Elizabeth nickte. »Ich verstehe.« Sie konzentrierte sich, richtete ihre Gedanken auf das, was Dr. Dornberger erklarte. Einen Augenblick empfand sie fast eine leise Sehnsucht nach ihrer Schulzeit. In der Schule war sie immer stolz darauf gewesen, da? sie fahig war, Dinge, die erklart wurden, zu verstehen, da? sie ihre Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Problem richten, Fakten schnell aufnehmen konnte, indem sie alles andere aus ihren Gedanken ausschlo?. Dank dieser Fahigkeit war sie eine gute Schulerin gewesen. Jetzt war sie gespannt, ob sie sich diese Gabe erhalten hatte.
Dornberger fuhr fort: »Verschiedene Menschen haben verschiedene Blutfaktoren. Nach dem letzten Stand sind der Medizin neunundvierzig derartiger Faktoren bekannt. Die meisten Menschen - Sie und ich zum Beispiel - besitzen zwischen funfzehn und zwanzig dieser Faktoren in ihrem Blut.«
In Elizabeths Kopf schaltete es. Erste Frage. »Wodurch wird verursacht, da? Menschen mit verschiedenen Faktoren geboren werden?«
»Gro?tenteils durch Vererbung, aber das ist hier nicht wichtig. Wichtig ist, sich vor Augen zu halten, da? manche Faktoren sich miteinander vertragen, andere aber nicht.«
»Sie wollen sagen.«
»Ich will sagen: Wenn die verschiedenen Blutfaktoren sich miteinander vermischen, konnen manche ohne weiteres nebeneinander bestehen, aber andere bekampfen sich und vertragen sich nicht miteinander. Darum werden vor Transfusionen immer erst sorgfaltig die Blutgruppen bestimmt. Wir mussen uns davon uberzeugen, da? der Patient Blut der richtigen Blutgruppe empfangt.«
Elizabeth runzelte nachdenklich die Stirn und fragte: »Und es sind die Faktoren, die sich bekampfen - die unvertraglichen -, die gefahrlich sein konnen? Ich meine, wenn man Kinder bekommt.« Wieder folgte sie der Formel aus ihrer Schulzeit: Klare jeden Punkt eindeutig, ehe du zum nachsten ubergehst.
Dornberger antwortete: »Gelegentlich gibt es das, aber in den meisten Fallen nicht. Wir wollen einmal Ihren Fall nehmen. Sie sagen, da? Ihr Mann Rh-positiv ist.«
»Ja, das ist er.«
»Nun, das bedeutet, da? sein Blut einen Faktor enthalt, der >Gro? De genannt wird. Und da Sie Rh- negativ sind, besitzt Ihr Blut kein >Gro? De.«
Elizabeth nickte langsam. Ihr Verstand registrierte: Rh-negativ kein >Gro? De. Sie benutzte einen alten Lerntrick und bildete schnell einen Merkvers: Rh-negativ man zahlt wo der Faktor >Gro? De fehlt.
Sie bemerkte, da? Dornberger sie beobachtete. »Sie konnen das so interessant darstellen«, sagte sie. »Noch nie hat mir jemand es so erklart.«
»Sehr schon. Jetzt wollen wir uber Ihr Baby sprechen.« Er deutete auf die Wolbung unter ihrem Kleid. »Wir wissen nicht, ob das Kleine dort Rh-negatives oder Rh-positives Blut hat. Mit anderen Worten, wir wissen nicht, ob sein Blut >Gro? D< besitzt.«
Einen Augenblick lang verga? Elizabeth ihre spielerische n Gedanken. Mit einem Anflug Angst fragte sie: »Was geschieht, wenn er es hat? Bedeutet das, da? sein Blut meines bekampft?«
Ruhig antwortete Dornberger: »Diese Moglichkeit besteht immer.« Mit einem beruhigenden Lacheln fugte er hinzu: »Nun passen Sie aber genau auf.«
Sie nickte. Ihre Aufmerksamkeit war wieder voll geweckt. Fur einen kurzen Augenblick hatte sie ihre Gedanken abschweifen lassen.
Nachdrucklich sagte er: »Das Blut eines Kindes ist von dem der Mutter vollig getrennt. Nichtsdestoweniger gelangen wahrend der Schwangerschaft haufig kleine Mengen vom Blut des Kindes in den Blutkreislauf der Mutter. Verstehen Sie das?«
Elizabeth nickte. »Ja.«
»Also gut. Wenn die Mutter Rh-negativ und das Kind Rh-positiv ist, kann das manchmal bedeuten, da? unser alter Bekannter >Gro? D< in den Blutkreislauf der Mutter gelangt. Und dort ist er unerwunscht. Verstehen Sie?«
Wieder nickte Elizabeth. »Ja.«
Langsam fuhr er fort: »Wenn das geschieht, bildet das Blut der Mutter im allgemeinen etwas, was wir Antikorper nennen, und diese Antikorper bekampfen >Gro? D< und vernichten es schlie?lich.«
Elizabeth war verwirrt. »Wo liegt dann die Gefahr?«
»Fur die Mutter besteht nie eine Gefahr. Das Problem, wenn es auftritt, beginnt dann, wenn die Antikorper - die Stoffe, die die Mutter gebildet hat, um >Gro? D< zu bekampfen - auf dem Weg uber die Plazenta in den Blutkreislauf des Kindes gelangen. Verstehen Sie? Wenn auch kein regularer Blutaustausch zwischen der Mutter und dem Kind besteht, konnen die Antikorper doch haufig hinubergelangen, und tun es auch.«
»Ich verstehe«, antwortete Elizabeth langsam. »Und das bedeutet, da? die Antikorper in dem Blut des Kindes wirken und es zerstoren.« Sie hatte es jetzt ganz klar begriffen.
Dornberger sah sie anerkennend an. Eine gescheite, junge Frau, dachte er. Sie hat nichts ubersehen. Laut sagte er: »Die Antikorper konnen das Blut des Babys zerstoren, oder einen Teil davon, wenn wir es zulassen. Das ist eine Erscheinung, die wir Erythroblastose foetalis nennen.«
»Aber wie verhindert man sie?«
»Wir konnen nicht verhindern, da? sie eintritt, aber wir konnen sie bekampfen. Als erstes werden wir durch Blutuntersuchungen gewarnt, sobald Antikorper im Blut der Mutter auftauchen. Diese Untersuchung wird mit Ihrem Blut durchgefuhrt. Jetzt, und spater im Verlaufe Ihrer Schwangerschaft wieder.«
»Worin besteht diese Untersuchung?« fragte Elizabeth. »Sie sind ja unersattlich wi?begierig.« Der alte Arzt lachelte. »Ich kann Ihnen nicht genau sagen, wie der Test im Labor vorgenommen wird. Daruber wei? Ihr Mann bestimmt mehr als ich. «
»Aber was geschieht au?erdem, fur das Kind, meine ich?« Geduldig erklarte er: »Das wichtigste ist, dem Kind unmittelbar nach der Geburt eine Austauschtransfusion mit der richtigen Art Blut zu geben. Sie ist im allgemeinen erfolgreich.« Bewu?t vermied er, auf die gro?e Gefahr hinzuweisen, da? ein Kind mit Erythroblastose tot geboren werden kann, oder da? der Arzt haufig die Geburt mehrere Wochen zu fruh einleiten mu?, um dem Kind eine bessere Chance zu uberleben zu bieten. In jedem Fall war er der Ansicht, da? seine Erklarungen genugten. Er entschlo? sich, zusammenzufassen:
»Ich habe Ihnen das alles auseinandergesetzt, Mrs. Alexander, weil ich glaube, da? Sie uber den Rh-Faktor beunruhigt waren. Aber auch, weil Sie eine kluge Frau sind und ich immer der Ansicht war, da? es fur jeden besser ist, wenn er die ganze Wahrheit kennt als nur einen kleinen Teil.«
Sie lachelte daruber. Sie war geneigt, sich wirklich fur intelligent zu halten. Schlie?lich hatte sie sich gerade bewiesen, da? sie immer noch ihre alte Fahigkeit aus der Schule besa?, zu verstehen und zu lernen. Dann sagte sie sich: Sei nicht eingebildet. Au?erdem erwartest du ein Kind und stehst nicht vor einer Abschlu?prufung.
Dr. Dornberger sprach weiter: »Aber ich will Ihnen die wichtigen Punkte vor Augen halten.« Er war jetzt ernst, hatte sich zu ihr gebeugt. »Punkt eins: Sie werden vielleicht nie ein Rh-positives Kind bekommen, weder jetzt noch spater. In diesem Falle werden uberhaupt keine Schwierigkeiten auftauchen. Punkt zwei: selbst wenn Ihr Kind zufallig Rh-positiv ist, wird Ihr Blut vielleicht keine Antikorper bilden. Punkt drei: selbst im Fall, da? Ihr Kind eine Erythroblastose bekommen sollte, sind die Aussichten zur Behandlung und auf eine Heilung gunstig.« Er sah sie fest an. »Nun, und wie fuhlen Sie sich jetzt?«
Elizabeth lachelte strahlend. Sie fuhlte, da? sie wie ein erwachsener Mensch behandelt wurde, und das tat ihr wohl. »Dr. Dornberger«, antwortete sie, »ich finde Sie einfach gro?artig.«
Belustigt griff Dornberger nach seiner Pfeife und begann sie zu stopfen. »Ja«, meinte er, »manchmal finde ich das beinahe auch.«
»Joe, kann ich Sie einen Augenblick sprechen?«
Lucy Grainger befand sich auf dem Weg zur Pathologie, als Pearsons untersetzte Gestalt vor ihr im Gang des Erdgeschosses auftauchte. Als sie ihn anrief, blieb er stehen.
»Haben Sie etwas Besonderes, Lucy?« Es war sein ublicher rauher, grollender Ton, aber sie war froh, da? sie keine Unfreundlichkeit heraushorte. Sie hoffte, gegenuber seiner schlechten Laune wie immer immun zu sein.
»Ja, Joe. Ich mochte Sie bitten, sich eine meiner Patientinnen einmal anzusehen.«
Er war damit beschaftigt, eine seiner unvermeidlichen Zigarren anzuzunden. Als sie brannte, musterte er die Glut an ihrer Spitze. »Was liegt denn vor?«
»Es handelt sich um eine unserer Lernschwestern, ein Madchen namens Vivian Loburton. Sie ist neunzehn. Kennen Sie sie?«