O'Donnell fuhr fort: »Trotzdem wurde ich Ihnen empfehlen, behutsam vorzugehen, - soweit wie es moglich ist.« Er lachelte. »Tun Sie alles, was Sie konnen, durch Uberredung, und sparen Sie das schwere Geschutz fur Dinge auf, die wirklich wichtig sind.«

Unverbindlich antwortete Coleman: »Ich verstehe.« Er war sich nicht sicher, was O'Donnells Worte bedeuteten. Er mu?te ihn erst besser kennen, um das entscheiden zu konnen. Aber war sein Eindruck von O'Donnell falsch gewesen? War der Chef der Chirurgie am Ende doch ein Leisetreter? Wurde ihm hier und jetzt bei seiner Ankunft schon gesagt, den Kahn nicht zum Schaukeln zu bringen? Wenn das der Fall war, so wurden sie bald merken, da? sie an den Falschen geraten waren. David Coleman nahm sich vor, keinen langfristigen Mietvertrag fur das Apartment, das er in Burlington etwa fand, abzuschlie?en.

O'Donnell fragte sich jetzt, ob es klug gewesen war, das auszusprechen. Sie hatten das Gluck gehabt, diesen Coleman zu bekommen, und er wunschte nicht, ihm von Anfang an Zugel anzulegen. Aber die ganze Zeit hatte das Problem Joe Pearson und Pearsons bekannter Einflu? auf Eustace Swayne O'Donnells Gedanken beschaftigt. Soweit er konnte, wollte O'Donnell Orden Brown gegenuber loyal bleiben. Bisher hatte der Ausschu?vorsitzende vieles getan, um den Chef der Chirurgie zu unterstutzen. O'Donnell wu?te, da? Brown Swaynes Viertelmillion Dollars haben wollte, und naturlich brauchte das Krankenhaus sie dringend. Und wenn das bedeutete, Joe Pearson etwas nachzugeben, war O'Donnell dazu bereit -innerhalb vernunftiger Grenzen.

Aber wo horte die Krankenhauspolitik auf, und wo begann O'Donnells Verantwortung als Arzt? Das war die Frage, die ihm keine Ruhe lie?. Vielleicht mu?te er eines Tages entscheiden, wo die Grenzlinie lag. Spielte er selbst jetzt in der Politik mit? O'Donnell vermutete es. Aus welchem anderen Grund hatte er sich sonst gerade in dieser Weise Dr. Coleman gegenuber geau?ert? Macht korrumpiert, dachte er, dem kann man nicht entgehen, gleichgultig, wer man ist. Er uberlegte, ob er uber dieses Thema noch weiter mit Coleman sprechen und den jungeren Mann vielleicht in sein Vertrauen ziehen solle. Dann entschied er sich dagegen. Coleman war schlie?lich ein Neuling, und O'Donnell war sich klar bewu?t, da? er noch nicht hinter diese kuhlen, grauen Augen gedrungen war.

Sie erreichten jetzt das Stadtzentrum. Die Stra?en Burlingtons waren hei? und staubig, die Burgersteige flimmerten, und die schwarz geteerte Stra?endecke war von der Hitze aufgeweicht. Er lenkte den Buick in den Vorhof des Roosevelt Hotels. Ein Hausdiener offnete die Wagentur und begann, Colemans Koffer hinten herauszuheben.

O'Donnell fragte: »Soll ich mit Ihnen hineinkommen, um mich zu vergewissern, da? alles in Ordnung ist?«

Coleman, der schon ausgestiegen war, antwortete: »Das ist wirklich nicht notig.« Wieder eine ruhige, aber unmi?verstandliche Feststellung.

O'Donnell beugte sich uber den Sitz. »Nun gut. Wir erwarten Sie also morgen. Viel Gluck.«

»Danke.«

Der Hoteldiener warf die Tur zu, und O'Donnell lenkte seinen Wagen in den Stadtverkehr zuruck. Er blickte auf seine Uhr. Es war zwei. Er entschied sich, zuerst in seine Privatsprechstunde und spater in das Krankenhaus zu fahren.

Elizabeth Alexander sa? auf der lederbespannten Bank vor dem Labor fur ambulante Patienten des Three Counties Hospitals. Sie fragte sich, warum die Wande des Ganges wohl in zwei verschiedenen Brauntonen gestrichen worden waren, statt in helleren und freundlicheren Farben. Er lag ohnehin in dem dusteren Teil des Krankenhauses. Ein wenig Gelb oder auch ein helles Grun hatte diesen Gang viel freundlicher gemacht.

Solange sie sich zuruckerinnern konnte, hatte Elizabeth helle Farben geliebt. Sie erinnerte sich daran, wie sie als kleines Madchen die ersten Vorhange fur ihr eigenes Zimmer zu Hause genaht hatte. Sie waren aus lichtblauem Chintz mit einem Muster aus eingewebten Sternen und Monden gewesen. Heute war sie der Meinung, da? sie die Vorhange recht schlecht genaht hatte, aber damals fand sie sie gro?artig. Um sie aufzuhangen, ging sie damals in den Laden ihres Vaters hinunter und hatte ihre Freude daran, die Dinge zusammenzusuchen, die sie dazu brauchte. Eine Vorhangstange in der richtigen Lange, Ringe und Beschlage, Schrauben und einen Schraubenzieher. Sie erinnerte sich, wie ihr Vater zwischen den anderen Metallwaren nach dem suchte, was sie wunschte. Im Laden war alles in hohen Stapeln unordentlich ubereinandergeschichtet, so da? er meistens lange nach allem suchen mu?te, was seine Kunden verlangten.

Das war vor langem in New Richmond in Indiana gewesen, zwei Jahre, ehe ihr Vater bei einem Unfall ums Leben gekommen war. Oder waren es drei? Es fiel einem schwer, sich genau zu erinnern; die Zeit verging so schnell. Sie wu?te noch, da? es sechs Monate vor dem Tod ihres Vaters gewesen war, als sie John zum erstenmal traf. In gewisser Weise hatte auch das mit Farben zu tun. Er war in den Ferien von der Oberschule und kam in das Geschaft, um rote Farbe zu kaufen. Damals half Elizabeth schon im Laden mit, und sie hatte ihm Rot ausgeredet und statt dessen Grun verkauft.

Oder war es umgekehrt gewesen? Auch das war jetzt schon verschwommen. Sie wu?te jedoch, da? sie sich beim ersten Anblick in John verliebte. Vielleicht wollte sie ihn nur langer im Geschaft festhalten, als sie ihm vorschlug, eine andere Farbe zu nehmen. In der Erinnerung schien es ihr, da? es seitdem niemals einen Zweifel gegeben hatte, welche Gefuhle sie fureinander hegten. Ihre Jugendliebe uberdauerte auch Johns Aufstieg von der Oberschule zum College, und sechs Jahre nach ihrer ersten Begegnung heirateten sie. Seltsamerweise drangte sie niemand, damit zu warten, obwohl keiner von ihnen Geld hatte und John mit einem Stipendium das College besuchte. Alle, die sie kannten, schienen ihre Heirat als naturlich und selbstverstandlich anzusehen.

Manchen Leuten ware ihr erstes gemeinsames Jahr vielleicht schwierig erschienen. Fur John und Elizabeth war es eine strahlende, gluckliche Zeit. Im Jahre vorher hatte Elizabeth eine Abendschule besucht, und in Indianapolis, wo John auf dem College studierte, arbeitete sie als Stenotypistin und verdiente den Lebensunterhalt fur sie beide.

In diesem Jahr diskutierten sie ernsthaft uber Johns Zukunft; ob er sein Ziel hoherstecken und versuchen solle, Medizin zu studieren, oder sich mit der kurzeren Ausbildung als medizinischer Laborant begnugen. Elizabeth gab dem Medizinstudium den Vorzug, obwohl es bedeutete, da? es noch einige Jahre dauern wurde, bis John zu verdienen anfing. Aber sie war bereit gewesen, weiterzuarbeiten. John war sich dagegen nicht so sicher. Schon immer hatte er sich gewunscht, Arzt zu werden, und vom College konnte er gute Zeugnisse vorlegen, aber er wartete ungeduldig darauf, fur ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Als Elizabeth dann feststellte, da? sie in anderen Umstanden war, war fur John die Frage entschieden. Gegen den Protest seiner Frau meldete er sich bei einer medizinischtechnischen Fachschule an, und sie zogen nach Chikago.

Dort bekamen sie ihr Baby und nannten es Pamela. Vier Wochen spater starb das Kind an einer Bronchitis, und eine Zeitlang schien Elizabeth die Welt uber ihr zusammengesturzt zu sein. Trotz ihrer Festigkeit und ihrer Vernunft brach sie zusammen und nahm an nichts mehr Anteil. John tat alles, was er konnte. Nie war er freundlicher oder rucksichtsvoller gewesen, aber es half nichts. Sie spurte, da? sie fortgehen mu?te, und kehrte zu ihrer Mutter nach New Richmond zuruck. Aber nach einer Woche empfand sie Sehnsucht nach John und ging wieder zu ihm nach Chikago. Von diesem Tag an gewann sie langsam, aber sicher ihr normales Selbst wieder. Sechs Wochen vor Johns Abschlu?examen wu?te sie, da? sie wieder ein Kind erwartete. Das war das Erlebnis, das uber ihre endgultige Erholung entschied. Jetzt fuhlte sie sich gesund, hatte ihre alte Frohlichkeit wiedergewonnen, und bei dem Gedanken an das ungeborene Kind in ihr stieg ihre freudige Erwartung. In Burlington hatten sie eine kleine, aber freundliche Wohnung gefunden. Die Miete war billig, aus ihren vorsorglichen Ersparnissen hatten sie die Mobel anbezahlt und konnten die monatlichen Raten aus Johns Gehalt am Krankenhaus decken. Im Augenblick ist alles sehr schon und gut, dachte Elizabeth, au?er diesem abscheulichen Braun an den Korridorwanden.

Die Tur des Labors wurde geoffnet, und die Frau, die vor Elizabeth gewartet hatte, kam heraus. Eine medizinische Assistentin im wei?en Kittel stand hinter ihr. Die Assistentin sah auf ihre Notiztafel. »Mrs. Alexander?«

»Das bin ich.« Elizabeth stand auf.

»Wollen Sie bitte hereinkommen?«

Sie folgte dem Madchen durch die Tur.

»Setzen Sie sich bitte, Mrs. Alexander. Es dauert nicht lange.«

An ihrem Schreibtisch studierte die Assistentin das Formular, das Dr. Dornberger ausgefullt hatte. »Rh- Faktor feststellen und Sensibilitatstest. Gut. Legen Sie bitte Ihren Arm hierher, und ballen Sie die Faust.« Sie ergriff Elizabeths Handgelenk, wischte mit einem antiseptischen Mittel uber ihren Arm und schlang dann geschickt einen Gummischlauch um den Oberarm. Von einem Tablett nahm sie eine Spritze, offnete ein Packchen mit einer sterilisierten Nadel, die sie auf die Spritze steckte. Schnell wahlte sie eine Vene an Elizabeths Arm, fuhrte mit

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