»Sie konnen ja selbst nachsehen, wenn Sie wollen.«

Coleman ignorierte die Bemerkung und fragte: »Was ist aber mit den neuen Leuten, die inzwischen eingestellt wurden?«

»Hier steht weiter nichts.« Bannister zuckte mit den Schultern. »Wenn das Gesundheitsburo uns keine Proben zur Untersuchung schickt, erfahren wir nichts von neuen Leuten in der Kuche.« Seine Haltung verriet vollige Gleichgultigkeit, fast Verachtung.

Langsam stieg die Wut in Coleman auf. Er beherrschte sich und sagte gelassen zu der Kuchenleiterin: »Ich glaube, das ist eine Sache, um die Sie sich kummern mussen.« Zum erstenmal begann ihm bewu?t zu werden, da? hier irgend etwas irgendwo ernsthaft nicht stimmte.

Mrs. Straughan schien den gleichen Gedanken zu haben. Sie sagte: »Das werde ich sofort tun. Vielen Dank, Dr. C.« Bei jedem Schritt wogten ihre Bruste auf und ab, als sie das Labor verlie?.

Einen Augenblick lang herrschte Schweigen. Zum erstenmal nahm Coleman wahr, da? Bannister sich unbehaglich zu fuhlen schien. Als sich ihre Blicke begegneten, fragte er den Laboranten eisig: »Ist Ihnen denn uberhaupt nicht aufgefallen, da? keine Untersuchungen des Kuchenpersonals durchgefuhrt wurden?«

»Nun.« Bannister zogerte. Sein fruheres Selbstvertrauen war verflogen. »Fruher oder spater vermutlich schon.«

Coleman musterte den Mann verachtlich. Sarkastisch antwortete er: »Sagen wir lieber spater, meinen Sie nicht auch? Besonders da es von Ihnen Nachdenken verlangt hatte.« An der Tur drehte er sich um. »Ich bin bei Dr. Pearson.«

Aus dem Gesicht des alten Laboranten war alle Farbe verschwunden. Er stand da und starrte auf die Tur, durch die Coleman hinausgegangen war. »Der da wei? auch alles. Alles, was es gibt. Jeden Dreck«, stie? er erbittert, aber geschlagen hervor.

In diesem Augenblick umgab Bannister eine Aura des Untergangs. Die ihm vertraute Welt - eine Welt, die er fur unverletzbar gehalten und fur die er deshalb nichts getan hatte, um sie zu verteidigen - zerbrach. Eine neue Ordnung entstand, und in dieser neuen Ordnung war durch sein eigenes Versagen kein Platz mehr fur ihn. Vernichtet, uberlebt, erschien er nur eine schwache, bedauernswerte Gestalt, die die Zeit auf der Strecke gelassen hatte.

Joe Pearson sah von seinem Schreibtisch auf, als Coleman eintrat.

Ohne Umschweife verkundete der junge Pathologe: »John Alexander hat gasbildende Bakterien gefunden - auf sauberen Tellern, die durch die Geschirrspuler gelaufen sind.«

Pearson schien nicht uberrascht. Er sagte ernst: »Das liegt an der Hei?wasseranlage. «

»Das wei? ich.« David Coleman versuchte, den sarkastischen Ton in seiner Stimme zu unterdrucken, aber es gelang ihm nicht. »Hat jemals jemand versucht, etwas dagegen zu unternehmen?«

Der alte Mann warf ihm einen spottischen Blick zu. Uberraschend ruhig antwortete er: »Vermutlich denken Sie, da? hier alles sehr unfahig geleitet wird.«

»Da Sie mich danach fragen, ja!« Coleman pre?te die Lippen zusammen. Er fragte sich, wie lange sie beide in dieser Art Atmosphare zusammenarbeiten konnten.

Pearson hatte eine der unteren Schubladen seines Schreibtisches aufgezogen und wuhlte zwischen Akten und Papieren. Wahrend er suchte, sagte er in einem Ton, in dem sich Zorn und Depression in seltsamer Weise zu mischen schienen: »Sie sind so jung und grun und voller gro?er Rosinen. Sie kommen her, und zufallig zu einer Zeit, in der wir hier eine neue Verwaltung bekommen haben, in der mehr Geld als seit Jahren zur Verfugung steht. Folglich glauben Sie, hier sei alles nur deshalb falsch, weil nie jemand daran dachte, etwas zu verbessern, es nie jemand versucht hatte.« Er hatte gefunden, was er suchte, und warf ein umfangreiches Aktenstuck auf den Schreibtisch.

»Das habe ich nicht gesagt.« Colemans Antwort kam scharf.

Pearson schob ihm das Aktenstuck hin. »Hier haben Sie die Korrespondenz wegen der Hei?wasseranlage in der Kuche. Wenn Sie sich die Muhe machen und sie lesen, konnen Sie feststellen, da? ich schon seit Jahren fur eine neue Hei?wasseranlage kampfe.« Pearson hob seine Stimme. Herausfordernd fugte er hinzu: »Nur zu. Sehen Sie sich das ruhig an.«

Coleman schlug den Aktendeckel auf und las das oberste Schreiben. Er blatterte um, dann weiter, uberflog die folgenden Seiten. Sofort erkannte er, wie grundlich er sich geirrt hatte. Die Briefe erhielten verdammende Urteile Pearsons uber die hygienischen Verhaltnisse in der Krankenhauskuche, waren in noch scharferen Ausdrucken gehalten, als er selbst verwendet hatte. Die Korrespondenz reichte mehrere Jahre zuruck.

»Nun?« Pearson hatte ihn beobachtet, wahrend er las.

Ohne zu zogern erklarte Coleman: »Es tut mir leid. Ich mu? mich bei Ihnen entschuldigen. Jedenfalls in diesem Punkt.«

»Lassen Sie nur.« Pearson winkte gereizt ab. Dann, als er den Sinn der Worte verstanden hatte: »Wollen Sie sagen, es gabe noch mehr?«

Zuruckhaltend antwortete Coleman: »Als ich die Mangel der Geschirrspulmaschine feststellte, entdeckte ich auch, da? seit nahezu sechs Monaten keine Laboruntersuchungen des Kuchenpersonals mehr vorgenommen wurden.«

»Warum?« Die Frage kam scharf wie eine Explosion.

»Anscheinend wurden von dem Gesundheitsburo keine Proben heruntergeschickt. Die Kuchenleiterin geht dem jetzt nach.«

»Und wollen Sie behaupten, da? wir nicht zuruckgefragt haben, da? niemand in der Pathologie sich darum kummerte, wo sie blieben?«

»Offensichtlich nicht.«

»Dieser Idiot Bannister. Das ist ernst.« Pearson war ehrlich erschrocken, seine Feindschaft gegen Coleman schien vergessen.

Coleman sagte ruhig: »Ich dachte es wurde Sie interessieren.«

Pearson hatte das Telefon aufgenommen. Nach einer Pause sagte er: »Geben Sie mir den Verwaltungsdirektor.«

Das Gesprach, das folgte, war knapp und sachlich. Pearson legte den Horer zuruck und stand auf. Er sagte zu Coleman: »Tomaselli kommt herunter. Wir wollen ihn im Labor treffen.«

Es dauerte nur wenige Minuten, um im Labor noch zu bestatigen, was Coleman bereits festgestellt hatte. John Alexander trug Tomaselli und Pearson aus seinen Aufzeichnungen nochmals seine Untersuchungsergebnisse vor, und Pearson betrachtete die Praparate durch das Mikroskop. Als er sich aufrichtete, kam gerade die Kuchenleiterin ins Labor. Der Verwaltungsdirektor wendete sich zu ihr. »Was haben Sie festgestellt?«

»Es ist unglaublich, aber wahr.« Mrs. Straughan schuttelte verstandnislos den Kopf. Sie wandte sich an Pearson. »Anfang des Jahres wurde im Gesundheitsburo eine neue Arbeitskraft eingestellt, Dr. P. Niemand hat ihr etwas von den Laboruntersuchungen fur das Kuchenpersonal gesagt. Aus diesem Grunde wurden keine Proben mehr heruntergeschickt.«

Tomaselli sagte: »Es sind also seit einiger Zeit keine Untersuchungen mehr durchgefuhrt worden. Wie lange nicht?«

»Annahernd sechs Monate.«

Coleman bemerkte Carl Bannister, der mit ernstem Gesicht abseits der Gruppe stand. Scheinbar war er beschaftigt, aber Coleman beobachtete, da? der erste Laborant sich nichts entgehen lie?.

Der Verwaltungsdirektor fragte Pearson: »Was schlagen Sie vor? «

»Als erstes sollten alle, die seither eingestellt wurden, so schnell wie moglich untersucht werden«, antwortete der alte Pathologe nachdrucklich und knapp. »Danach mussen alle anderen nachuntersucht werden. Das bedeutet: Stuhlkulturen, Rontgenaufnahmen der Brust und eine allgemeine Untersuchung. Und das gesamte Kuchenpersonal und jeder, der irgendwie mit Lebensmitteln zu tun hat, mu? erfa?t werden.«

»Wollen Sie das organisieren, Mrs. Straughan?« fragte Tomaselli. »Arbeiten Sie mit dem Gesundheitsburo zusammen, es kann den gro?ten Teil der Einzelheiten ubernehmen.«

»Ja, Mr. T, ich gehe sofort daran.« Sie wogte aus dem Labor.

»Sonst noch etwas?« Tomaselli hatte sich wieder Pearson zugewandt.

»Wir brauchen einen neuen Dampferhitzer fur die Geschirrspulmaschinen. Entweder das, oder sie mussen ganz herausgerissen und durch neue ersetzt werden.« Pearson erhob erregt seine Stimme. »Das erklare ich nun jedem seit Jahren.«

Вы читаете Letzte Diagnose
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату