hatte.
Er blinzelte dreimal schnell hinter den rechteckigen Glasern seiner Brille. »Du liebe Gute! Sie sind kein Zwerg, nicht wahr?«
»Nein«, sagte Ylith, »und ich bin auch kein Rentier. Aber ich gebe Ihnen einen Hinweis. Ich bin auf einem Besenstiel hergekommen.«
»Dann mussen Sie eine Hexe sein!«
»Sie haben es erfa?t.«
»Werden Sie mich verhexen?« fragte der Weihnachtsmann und sabberte ein wenig, als er Yliths Reize bemerkte, die durch ihre windzerzauste Kleidung besonders deutlich zur Geltung kamen. »Wissen Sie, ich hatte nichts dagegen, verhext zu werden. Niemand denkt jemals daran, den Nikolaus zu verhexen. Als ob ich nicht auch von Zeit zu Zeit etwas Aufmunterung gebrauchen konnte. Wer bringt denn dem Weihnachtsmann Geschenke, hah? Haben Sie schon einmal daruber nachgedacht? Immer hei?t es: Geben, geben, geben. Aber was bekomme ich dafur?«
»Befriedigung. Sie konnen sich daran erfreuen, da? alle Sie lieben.«
»Was sie lieben, sind meine Geschenke, nicht mich.«
»Der Geber ist immer ein Teil dessen, was gegeben wird«, sagte Ylith.
Der Nikolaus schwieg einen Moment lang und dachte daruber nach. »Glauben Sie das wirklich?«
»Wie sollte es denn anders sein?«
»Schon, das klingt schon besser. Durfte ich erfahren, was Sie hier tun? Normalerweise gibt es hier nur Zwerge und Rentiere. Und naturlich mich.«
»Ich bin gekommen, um zwei Pakete abzuholen, die hier fur mich abgegeben worden sind«, erklarte Ylith.
»Pakete? Was fur Pakete?«
»Eins mit mannlichem, das andere mit weiblichem Inhalt. Beide menschlich und tiefgefroren. Sie sind von Harpyien geliefert worden.«
»Oh, diese gra?lichen Harpyien!« rief der Nikolaus. »Sie haben den Schnee im Umkreis von mehreren Meilen gelb besudelt!«
»Was ist mit den gefrorenen Menschen?«
»Sie liegen drau?en. Dahinten im Holzschuppen.«
»Ich werde sie wieder mitnehmen«, sagte Ylith. »Ach, noch etwas. Es gibt da ein kleines Madchen names Brigitte Scrivener auf der Erde.«
»Eine kleine aufsassige Gore mit schmutzigem Gesicht?« Der Nikolaus verga? kein Kind.
»Das ist sie. Ich mochte, da? Sie ihr dieses Jahr ein Puppenhaus bringen. Eins von der Sorte, die Sie normalerweise nur Prinzessinnen schenken. Mit beweglichen Figuren, Tapeten, Radios und dem ganzen anderen magischen Brimborium.«
»Die Kleine war wohl wirklich brav, was?«
»Ihr Verhalten hat nichts damit zu tun«, entgegnete Ylith. »Ein Damon hat ihr ein Versprechen gegeben, und das Puppenhaus ist ein Teil davon.«
»Warum ist der Damon dann nicht selbst gekommen, um es abzuholen?«
»Er ist anderweitig beschaftigt. Sie wissen ja, wie Damonen sind.«
Der Nikolaus nickte. »In Ordnung, sie wird ihr Geschenk bekommen. Soll ich dafur sorgen, da? au?erdem etwas Gluck dazu hineingepackt wird?«
Ylith uberlegte sorgfaltig. »Nein, bringen Sie es ihr so, wie es verpackt wird. Das Puppenhaus reicht vollig aus. Sie soll die gleiche Chance wie jedes andere Kind haben, ob es ihr Gluck oder Ungluck bringt.«
»Eine weise Entscheidung«, versicherte der Nikolaus. »Aber lassen Sie mich auch Ihnen ein Geschenk geben, bevor Sie gehen.«
»Woran haben Sie gedacht?«
»Daran!« rief der Nikolaus und ri? sich die Kleider vom Leib.
»Sehr freundlich«, sagte Ylith und wehrte ihn mit Leichtigkeit ab, »aber ich kann Ihr Geschenk jetzt wirklich nicht gebrauchen. Heben Sie es sich fur eine andere gluckliche Frau auf.«
»Aber keine kommt jemals hierher!« jammerte der Weihnachtsmann. »Nur Elfen und Rentiere!«
»Das ist hart«, kommentierte Ylith zweideutig, ging zu dem Holzschuppen und zerrte den Prinzen und die Prinzessin hervor. Beide waren beinhart gefroren und schwer wie die Sunde. Ylith mu?te ihre gesamten Hexenkrafte mobilisieren, um sie hochzuheben.
»Schicken Sie mir eine Ihrer Hexenfreundinnen vorbei!« rief ihr der Nikolaus hinterher. »Sagen Sie ihnen, da? ich Geschenke verteile!«
»Ich werde es ihnen ausrichten«, versprach Ylith. »Hexen lieben Geschenke.« Mit diesen Worten erhob sie sich – das Prinzenpaar im Schlepptau – in die Luft und nahm Kurs auf Azzies Anwesen in Augsburg. Sie flog so schnell, wie sie konnte.
KAPITEL 2
Azzie wanderte nervos im Hinterhof auf und ab, als Frike meldete: »Ich glaube, sie kommt, Gebieter!« Er deutete auf den ostlichen Horizont.
Der Damon sah Ylith herankommen. Sie flog langsam auf vier Besenstielen, von denen die beiden gefrorenen Korper an Seilen herabbaumelten.
»Pa? auf, wenn du sie absetzt!« rief Azzie, als Ylith in den Landeanflug uberging.
»Gib du einer Hexe nur keine Ratschlage, wie man einen Besenstiel fliegt«, erwiderte Ylith und setzte die beiden Korper elegant vor der Tur zum alchemistischen Labor ab.
»Endlich!« stie? Azzie hervor. Er eilte zu dem gefrorenen Parchen. »Du hast dir ganz schon Zeit gelassen.«
»Herzlichen Dank!« fauchte Ylith. »Beim nachsten Mal kannst du dir deine Korper ja selbst holen. Und die Augen ebenfalls!«
»Entschuldige, Ylith«, beschwichtigte Azzie sie sofort, »aber ich mu? mich wirklich beeilen, oder ich werde die beiden nicht mehr rechtzeitig zum Wettkampf fertig machen konnen. Ich habe noch etwas Jauche bekommen. La? uns den Marchenprinzen vorerst einlagern, wahrend wir Prinzessin Rosenrot in ihr Schlo? schaffen und zum Leben erwecken.«
»Wie du willst«, sagte Ylith.
»Gro?artig«, stellte Azzie fest, als sie den Prinzen versorgt hatten. »Jetzt hoffe ich nur, da? mit dem Schlo? alles in Ordnung ist. Wir brechen sofort auf.«
Sie machten sich auf den Weg. Ylith trug Prinzessin Rosenrot, die immer noch steif vor Kalte war, gefolgt von Azzie, der mit seinen beachtlichen Kraften Frike und einen mit Vorraten und den vermutlichen erforderlichen Zauberspruchen gefullten Sack schleppte.
»Bring endlich das Feuer in Gang!« verlangte Azzie, nachdem sie sich in dem verzauberten Schlo? eingerichtet hatten. Sie befanden sich in einem der oberen Stockwerke, wo ein Gemach fur Prinzessin Rosenrot vorbereitet worden war. Naturlich mu?ten sie ihr erst noch Leben einhauchen.
»Hast du die Augen?« wandte er sich an Ylith.
»Hier«, sagte die Hexe. »Ich habe sie von Chodlos, dem Kunstler, der Miranda als Magdalena gemalt hat.«
»Und die Augen fur den Prinzen?«
»Haben dem Drachen Skander gehort.«
»Wunderbar«, sagte Azzie. »Warum ist es hier immer noch so kalt?«
Frike hatte den gro?en Kamin im Schlafzimmer schon uber eine Stunde lang angeheizt, aber es wollte einfach nicht warm werden. Die Steinmauern schienen die Warme aufzusaugen. Bei diesem Tempo wurden sie Prinzessin Rosenrot nie auftauen konnen. Durch die blauliche Eisschicht sah sie ein wenig verzerrt aus. Ihre Zuge wirkten entspannt. Frikes Nahte waren kaum noch zu erkennen. Dort, wo er die Beine der Tanzerin an den Rumpf der Magdalena angenaht hatte, schien der Saum eines Strumpfbandes die Oberschenkel zu umschlie?en. Frike verfugte uber erstaunliche Fahigkeiten.
Aber warum dauerte es so lange, bis die Prinzessin auftaute? Lag vielleicht ein magischer Bann auf dem Eis? Azzie stocherte mit seinen Klauen darin herum und mu?te feststellen, da? es kaum weicher geworden war.
Das Feuer war einfach nicht hei? genug. Schon vor einiger Zeit hatte Azzie Warmezauber fur geschlossene