhig, Junge, ruhig«, sagte er und strich dem Jungling das goldene Haar aus der Stirn.
»Wo bin ich?« fragte der Marchenprinz.
»Du solltest eher fragen, wer du bist«, erwiderte Azzie. »Und dann solltest du wissen wollen, wer
»Na schon… wer bin ich?«
»Du bist ein edler Prinz, dessen ursprunglicher Name vergessen worden ist, den aber alle nur den ›Marchenprinzen‹ nennen.«
»Marchenprinz«, murmelte der Jungling nachdenklich. Er setzte sich auf. »Ich nehme an, das bedeutet, ich bin von adligem Geblut.«
»Ja, das wird wohl so sein«, sagte Azzie. »Du bist der Marchenprinz, und ich bin dein Onkel Azzie.«
Der Marchenprinz akzeptierte diese Auskunft bereitwillig. »Hallo, Onkel Azzie. Ich kann mich zwar nicht an dich erinnern, aber wenn du sagst, da? du mein Onkel bist, soll mir das recht sein. Nachdem ich das jetzt wei?, darf ich auch erfahren, wo ich bin?«
»Naturlich«, erwiderte Azzie. »In Augsburg.«
»Das ist schon«, murmelte der Marchenprinz etwas undeutlich. »Ich habe so ein Gefuhl, als wollte ich Augsburg schon immer einmal sehen.«
»Und das wirst du auch«, versprach Azzie und lachelte bei dem Gedanken daran, was fur eine fugsame Kreatur er hier erschaffen hatte. »Du wirst es dir wahrend deiner Ausbildung und dann spater wieder genau ansehen konnen, wenn du es verla?t, um zu deiner gefahrvollen Mission aufzubrechen.«
»Meine gefahrvolle Mission, Onkel?«
»Ja, Junge. Vor diesem Unfall, der dein Gedachtnis ausgeloscht hat, warst du ein beruhmter Krieger.«
»Wie ist mir dieser Unfall zugesto?en, Onkel?«
»Wahrend du tapfer gegen viele Feinde gekampft hast. Du hast eine Menge von ihnen erschlagen – du kannst sehr gut mit einem Schwert umgehen, mu?t du wissen –, aber einer der niedertrachtigen Schurken hat sich von hinten an dich angeschlichen und dich heimtuckisch mit einem Breitschwert auf den Kopf geschlagen.«
»Das scheint mir kaum ein faires Verhalten gewesen zu sein!«
»Die Menschen sind oft unfair«, erklarte Azzie. »Auch wenn du zu unschuldig bist, um das zu erkennen. Aber mach dir deswegen keine Sorgen. Dein reines Herz und dein edler Geist werden dir stets den Weg ebnen.«
»Das ist schon«, sagte der Marchenprinz. »Ich mochte, da? die Leute eine hohe Meinung von mir haben.«
»Und das werden sie auch, mein Junge, nachdem du die gro?en Taten vollbracht hast, zu deren Ruhm das Schicksal dich auserkoren hat.«
»Was fur Taten sind das, Onkel?«
»Siegreich die mannigfaltigen Gefahren zu uberwinden, die zwischen dir und Prinzessin Rosenrot liegen, der Schlummernden Prinzessin.«
»Prinzessin… wer? Wovon sprichst du?«
»Ich spreche von den gro?artigen Taten, die dich weltberuhmt machen und dir mehr Gluck bescheren werden, als es sich die menschliche Phantasie ausmalen kann.«
»Oh… das klingt gut. Erzahl mir mehr, Onkel. Du hast eine schlafende Prinzessin erwahnt…?«
»Schlummernd, nicht schlafend. Aber es ist trotzdem ein ernsthaftes Problem. Es steht geschrieben, mein Junge, da? nur ein Ku? deiner Lippen sie aus diesem Bann erlosen kann. Sobald sie erwacht und dich erblickt, wird sie sich unsterblich in dich verlieben. Du wirst dich ebenfalls in sie verlieben, und ihr werdet beide sehr glucklich sein.«
»Ist sie hubsch, diese Prinzessin?« erkundigte sich der Prinz.
»Das kannst du wohl glauben«, versicherte Azzie. »Du wirst sie wachkussen, sie wird die Augen offnen und dich ansehen. Dann wird sie die Arme sanft um deinen Hals schlingen, ihr Gesicht dem deinen nahern, und dann wirst du Wonnen erleben, wie sie kaum ein Sterblicher jemals erfahren hat.«
»Es wird Spa? machen, was?« fragte der Prinz. »Ist es das, was du meinst, Onkel?«
»Fur das, was du empfinden wirst, ist die Bezeichnung Spa? noch viel zu harmlos.«
»Hort sich gro?artig an«, stellte der Marchenprinz fest. Er stand auf und machte ein paar vorsichtige Schritte. »Dann la? uns das gleich erledigen, einverstanden? Ich werde sie kussen, und dann konnen wir beide anfangen, uns miteinander zu amusieren.«
»Ganz so schnell geht das nicht«, bremste ihn Azzie.
»Warum nicht?«
»Es ist nicht so einfach, die Prinzessin zu erreichen. Du mu?t dir vorher deinen Weg durch allerlei Hindernisse freikampfen.«
»Was fur Hindernisse? Gefahrliche?«
»So ist es, furchte ich«, bestatigte Azzie. »Aber mach dir deswegen keine Sorgen. Du wirst sie alle uberwinden, nachdem Frike und ich dich im Waffenkampf geschult haben.«
»Ich dachte, du hattest gesagt, ich konne bereits gut mit Waffen umgehen.«
»Nun, eine kleine Auffrischung kann nicht schaden«, meinte Azzie.
»Offengestanden, die ganze Angelegenheit hort sich ziemlich gefahrlich an«, sagte der Marchenprinz.
»Naturlich ist es gefahrlich«, erwiderte Azzie. »Das haben riskante Unternehmungen nun mal
»Waffen sind gefahrlich. Man kann durch sie getotet werden. Daran erinnere ich mich noch.«
Das liegt daran, da? das Herz eines Feiglings in deiner Brust schlagt, dachte Azzie. Laut sagte er: »Du wirst uberlegene Waffen besitzen, gegen die niemand bestehen kann. Und Schutzzauber. Und, das Wichtigste uberhaupt, ein magisches Schwert.«
»Schwerter!« rief der Marchenprinz aus und verzog das Gesicht voller Abscheu.
»Aber denk an das Ziel deiner Mission«, sagte Azzie. »Denk an die Prinzessin! Naturlich wirst du kampfen mussen, aber ich verspreche dir, da? du siegen wirst.«
»Das konnte ich nicht«, behauptete der Prinz. »Nein, tut mir leid, aber das konnte ich einfach nicht.«
»Warum nicht?« wollte Azzie wissen.
»Weil ich mich erinnere, da? ich Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgrunden bin«, erklarte der Marchenprinz.
»So ein Quatsch! Du bist gerade erst wiedergeboren worden! Das hei?t, aus dem tiefen Schlaf erwacht, in den du durch deine Verletzungen gesunken bist. Wie kannst du da plotzlich Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgrunden sein?«
»Weil ich ganz genau wei?«, antwortete der Marchenprinz, »da? ich in einer Situation, in der Gewalttatigkeiten drohen, auf der Stelle ohnmachtig werden wurde.«