zusatzliches Buropersonal brauchte und da? die verwendete Ablagemethode hoffnungslos veraltet war. Auch der Hinweis auf das Krankheitsregister hatte ihm wieder eine klaffende Lucke in ihrer Arbeitsorganisation vor Augen gehalten. Es gab heutzutage wenig gute Krankenhauser, in deren pathologischer Abteilung dieses Register nicht gefuhrt wurde. Manche nannten es Archiv fur Gewebeschnitte, gleichgultig aber, wie es hie?, eine seiner Aufgaben war, bei der Losung der Art Probleme zu helfen, wie jetzt eines vor ihnen lag.

Pearson studierte wieder die Schnitte. Wie viele Pathologen murmelte er vor sich hin, wahrend er die vorliegenden Symptome registrierte und das Fehlen anderer vermerkte. McNeil horte: ». ziemlich klein. keine Blutgerinnsel. kein abgestorbenes Gewebe. negativ, aber keine Anzeichen. Ja, ich bin sicher.« Pearson richtete sich auf, zog den letzten Objekttrager aus dem Mikroskop, legte ihn in den Behalter zuruck und schlo? ihn. Er winkte dem Assistenzarzt zu schreiben und diktierte: »Diagnose: Naevus coeruleus.« Die Begnadigung fur die Patientin - mit freundlichen Gru?en, die Pathologie.

Methodisch zahlte Pearson die Grunde fur seine Entscheidung noch einmal auf. Wahrend er den Behalter mit den Schnitten vor den Assistenten schob, fugte er hinzu: »Am besten studieren Sie das noch einmal genau. Es ist ein Fall, den Sie nicht oft zu sehen bekommen.«

McNeil hatte keinen Zweifel, da? die Diagnose des alten Mannes zutreffend war. Das war eine Gelegenheit, bei der die Jahre der Erfahrung ihren Wert bewiesen, und er hatte gelernt, Pearsons Urteil auf dem Gebiet der pathologischen Anatomie zu respektieren. Aber wenn Sie nicht mehr hier sind, dachte er, wahrend er den alten Mann ansah, dann wird hier ein Krankheitsregister benotigt und zwar dringend.

Sie untersuchten zwei weitere Falle, beide ziemlich eindeutig, und dann schob Pearson den ersten Schnitt der nachsten Serie unter das Mikroskop. Er warf einen Blick durch das Okular, richtete sich auf und fuhr McNeil heftig an: »Holen Sie Bannister!«

»Ich bin noch hier«, erklarte Bannister gleichmutig.

Pearson fuhr herum. »Sehen Sie sich das an«, schnauzte er in seinem lautesten, herrischen Ton. »Wie oft mu? ich erklaren, wie ich die Schnitte gemacht haben will. Warum begreifen die Techniker in der Histologie das nicht? Sind sie taub oder einfach zu dumm?«

Der erste Laborant nahm den Schnitt und hielt ihn gegen das Licht. »Zu dick, was?«

»Naturlich ist der Schnitt zu dick.« Pearson griff nach einem weiteren Objekttrager der gleichen Serie. »Sehen Sie sich das doch an. Wenn ich ein Stuck Brot hatte, konnte ich das Fleisch abkratzen und es damit belegen.«

Bannister grinste. »Ich werde den Schneidapparat uberprufen. Wir haben schon lange Arger damit.« Er deutete auf den Behalter mit den Schnitten. »Soll ich die da mitnehmen?«

»Nein. Ich mu? mich eben damit begnugen.« Der alte Mann knurrte nur noch, seine Heftigkeit war verschwunden. »Aber Sie konnten die Arbeit in der Histologie besser uberwachen.«

Bannister, jetzt auch gereizt, murmelte auf dem Wege zur Tur: »Vielleicht, wenn ich nicht so viel am Hals hatte.«

Pearson schrie hinter ihm her: »Schon gut, die Platte kenne ich schon.«

Als Bannister die Tur erreichte, ertonte ein leichtes Klopfen, und Charles Dornberger offnete sie. Er fragte: »Darf ich hereinkommen, Joe?«

»Naturlich.« Pearson grinste. »Du kannst vielleicht sogar noch etwas lernen, Charlie.«

Der Geburtshelfer nickte McNeil freundlich zu und sagte dann beilaufig zu Pearson: »Wir hatten verabredet, da? ich heute morgen zu dir herunterkomme. Hattest du es vergessen?«

»Ja, hab' ich.« Pearson schob den Behalter mit den Objekttragern von sich. Er fragte den Assistenzarzt: »Wie viele Falle liegen noch vor?«

McNeil zahlte die noch nicht gepruften Behalter. »Acht.«

»Die machen wir spater.«

Der Assistent schob seine Notizen uber die abgeschlossenen Falle zusammen.

Dornberger zog seine Pfeife und stopfte sie gelassen. Er sah sich in dem gro?en, kahlen Raum um und schauderte. »Bei euch ist es feucht, Joe. Jedesmal, wenn ich hier herunterkomme, habe ich Angst, mich zu erkalten«, sagte er.

Pearson lie? ein brummiges Lachen horen. Er antwortete: »Wir spruhen hier Grippeerreger aus. Jeden Morgen. Das halt uns Besucher vom Leib.« Er wartete, bis McNeil das Zimmer verlassen hatte, Dann fragte er: »Was gibt es denn?«

Dornberger vergeudete keine Zeit. Er sagte: »Ich bin eine Abordnung, Joe. Ich habe den Auftrag, taktvoll vorzugehen.« Er schob die Pfeife zwischen die Zahne und steckte seinen Tabaksbeutel in die Tasche.

Pearson blickte auf. »Was hei?t das? Wieder mal Arger?«

Ihre Blicke begegneten sich. Dornberger antwortete: »Das kommt darauf an.« Nach einer Pause fugte er hinzu: »Es sieht so aus, als ob du einen neuen Pathologen zur Unterstutzung bekamst.«

Dornberger hatte einen Temperamentsausbruch erwartet, aber Pearson blieb merkwurdig ruhig. Nachdenklich fragte er: »Ob ich das will oder nicht, was?«

»Ja, Joe.« Dornbergers Ton lie? keinen Zweifel zu. Es hatte keinen Sinn, Umschweife zu machen. Er hatte seit der Besprechung vor einigen Tagen grundlich daruber nachgedacht.

»Vermutlich steckt O'Donnell dahinter.« Pearson sagte es mit einem verbitterten Unterton, aber immer noch ruhig. Wie immer zeigte er sich unberechenbar.

Dornberger antwortete: »Zum Teil, aber nicht ausschlie?lich.«

Wieder uberraschend: »Und was soll ich deiner Meinung nach tun?« Es war die Frage eines Freundes an einen Freund.

Dornberger legte seine Pfeife unangezundet in einen Aschenbecher auf Pearsons Schreibtisch. Er dachte, ich bin froh, da? er es so aufnimmt. Es beweist, da? ich richtig handele. Ich kann ihm helfen, sich damit abzufinden, sich darauf einzustellen. Laut sagte er: »Ich glaube nicht, da? du eine Wahl hast, Joe. Du bist mit den pathologischen Befunden im Ruckstand, oder nicht? Und mit ein paar anderen Dingen auch.«

Einen Augenblick furchtete er, er sei zu weit gegangen. Das war ein gefahrliches Gebiet. Er sah, wie Pearson sich aufrichtete, und wartete auf den Sturm, der ausbrechen mu?te. Aber wieder geschah es nicht. Statt dessen sagte Pearson, zwar nachdrucklicher als zuvor, aber einsichtig: »Gewi?, ein paar Dinge mussen aufgeholt werden. Das gebe ich zu. Aber es liegt nichts vor, womit ich nicht allein fertig werden kann. Wenn ich nur die Zeit dazu fande.«

Er hat sich damit abgefunden, dachte Dornberger. Er wehrt sich zwar noch, aber er hat sich trotzdem damit abgefunden. Gleichmutig sagte er: »Nun, vielleicht findest du die Zeit - mit einem zweiten Pathologen.« Ebenso gleichmutig zog er aus der Brusttasche das Papier, das der Verwaltungsdirektor ihm gegeben hatte.

Pearson fragte: »Was ist das?«

»Nichts Endgultiges, Joe. Nur ein Name, den Harry Tomaselli erfahren hat. Anscheinend ein junger Mann, der vielleicht interessiert ist, hierherzukommen.«

Pearson nahm das einzelne Blatt. Er entgegnete unwirsch: »Offenbar haben sie keine Zeit verloren.«

Dornberger sagte leichthin: »Unser Verwaltungsdirektor ist ein aktiver Mann.«

Pearson uberflog das Blatt. Laut las er: »Dr. David Coleman.« Darauf folgte eine Pause. Dann fugte der alte Mann bitter, niedergeschlagen und neidisch hinzu: »Einunddrei?ig Jahre alt.«

Es war zwanzig Minuten nach zwolf, und in der Kantine des Krankenhauses herrschte der lebhafteste Betrieb des Tages. Die meisten Arzte, Schwestern und Krankenhausangestellten a?en um diese Zeit zu Mittag. An der Stelle, an der die Eintretenden sich ihr Tablett holten, ehe sie zur Ausgabe mit den Warmtischen weitergingen, wo sie ihr Essen in Empfang nahmen, begann sich eine Schlange zu bilden.

Mrs. Straughan uberwachte wie immer um diese Zeit den Betrieb und sorgte, da? von der Kuche eine frische Schussel gebracht wurde, sobald eine leer war, damit die Schlange sich schnell weiterbewegte. Heute standen Irish Stew, Hammelkoteletts und gekochter Heilbutt zur Auswahl. Die Kuchenleiterin beobachtete, da? die Hammelkoteletts wenig begehrt waren. Sie beschlo?, sie sofort selbst zu versuchen, um festzustellen, ob es dafur einen Grund gebe. Vielleicht war das Fleisch nicht so weich, wie es sein sollte. Dergleichen wurde den Spaterkommenden in der Kantine von anderen, die bereits gegessen hatten, oft mitgeteilt. Mrs. Straughan bemerkte einen Teller auf einem Sto?, der einen Schmutzfleck aufwies. Sie trat schnell vor und nahm ihn fort. Tatsachlich, er trug noch Spuren der vorigen Mahlzeit. Wieder diese Geschirrspulmaschinen, dachte sie. Ihre Unzulanglichkeit verursachte ihr standigen Arger, und sie nahm sich vor, das Problem sehr bald wieder dem Verwaltungsdirektor vorzulegen.

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