Setz einen gro?en Kessel Wasser auf, wahrend ich nachsehe, wer es ist.«
Er ging zur Tur und schob die schweren Riegel zuruck, die aus vulkanischem Stahl geschmiedet worden waren.
Vor ihm stand eine hochgewachsene wei?gekleidete Gestalt. Der Mann trug einen schlichten Goldhelm mit Taubenflugeln auf beiden Seiten, eine schneewei?e Rustung und einen wei?en Umhang aus Hermelinpelz um die Schultern. Er war auf eine seltsam langweilige Art attraktiv, hatte ein kraftiges ebenma?iges Gesicht und gro?e blaue Augen.
»Hallo«, sagte er. »Ich hoffe, ich bin an der richtigen Adresse. Das ist doch die Residenz des Damons Azzie Elbub, nicht wahr?«
»Stimmt«, bestatigte Azzie, »aber was auch immer Ihr verkauft, ich habe kein Interesse. Wie konnt Ihr es uberhaupt wagen, mich zu dieser spaten Stunde noch zu belastigen?«
»Die Storung tut mir schrecklich leid, aber man hat mich beauftragt, so schnell wie moglich hier zu erscheinen.«
»Man?«
»Das leitende Komitee der Machte des Lichtes fur den Jahrtausendwettkampf.«
»Sie gehoren den Machten des Lichtes an?«
»Ja. Hier ist mein Beglaubigungsschreiben.« Der Fremde zog eine mit einem scharlachroten Band versiegelte Pergamentrolle hervor und reichte sie Azzie, der sie entrollte und las. Dort stand in der klobigen gotischen Druckschrift, die der Rat benutzte, da? der Inhaber des Dokuments, Babriel, ein Engel zweiten Grades im Dienst der Machte des Lichtes, berechtigt war, sich uberall frei zu bewegen und sich alles anzusehen, was sein Interesse erregte. Diese allgemeine Erlaubnis schlo? auch ausdrucklich den Damon Azzie Elbub ein, dem Babriel als Beobachter zugeteilt worden war.
Azzie starrte ihn finster an. »Mit welchem Recht haben die Machte des Lichtes Sie hergeschickt? Dies ist einzig und allein eine Produktion der Machte der Finsternis, und die andere Seite hat kein Recht, sich darin einzumischen.«
»Ich kann Ihnen versichern, da? ich nicht die Absicht habe, mich in irgendeiner Form in Ihre Arbeit einzumischen. Durfte ich hereinkommen und die Angelegenheit naher erlautern?«
Azzie war derart fassungslos uber die Dreistigkeit des Vertreters des Guten, da? er keine Einwande erhob, als der gro?e Engel mit dem goldenen Haar eintrat und sich umsah.
»Was fur ein hubsches Haus Sie haben! Besonders gut gefallen mir die Symbole dort an der Wand.« Er deutete auf die Nischen in der Westwand, die eine Reihe von Damonenkopfen aus schwarzem Onyx enthielten. Die Damonen waren in den verschiedensten Erscheinungsformen dargestellt, unter anderem als Affen, Falken und Nattern. Aus der neuen Welt war ein Vielfra? vertreten.
»Das sind keine Symbole, Sie Trottel«, schnaubte Azzie. »Das sind Busten meiner Ahnen.«
»Was ist mit dem hier?« erkundigte sich der Engel und zeigte auf den Vielfra?kopf.
»Das ist mein Onkel Zanzibar. Er ist nach Gronland ausgewandert, wo er zusammen mit Erik dem Roten angekommen und geblieben ist.«
»Was fur eine weitgereiste Familie Sie haben!« staunte der Engel beeindruckt. »Ich bewundere die Energie und den Eifer des Bosen. Es ist naturlich schlecht, aber trotzdem faszinierend. Ubrigens, ich hei?e Babriel.«
»Wenn Ihr ein Engel seid«, meldete sich Frike zu Wort, »wo sind dann Eure Flugel?«
Babriel schnallte seine Rustung ab, unter der ein zusammengequetschtes Paar Flugel zum Vorschein kam, die sich jetzt entfalteten. Sie hatten einen wunderschonen beigen Farbton.
»Was wollen Sie?« fragte Azzie. »Ich habe eine wichtige Arbeit zu erledigen und keine Zeit, herumzutrodeln und zu quatschen.«
»Wie ich Ihnen bereits gesagt habe, haben mich die Machte des Lichtes gesandt. Der Hohe Rat ist zu der Uberzeugung gelangt, da? Ihr Beitrag zum Jahrtausendwettkampf von gro?er Bedeutung fur uns ist. Und weil es ein so wichtiges Ereignis ist, schien es uns nur angemessen, einen Beobachter zu entsenden, der sich davon uberzeugen soll, da? Sie nicht schummeln. Was wir Ihnen naturlich keineswegs unterstellen. Wir waren nur der Ansicht, da? es den ublichen Gepflogenheiten entspricht, Ihr Unternehmen im Auge zu behalten, womit wir Sie nicht beleidigen wollen.«
»Als ob ich nicht schon Arger genug hatte«, knurrte Azzie. »Jetzt habe ich auch noch einen Engel am Hals, der mir standig uber die Schulter guckt.«
»Ich mochte Sie nur beobachten«, erklarte Babriel. »Wo ich herkomme, horen wir eine Menge uber das Bose, aber ich habe es noch nie aus der Nahe gesehen.«
»Wo Sie herkommen, mu? es ziemlich langweilig sein«, meinte Azzie.
»Das ist schon richtig. Aber es ist gut, und deshalb gefallt es uns dort naturlich. Andererseits, die Gelegenheit, einen richtigen Damon bei der Arbeit zu beobachten, wie er Boses tut… Nun, ich mu? zugeben, da? ich die Idee des Bosen aufregend finde.«
»Es gefallt Ihnen, was?« fragte Azzie.
»O nein! So weit wurde ich nicht gehen. Aber es interessiert mich. Und vielleicht konnte ich Ihnen sogar ein bi?chen helfen.«
»Mir? Soll das ein Witz sein?«
»Ich wei?, da? mu? Ihnen seltsam vorkommen. Aber das Gute neigt von seiner Natur her dazu, hilfreich zu sein, selbst bei einem schlechten Unternehmen. Das wahre Gute hat keine Vorurteile gegen das Bose.«
»Mehr mochte ich nicht mehr uber das Gute horen«, sagte Azzie. »Ich hoffe, Sie sind nicht einer von diesen Missionarstypen, der gekommen ist, um mich zur anderen Seite zu bekehren. Das ware vollig sinnlos. Haben Sie das kapiert?«
»Ich bin davon uberzeugt, Ihnen keinen Arger zu bereiten«, erwiderte Babriel. »Und Ihre eigenen Leute waren einverstanden.«
»Ihre Schriftrolle sieht offiziell genug fur mich aus«, bestatigte Azzie. »Schon, ich habe nichts dagegen. Beobachten Sie, was Sie wollen. Aber versuchen Sie ja nicht, mir einen meiner Zauber zu stehlen.«
»Ich wurde mir eher den rechten Arm abhacken, als Sie zu bestehlen!« versicherte Babriel.
»Ich glaube Ihnen«, sagte Azzie. »Sie sind wirklich ein Trottel, nicht wahr? Schon gut«, fugte er schnell hinzu, als er Babriels niedergeschlagenen Gesichtsausdruck bemerkte, »das ist nun mal so meine Art, mich auszudrucken. Wir haben eine Menge Proviant in der Speisekammer. Nein, wenn ich genauer daruber nachdenke, Sie wurden die Sachen wahrscheinlich nicht mogen. Frike, besorg ein paar Huhner aus dem Dorf fur unseren Gast.«
»Aber ich ware vollig damit zufrieden, mich mit allem zu begnugen, was Sie essen«, sagte Babriel.
»Nein, das waren Sie nicht«, widersprach Azzie. »Vertrauen Sie mir in diesem Punkt. Und wie kommt das Gute so voran?«
»Unser Beitrag macht gute Fortschritte«, antwortete Babriel. »Die Fundamente sind schon fertig. Quer schiff, Hauptschiff und Altarraum sind im Bau…«
»Beitrag? Was meinen Sie damit?«
»Der Beitrag des Guten zum Jahrtausendwettkampf.«
»Sie bauen irgend etwas?«
»Ja. Wir haben einen Baumeister inspiriert und ein ganzes Dorf zur Arbeit an einem gewaltigen architektonischen Projekt ermutigt. Es wird ein herrliches Gebaude werden, das der Menschheit die hohen Tugenden naher bringen wird – Wahrheit, Schonheit, Gutigkeit…«
»Wie nennen Sie das Ding?«
»Uns gefallt die Bezeichnung ›gotische Kathedrale‹.«
»Hmm. Schon, schon. Haben Ihre Leute ebenfalls einen Beobachter am Hals?«
»Ja. Bestialial kummert sich darum.«
Azzie schnaubte abfallig. »Nicht gerade ein Mann fur den Au?endienst. Eher ein typischer Schreibtischhengst. Aber trotzdem ganz brauchbar, denke ich, wenn er aufpa?t. Sie glauben also, es ware ein guter Beitrag?«
»O ja, wir sind damit sehr glucklich«, versicherte Babriel. »Und Gluck zu bringen, ist schlie?lich die Aufgabe des Guten. Aber Sie kennen ja das Sprichwort: ›Es ist gut, aber es konnte noch besser werden.‹«
»Genauso ist es mit dem Bosen«, gab Azzie zuruck. »Kommen Sie mit ins Arbeitszimmer. Ich spendiere Ihnen einen Schluck Jauche.«