»Es gibt hier kein Felixit«, behauptete der Zwerg. »Diese Gegend ist schon vor langer Zeit ausgebeutet worden.«

»Das erklart wohl kaum, was du hier gemacht hast.«

»Ich? Ich habe nur eine Abkurzung genommen«, erklarte Rognir. »Dieser Punkt liegt zufallig auf der gro?en unterirdischen Umgehungsroute von Bagdad nach London.«

»Wenn dem so ist«, sagte Azzie, »dann hast du sicher nichts dagegen, wenn ich mich mal ein bi?chen umschaue.«

»Warum sollte ich? Die Erde ist fur alle da.«

»Gut gesagt«, gab Azzie zuruck und begann, in der Gegend herumzuschnuffeln. Seine feine Fuchsnase fing schon bald einen schwachen Dufthauch auf, der vor noch nicht allzu langer Zeit mit etwas anderem in Verbindung gebracht worden ware, das wiederum vielleicht nur fluchtig an Felixit erinnerte. (Damonen besitzen einen ausgepragten Geruchssinn, was ihre Dienstzeit in den Gruben der Holle um so unertraglicher macht.)

Wie ein Fuchs der Spur seiner Beute folgt, folgte Azzie dem kaum wahrnehmbaren Geruch durch die Hohle direkt zu dem aus Lemurleder gefertigten Sack, der vor Rognirs Fu?en stand.

»Du hast doch sicher nichts dagegen, wenn ich mal einen Blick da hineinwerfe, oder?« fragte Azzie.

Rognir hatte eine ganze Menge dagegen, aber da ein Zwerg kein ernstzunehmender Gegner fur einen Damon ist, entschied er sich fur zuvorkommendes Verhalten statt unangebrachter Tapferkeit.

»Tu dir keinen Zwang an.«

Azzie leerte den Sack aus. Er stie? die Rubine beiseite, die Rognir in Burma gesammelt hatte, ignorierte die kolumbianischen Smaragde sowie die sudafrikanischen Diamanten mitsamt ihren zukunftigen finsteren Auswirkungen und hob einen kleinen zylinderformigen rosafarbenen Stein auf.

»Fur mich sieht das wie Felixit aus«, stellte er fest. »Wurde es dir etwas ausmachen, wenn ich es mir fur eine Weile ausleihe?«

Da ihm kaum etwas anderes ubrig blieb, zuckte Rognir die Achseln. »Solange du nicht vergi?t, es mir spater wieder zuruckzugeben.«

»Mach dir deswegen keine Sorgen«, sagte Azzie, drehte sich um und wollte verschwinden. Dann betrachtete er noch einmal die auf dem Boden verstreuten kostbaren Steine. »Hor mal, Rognir«, meinte er, »fur einen Zwerg scheinst du ganz in Ordnung zu sein. Was haltst du davon, wenn du und ich einen kleinen Handel eingehen?«

»Woran hast du gedacht?«

»Ich habe da eine bestimmte Sache vor. Im Augenblick kann ich nicht viel daruber verraten, aber es hat etwas mit der bevorstehenden Jahrtausendfeier zu tun. Ich brauche das Felixit und deine Edelsteine, denn ohne Geld kann ein Damon nichts machen. Wenn ich die erwartete Unterstutzung von den Hohen Machten des Bosen bekomme, werde ich dir das Darlehen zehnfach zuruckzahlen konnen.«

»Aber ich wollte diese Edelsteine nach Hause bringen und meinem Haufen hinzufugen«, sagte Rognir. Er buckte sich und begann, die Steine aufzusammeln.

»Du besitzt doch bestimmt schon einen ziemlich gro?en Haufen, nicht wahr?«

»Oh, nichts wofur man sich schamen mu?te«, erwiderte Rognir mit der Selbstgefalligkeit eines Zwergs, dessen aufgehaufte Reichtumer es mit den besten aufnehmen konnten.

»Warum uberla?t du mir dann nicht diese Steine? Der Haufen, den du zu Hause hast, ist doch jetzt schon ganz schon gro?.«

»Das halt mich nicht davon ab, mir zu wunschen, da? er noch gro?er wird!«

»Naturlich nicht. Aber wenn du diese Steine deinem Haufen hinzufugst, wird dein Geld nicht fur dich arbeiten. Wenn du es dagegen bei mir investierst, dann wird es arbeiten.«

»Geld, das fur mich arbeitet? Was fur eine seltsame Vorstellung! Ich wu?te gar nicht, da? Geld arbeiten sollte.«

»Es ist ein Konzept der Zukunft, und es ist sehr vernunftig. Warum sollte Geld nicht arbeiten? Alles und jeder andere mu? arbeiten.«

»Das ist ein gutes Argument«, raumte Rognir ein. »Aber welche Sicherheit habe ich, da? du dein Wort halten wirst? Alles, was ich habe, ist dein Versprechen, da? ich mich auf dein Wort verlassen kann, wenn ich dein Angebot annehme. Nehme ich es dagegen nicht an, habe ich immer noch alle meine Edelsteine.«

»Ich kann das Angebot unwiderstehlich attraktiv fur dich machen«, sagte Azzie. »Anstatt mich an die im Bankgeschaft ublichen Konditionen zu halten, werde ich dir deinen Gewinn im voraus auszahlen.«

»Meinen Gewinn? Aber ich habe doch noch gar nicht bei dir investiert.«

»Das ist mir klar. Deshalb werde ich dir als Anreiz schon jetzt die Jahreszinsen zahlen, die du erhaltst, wenn du bei mir investier st.«

»Und was mu? ich dafur tun?«

»Offne einfach die Hande.«

»Also, na gut«, gab Rognir nach, der – wie die meisten Zwerge – der Aussicht auf einen Gewinn nicht widerstehen konnte.

»Hier, fur dich«, sagte Azzie. Er gab Rognir zwei der kleineren Diamanten, einen Rubin mit winzigen Verunreinigungen und drei vollkommene Smaragde.

Rognir nahm sie entgegen und betrachtete sie unschlussig. »Aber sind das denn nicht meine?«

»Naturlich! Das ist dein Gewinn!«

»Aber die haben mir doch schon vorher gehort!«

»Ich wei?. Aber du hast sie mir geliehen.«

»Habe ich das? Ich kann mich nicht daran erinnern.«

»Du erinnerst dich doch daran, da? du den Gewinn akzeptiert hast, den ich dir angeboten habe, nicht wahr?«

»Naturlich. Wer wurde schon einen Gewinn ablehnen?«

»Du hast dich ganz richtig entschieden. Aber dein Profit beruht darauf, mir die Steine zu leihen, um daraus Profit zu schlagen. Jetzt hast du ein paar davon zuruckbekommen. Und trotzdem schulde ich dir immer noch diejenigen, die ich dir gerade zuruckgegeben habe, wie den ganzen Rest. Sie sind die erste Rate. In einem Jahr wirst du alle zuruckbekommen. Und du hast bereits den Gewinn eingestrichen.«

»Ich bin mir da nicht so sicher«, murmelte Rognir nachdenklich.

»Vertrau mir«, sagte Azzie. »Du hast eine kluge Investition getatigt. Es war mir ein Vergnugen, Geschafte mit dir zu machen.«

»Warte einen Moment!«

Azzie nahm die restlichen Steine und das Stuckchen Felixit an sich, verschwand und tauchte auf der Erdoberflache wieder auf. Damonen verfugen unter anderem naturlich auch uber die Fahigkeit, ganz plotzlich zu verschwinden, was ihnen allgemein ein Talent fur theatralisches Auftreten verleiht.

KAPITEL 6

Es war schon lange her, seit Azzie Rom besucht hatte. Die Stadt erfreute sich besonderer Beliebtheit unter Damonen und war seit jeher ein bevorzugtes Ausflugsziel sowohl fur Einzelreisende als auch fur Gruppen von hundert und mehr Personen mit Frauen und Kindern unter der Fuhrung von damonischen Reiseleitern, die Wissenswertes uber dieses und jenes zu berichten wu?ten. An interessanten Dingen herrschte kein Mangel. Ganz oben auf der Liste der Sehenswurdigkeiten standen die Friedhofe. Die Lekture der Grabinschriften bereitete jede Menge Spa?, und die hohen dunklen Zypressen und antiken moosuberwucherten Monumente verliehen den Friedhofen ein angenehm melancholisches Flair, das zur inneren Besinnung einlud. Und auch in diesen Tagen war Rom ein aufregender Ort, was nicht nur an den standigen Ernennungen und Exkommunizierungen diverser Papste lag, sondern auch an den sich bietenden Gelegenheiten, dazu beizutragen, da? alles noch ein wenig schlimmer wurde.

Und besonders aufregend war, da? dies die Zeit der Jahrtausendwende war, das Jahr 1000 A.D. Otto III war Kaiser des Heiligen Romischen Reiches, und es gab eine gro?e Rivalitat zwischen seinen deutschen Gefolgsleuten und den Italienern, die die einheimischen Kandidaten unterstutzten. Die romischen Adligen erhoben sich regelma?ig gegen Otto, und immer wieder kam es zu Uberfallen und Tumulten. Nach Einbruch der Dunkelheit war es auf den Stra?en fur die Menschen nicht mehr sicher, und selbst bei Tag drohten allerlei Gefahren. Horden gesetzloser Soldner machten die Gegend unsicher, und wehe dem Mann oder der Frau, die ihnen in die Hande fielen.

Azzie schwebte mit der Abenddammerung ein, als sich die Sonne gerade anschickte, in der Adria zu

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