Gotter strikt verboten ist.«

»Ihr habt recht«, bestatigte die Vettel. »Die alten Gotter sind zwar einerseits tot, andererseits aber auch wieder nicht, weil sie in neuer Gestalt ins Leben zuruckgekehrt sind. So hat sich beispielsweise Hermes in Hermes Trismegistus verwandelt, den Schutzheiligen der Alchemisten. Seine Verehrung wird zwar nicht gern gesehen, ist aber auch nicht direkt verboten.«

»Das freut mich«, sagte Azzie. »Aber warum habt Ihr mich zu Euch gerufen?«

»Ihr seid ein Damon, Herr?« erkundigte sich das alte Weib.

»Ja. Woher wi?t Ihr das?«

»Es liegt etwas Hoheitsvolles und Finsteres in Euren Zugen«, entgegnete die Vettel, »eine tief verborgene unheilvolle Ausstrahlung des Bosen, die Euch auch aus einer beliebig gro?en Menge hervorheben wurde.«

Azzie wu?te, da? Zigeunerinnen die Begabung besa?en, au?erst genau zu beobachten und ihre Erkenntnisse dann so zu formulieren, da? sie ihren Kunden schmeichelten. Trotzdem griff er in seine Tasche, zog einen Golddenar daraus hervor und gab ihn der Frau.

»Nehmt das als Lohn fur Eure geschickte Zunge. Und was wollt Ihr von mir?«

»Mein Gebieter mochte mit Euch sprechen.«

»Gut«, sagte Azzie. Es war schon lange her, seit er das letzte Mal mit einem der alten Gotter geplaudert hatte. »Wo ist er?«

Die Vettel kniete vor dem Altar nieder und begann, vor sich hinzumurmeln. Kurz darauf uberzog ein rosiger Schimmer den Marmor. Die Statue erwachte zum Leben, streckte sich, stieg von ihrem Sockel herab und nahm neben Azzie Platz.

»Geh und besorg uns etwas zu trinken«, trug Hermes der alten Frau auf. Nachdem sie verschwunden war, sagte er: »Also, Azzie, es ist lange her.«

»Ziemlich lange«, stimmte ihm Azzie zu. »Es ist schon, dich wiederzusehen, Hermes. Ich war leider nicht auf der Erde, als das Christentum den Paganismus besiegt hat – du wei?t schon, andere Verpflichtungen –, aber ich mochte dir mein Beileid aussprechen.«

»Danke«, erwiderte Hermes, »aber eigentlich haben wir gar nichts verloren. Wir Gotter sind alle noch im Geschaft. Wir gehen mit der Zeit, und manchmal bekleiden wir ehrwurdige Positionen in beiden Lagern – als Heilige oder Damonen. Das erweitert den geistigen Horizont ganz ungemein. Es spricht eine ganze Menge fur so eine Art von Zwischenstadium.«

»Freut mich, das zu horen«, versicherte Azzie. »Die Vorstellung eines ausgemusterten Gottes hat irgendwie etwas Trauriges an sich.«

»Mach dir nur keine Sorgen uber uns. Ich habe meiner Dienerin Assia befohlen, dich zu rufen, Azzie, weil sie meinte, du wurdest einen verlorenen Eindruck machen. Ich habe mir gedacht, ich konnte dir vielleicht helfen.«

»Das ist nett von dir«, sagte Azzie. »Vielleicht konntest du mir erzahlen, was sich seit Caligula so getan hat.«

»Also, kurz gesagt, die romische Geschichte ist durch die Invasionen von Barbaren und durch schleichende Bleivergiftung zusammengebrochen. Jetzt sind die Barbaren uberall am Ruder. Sie nennen sich selbst Franken, Sachsen und Westgoten und haben ein Reich errichtet, das sie Heiliges Romisches Kaiserreich nennen.«

»Heilig?« hakte Azzie nach.

»So nennen sie es wenigstens. Warum, wei? ich auch nicht.«

»Aber wie ist das richtige Romische Reich gefallen?«

»Das kannst du in jedem Geschichtswerk nachschlagen«, sagte Hermes. »Glaub mir einfach. Es ist zusammengebrochen, und das war das Ende des klassischen Altertums. Der Zeitabschnitt, in dem wir uns jetzt befinden, wird das Mittelalter genannt – zumindest wird man es kurz nach seinem Ende so nennen. Du hast die Dunklen Jahrhunderte nur knapp verpa?t. Wir hatten eine Menge Spa?, das kann ich dir sagen! Aber diese Zeit ist auch nicht so ubel.«

»Welches Jahr schreiben wir jetzt?« wollte Azzie wissen.

»Das Jahr 1000«, antwortete Hermes.

»Die Jahrtausendwende!«

»Genau.«

»Dann steht der Wettstreit kurz bevor!«

»Das stimmt, Azzie. Die Zeit ist gekommen, da die Machte des Lichtes und der Finsternis ihren gro?en Wettstreit austragen, um festzulegen, wer die Essenz des menschlichen Schicksals in den nachsten tausend Jahren bestimmt und ob es sich zum Guten oder zum Bosen entwickelt. Was gedenkst du in dieser Angelegenheit zu unternehmen?«

»Ich?« fragte Azzie. »Was konnte ich tun?«

»Du kannst an dem Wettstreit teilnehmen.«

Azzie schuttelte den Kopf. »Der Vertreter des Bosen wird auf der Gro?en Ratsversammlung von den Hohen Machten des Bosen bestimmt. Da kommen immer nur die Favoriten der Hohen Machte zum Zug; sie wahlen einen ihrer Freunde aus. Ich hatte nicht die geringste Chance.«

»So ist es fruher gewesen«, sagte Hermes. »Aber wie ich gehort habe, findet eine Reformation der Holle statt. Die Machte des Lichtes uben einen ziemlich starken Druck auf sie aus. So hervorragend der Nepotismus auch sein mag, er reicht nicht mehr aus, als da? die Holle damit ihren Standpunkt durchsetzen konnte. Soweit ich gehort habe, mu? sich der Kandidat fur den Wettstreit durch personlichen Verdienst auszeichnen.«

»Verdienst! Was fur eine neuartige Vorstellung! Aber trotzdem gibt es nichts, was ich tun konnte.«

»Sei kein Defatist wie so viele andere junge Damonen«, sagte Hermes streng. »So viele von ihnen sind faul und zufrieden damit, einfach nur rumzuhangen, Drogen zu nehmen, Blodsinn zu quatschen und den bequemen Weg durch die Ewigkeit zu beschreiten. Das ist nicht deine Art, Azzie. Du bist schlau, du hast Prinzipien und Initiative. Unternimm etwas. Du konntest wirklich eine Chance bekommen.«

»Aber ich wei? nicht, was ich tun soll«, klagte Azzie. »Und selbst wenn ich es wu?te, ich habe nicht das Geld, um es durchzufuhren.«

»Du hast die alte Frau bezahlt«, wandte Hermes ein.

»Das war Zaubergold. Es verschwindet nach einem oder zwei Tagen wieder. Wenn ich mich fur den Wettkampf bewerben will, brauche ich richtiges Geld.«

»Ich wei?, wo es welches gibt«, sagte Hermes.

»Wo? Wie viele Drachen mu? ich erschlagen, um an das Geld heranzukommen?«

»Uberhaupt keine Drachen. Du mu?t nur alle Teilnehmer an der Grundertagspokerrunde besiegen.«

»Poker!« keuchte Azzie. »Meine gro?e Leidenschaft! Wo und wann findet das Spiel statt?«

»In drei Tagen auf einem Friedhof in Rom. Aber du mu?t besser als beim letzten Mal spielen, sonst wirst du fur ein paar hundert Jahre in die Grube zuruckkehren. Um es praziser auszudrucken, du brauchst etwas, das die Spieler spater einmal eine Masche nennen werden.«

»Eine Masche? Was ist das?«

»Irgendein Mittel, das dir hilft zu gewinnen.«

»Bei diesen Spielen gibt es Beobachter, um Betrugereien zu verhindern«, gab Azzie zu bedenken.

»Vollkommen richtig. Allerdings gibt es kein Gesetz gegen einen Glucksbringer, weder ein himmlisches noch ein hollisches.«

»Aber Glucksbringer sind au?erst selten. Wenn ich doch nur einen hatte!«

»Ich kann dir sagen, wo du einen finden kannst. Aber du wirst einige Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen mussen, um ihn zu bekommen.«

»Ruck schon raus damit, Hermes!«

»Wahrend meiner nachtlichen Streifzuge durch Troyes und die Umgebung«, erklarte Hermes, »habe ich eine Stelle am Rande des Waldes westlich von hier entdeckt, wo eine kleine orangefarbene Blume wachst. Die Leute hier kennen sie nicht. Sie hei?t Speculum und gedeiht nur in der Nahe von Felixit.«

»Es gibt Felixit hier in der Gegend?« fragte Azzie voller Verwunderung.

»Das mu?t du schon selbst herausfinden«, sagte Hermes. »Aber alle Anzeichen sprechen dafur.«

KAPITEL 5

Azzie bedankte sich bei Hermes und machte sich auf den Weg. Er wanderte durch ein Feld zu dem Wald, der die Stadt umgab, und fand die seltene Blume, eine kleine und unscheinbare Pflanze. Nachdem er an ihr

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