Azzie warf einen Blick zu Frike hinuber, der mit regloser Miene auf einen imaginaren Punkt an der Wand starrte. Aber selbst sein scheinbar unschuldiger Gesichtsausdruck verriet Azzie, da? sein Diener sich heimlich uber die Anstrengungen seines Gebieters lustig machte, der keine Muhe gescheut hatte, einen Marchenprinzen zu erschaffen, und der trotzdem so kurzsichtig gewesen war, ihm das Herz eines Feiglings einzupflanzen.

»Um das ein fur allemal klarzustellen«, sagte Azzie zu seinem Geschopf, »du wirst uben. Danach werde ich dir ein Zauberschwert besorgen, mit dem du jeden Gegner schlagen kannst. Und dann wirst du dich auf dieses Unternehmen begeben.«

»Und was, wenn ich dabei verletzt werde?«

»Prinz, du solltest deine Angst besser in den Griff bekommen«, erwiderte Azzie streng. »Ich versichere dir, da? du mit einem magischen Schwert von hier aufbrechen und herausfinden wirst, was du damit alles anstellen kannst, oder aber ich knopfe mir dich personlich vor. Und da unter meinen Freunden einige Damonen sind, ware das schmerzhafter als alles, was du dir vorstellen kannst. Geh jetzt auf dein Zimmer und wasch dich. Es ist gleich Zeit fur das Abendessen.«

»Was gibt es denn?« erkundigte sich der Marchenprinz. »Hoffentlich doch etwas Franzosisches mit viel So?e.«

»Rinderbraten mit Kartoffeln«, sagte Azzie. »Wir ziehen hier Kampfer und keine Tanzer heran.«

»Ja, Onkel«, murmelte der Marchenprinz und schlich mit hangenden Schultern aus dem Zimmer. Azzie warnte Frike mit einem finsteren Blick davor, eine bissige Bemerkung zu machen. Sein Diener schlurfte kommentarlos davon.

Azzie setzte sich in einen Sessel vor den Kamin und starrte nachdenklich ins Feuer. Er mu?te sich irgend etwas einfallen lassen. Der Marchenprinz wurde garantiert bei der ersten gefahrlichen Situation stiften gehen. Und das wurde Azzie zum Gespott in allen drei Welten machen. Aber er hatte nicht vor, es dazu kommen zu lassen.

KAPITEL 4

Am nachsten Morgen begann Azzie mit der Ausbildung des Marchenprinzen. Zuerst stand die Unterweisung im Schwertkampf auf dem Programm. Fur einen jungen Mann, der im Begriff steht, gefahrlichem Zauberwerk gegenuberzutreten, ist das Schwert eine bewahrte Allzweckwaffe. Bei ordentlicher Handhabung kann man mit einem Schwert praktisch alles toten.

Der Marchenprinz zeigte ein beachtliches Talent im Umgang mit der Klinge. Sein Rumpf und der rechte Arm hatten einem au?erst begabten Schwertkampfer gehort. Diese Begabung wurde deutlich, wenn der Prinz attackierte und parierte oder sich mit wirbelnder und blitzender Klinge zuruckzog. Selbst Azzie, der beileibe kein schlechter Fechter war, geriet durch die ungestumen Angriffe und die klugen Finten seines Schutzlings manchmal in arge Bedrangnis.

Aber der Prinz schien von seinem Wesen her einfach nicht fahig zu sein, einen einmal errungenen Vorteil auszunutzen und nachzusetzen. Azzie, der eine alte Ubungstunika trug und lediglich seinen Oberkoper durch einen schwachen Schwertabwehrzauber geschutzt hatte, ging immer wieder die grundlegenden Manover mit dem Marchenprinzen durch.

»Komm schon!« keuchte er, wahrend sie sich auf dem schattigen Ubungsplatz hinter dem Anwesen gegenuberstanden. »Ein bi?chen mehr Eifer! Greif mich an!«

»Ich mochte dich nicht verletzen, Onkel«, sagte der Prinz.

»Du wirst mich nicht erwischen, glaub mir. Los jetzt, greif mich an!«

Der Prinz versuchte es, aber seine angeborene Feigheit stand ihm dabei im Weg. Jedesmal, wenn er nahe genug an Azzie herangeruckt war, um einen todlichen Hieb anbringen zu konnen, zogerte er, und der gewandte Damon konnte die Deckung seines Gegners durchbrechen und einen Treffer landen.

Noch schlimmer aber war, da? die Geschicklichkeit des Marchenprinzen sich jedesmal in Luft aufloste, wenn Azzie mit wildem Geschrei und stampfenden Fu?en angriff. Dann wirbelte der Prinz herum und floh.

Frike schuttelte den Kopf, wahrend er die Ubungen verfolgte. Wer hatte gedacht, da? ein einziges kleines Korperteil, das Herz eines Feiglings, den gesamten Korper des Marchenprinzen wurde beherrschen konnen?

Azzie probierte die verschiedensten ihm zur Verfugung stehenden Zauberspruche aus, um den Prinzen mit Mut zu erfullen, aber irgend etwas Hartnackiges in dem Jungling schien sowohl gegen Ermahnungen als auch gegen Zauberspruche immun zu sein.

Wenn sie nicht gerade kampften oder Sport trieben, zog sich der Marchenprinz in ein Erkerturmchen am au?ersten Ende von Azzies Anwesen zuruck. Trotz seines vielversprechenden mannlichen Aussehens spielte er liebend gern mit Puppen, die er ankleidete und an einer kostbar gedeckten Tafel Tee trinken lie?. Azzie dachte daran, ihm die Puppen wegzunehmen, aber Frike riet ihm davon ab.

»Junge Manner zerbrechen oftmals daran, wenn man ihnen ihr kindliches Vergnugen verwehrt«, warnte er. »Der Prinz ist jetzt schon unsicher genug, ohne da? Ihr ihm seine Puppen fortnehmt.«

Azzie sah sich gezwungen, dem zuzustimmen. Ihm war klar, da? hier etwas geschehen mu?te. Vorher aber brauchte er unbedingt ein Zauberschwert.

Die Abteilung fur Ausrustung und Zubehor hatte vor scheinbar einer Ewigkeit versprochen, eins zu besorgen, die richtige Waffe bisher aber nicht auftreiben konnen. Naturlich verfugte sie uber eine Menge Schwerter mit gewissen positiven Eigenschaften, aber keins davon besa? ausreichende Zauberkrafte, um jeden Wachter durchbohren, einen Drachenpanzer durchdringen und den Weg tief ins Herz des Feindes finden zu konnen. Alle bekannten Zauberschwerter befanden sich bereits im Besitz anderer Helden, da Azzies Inszenierung nicht die einzige war, die zur Zeit stattfand. Er wies in diesem Zusammenhang auf die besondere Bedeutung seines Falls hin, dessen Ausgang uber nicht weniger als das Schicksal des Bosen wahrend der nachsten tausend Jahre entscheiden wurde.

»Na klar«, lautete die Antwort aus der Abteilung, »das sagen sie alle. ›Schrecklich wichtig, au?erster Vorrang, glauben Sie mir‹, das haben wir alles schon tausendmal gehort.«

»Aber in diesem Fall ist es wirklich die Wahrheit!«

Der Angestellte der Abteilung lachelte freudlos. »Naturlich ist es die Wahrheit, genau wie bei allen anderen auch.«

Azzie beschlo?, die Ausbildung an Frike zu ubergeben, vor dem der Marchenprinz etwas weniger Angst zu haben schien. In der Zwischenzeit wurde er dem Schlo? der Prinzessin Rosenrot einen Besuch abstatten und sich vom Stand der Vorbereitungen uberzeugen.

Er landete am Rand des verzauberten Waldes. In diesen Teil seines Plans hatte er viel Zeit und Muhe investiert, und die Versorgungsabteilung hatte seine Vorstellungen einigerma?en befriedigend umgesetzt.

Azzie spahte von drau?en in den Wald hinein, der grun und voller Unterholz war, so wie ein Wald eben auszusehen hat. Kaum hatte er ihn betreten, begannen die Baume sich zu bewegen. Ihre Aste sanken langsam herab, um ihn zu packen und festzuhalten. Es fiel ihm nicht schwer, ihnen zu entgehen. Eigentlich enthielt der Wald nicht die angemessene Ausstattung mit Fabeltieren und anderen seltsamen Kreaturen, und die Aste bewegten sich so langsam, da? ihnen selbst ein Einfaltspinsel wie der Marchenprinz problemlos wurde ausweichen konnen. Verdammt noch mal, dachte Azzie. Warum machte ihm die Abteilung nur solche Schwierigkeiten?

Voller Wut flog er nach Augsburg zuruck, um nachzusehen, welche Fortschritte Frike mit der Ausbildung machte.

Er fand seinen Diener auf der Treppe zum Vordereingang, wo der Bucklige einen Apfel a?.

»Was ist los?« erkundigte sich Azzie. »Warum ubst du nicht mit ihm?«

Frike zuckte die Achseln. »Er hat gesagt, er hatte die Nase voll, und er hatte geschworen, kein Lebewesen zu toten. Wenn man seinen Worten Glauben schenken darf, ist er Vegetarier geworden und tragt sich mit dem Gedanken, einem Monchsorden beizutreten.«

»Das ist jetzt endgultig zuviel«, stohnte Azzie.

»Ganz Eurer Meinung«, stimmte Frike ihm zu. »Aber was konnt Ihr dagegen tun?«

»Ich brauche sofort den Rat eines Experten«, sagte Azzie. »Lauf und hol mir mein Zauberpulver und mein Reiseamulett. Es wird Zeit, da? ich eine Beschworung durchfuhre.«

KAPITEL 5

Am Anfang funktionierten Azzies Zauber Spruche nicht. Was er auch versuchte, Hermes wollte einfach nicht erscheinen. Dann probierte er es mit Hilfe der gro?en Kerzen, die aus dem Talg von Toten bestanden und die er sich fur wirklich schwierige Situationen aufbewahrt hatte. Und diesmal spurte er, da? seine Beschworung funktionierte. Er verstarkte sie. Die Kraft jagte durch den Ather, wirbelte durch den Ri? zwischen den Welten und

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