Kraften zugeschrieben werden mu?te.

Nachdem sie sich von Bruder Cyngar verabschiedet hatten, waren Fidelma und Eadulf zum Skriptorium der Abtei gefuhrt worden, wo Bruder Meurig gerade etwas in den dort aufbewahrten Rechtsschriften nachschlug. Bruder Meurig war ein gro?er Mann, der selbst Fidelma uberragte, die schon als uberdurchschnittlich hochgewachsen galt. Er war hager und hohlwangig und hatte hohe Wangenknochen. Seine Haare waren leicht angegraut, die dunklen Augen lagen tief, das rechte Auge schielte ein wenig, wodurch er finster wirkte. Doch seine dustere Erscheinung stand ganz im Gegensatz zu der warmherzigen Art, in der er sie begru?te.

Er redete Fidelma in ihrer Muttersprache an und wandte sich dann in flie?endem Angelsachsisch an Eadulf.

»Wie kommt es, da? du des Angelsachsischen machtig bist?« erkundigte sich Eadulf.

»Ich war mehrere Jahre lang Gefangener in Mer-cia.« Bruder Meurig zeigte auf eine Narbe, die ihm quer uber den Hals lief. »Hier seht ihr das Zeichen des sachsischen Sklavenkragens. Das liegt nun schon zehn Jahre zuruck; Penda herrschte damals uber das Land.

Ein ubler Mann. Penda wurde als Heide geboren und starb als Heide, er diente zu allen Zeiten seinem Gott Wotan.«

»Bist du geflohen?« fragte Eadulf und bemuhte sich, nicht verlegen zu erscheinen, auch wenn Bruder Meurigs Worte ohne Groll waren.

»Nachdem Oswy von Northumbria Penda besiegt und ihn bei Winwaed Field im Jahre 654 getotet hatte und das Konigreich Mercia daraufhin zerschlagen wurde, kamen viele seiner Sklaven frei, insbesondere christliche Monche wie ich, und sie durften in ihre Heimatlander zuruckkehren.«

»Jetzt bist du ein barnwr - ein Richter an den Gerichten von Dyfed«, erganzte Fidelma.

Bruder Meurig lachelte zufrieden. »So wie du, Schwester Fidelma«, sagte er. »Eine dalaigh ist das gleiche wie ein barnwr. Wir haben viel gemeinsam.«

»Ich habe gehort, da? eine gro?e Anzahl eurer Gesetze den Gesetzen der Brehons von Eireann ahneln. Ich bin sicher, da? ich noch eine Menge von dir lernen kann, Bruder Meurig.«

»Dein Ruf eilt dir voraus, Schwester. Ich bezweifle, da? ich dir noch viel beibringen kann«, stellte der barnwr freundlich klar.

»Hat man dir mitgeteilt, was in Llanpadern geschehen ist?« fragte Eadulf.

Bruder Meurig nickte. »Doch man hat mir diesen Fall nicht angetragen.«

»Hast du eine Meinung dazu?« drangte ihn Eadulf.

»Eine Meinung?« Bruder Meurig rumpfte abschatzig die Nase. »Ich habe gehort, da? Prinz Cathen glaubt, es konnte sich um einen Uberfall von Kriegern aus Ceredigion handeln, die Geiseln nehmen wollten. Ich halte das zwar fur moglich, aber nicht fur wahrscheinlich.«

»Gibt es eine andere vernunftige Erklarung?«

Bruder Meurig schuttelte den Kopf.

»Kannst du dir eine andere Moglichkeit vorstellen?« fragte nun Fidelma.

»Mir fallt keine ein.«

»Dann glaubst du also nicht wie Abt Tryffin, da? die Klosterbruder Opfer Schwarzer Magie geworden sind - von dunklen Machten einfach fortgehext?« fragte Eadulf ernst.

Bruder Meurig lachte trocken.

»Die dunklen Machte haben Besseres zu tun, als ihre Zeit mit Zaubertricks zu verschwenden, Bruder Eadulf.«

Auf Fidelmas Lippen lag ein leichtes Lacheln. »Wenn du alle anderen Erklarungen ausgeschlossen hast, so mu? das, was immer auch dann ubrigbleibt, die Antwort sein, ganz gleich wie unglaublich sie erscheinen mag«, bemerkte sie. »Selbst Schwarze Magie.«

»Bei alldem, was ich uber dich gehort habe, dachte ich, du wurdest als letztes im Reich der Finsternis nach Antworten suchen, Schwester.«

»Oh, Bruder Meurig, da irrst du dich. Man mu? als erstes im Reich der Finsternis suchen, wenn man mit dem Bosen zu tun hat. Der menschliche Geist ist derart finster und bose, da? im Vergleich dazu das Jenseits harmlos erscheint.«

Bruder Meurig schien belustigt. »Ich habe vor, beim Morgengrauen nach Pen Caer aufzubrechen, damit wir gegen Abend dort sind. Ihr konnt die Nacht in Pen Caer verbringen und am nachsten Tag nach Llan-padern weiterziehen. Das ware das sicherste.«

»Das sicherste?« fragte Fidelma.

»Pen Caer ist eine Gegend, die in letzter Zeit oft von Rauberbanden heimgesucht wurde. Selbst Monche und Nonnen werden von ihnen nicht verschont.«

»Auf unserer Reise morgen wirst du mir mehr von Pen Caer erzahlen«, sagte Fidelma, als sie sich verabschiedeten.

»Dort ist es! Das ist Llanwnda! Das ist der Sitz des Fursten von Pen Caer.«

Die meiste Zeit uber waren sie gemachlich geritten, waren gut vorangekommen, ohne da? ihre Tiere ermudeten, hatten hier und da angehalten, um Wasser zu trinken und dann, um ihren Mittagsproviant zu verzehren. Ihr Weg fuhrte sie an der Kuste entlang, und die Gegend war in ihrer Vielfalt sehr malerisch. Moorlandschaften und Klippen, hugelige bewirtschaftete Felder und dichte bewaldete Taler, Schluchten, durch die sich Flusse wanden, und sogar Marschland saumten ihren Weg. Ab und zu waren sie dem Wasser ganz nahe. Bruder Meurig deutete dann manchmal auf die hoch aufragenden Klippen, die das Land von der ruhelosen See trennten.

Es war spater Nachmittag; am Himmel standen graue Wolken, und bald wurde die Abenddammerung hereinbrechen. Sie konnten es an der Kalte spuren, an dem truben Dunst. An einem Kreuzweg stand seitlich an der Hecke ein alter Stein, der am oberen Ende rund war und ein Kreuzeszeichen trug. Dort brachte Bruder Meurig seine Stute zum Stehen. Er zeigte auf ein paar Gebaude, die man hinter den Baumen gerade noch erkennen konnte und die weniger als eine Meile entfernt lagen.

»Das ist Llanwnda!« rief er.

Eadulf fiel es schwer, den Namen auszusprechen. »Was bedeutet das?«

»Llan bedeutet Eingemeindung«, erwiderte Bruder Meurig. »Der Furst hier wird Gwnda genannt, aus diesen beiden Silben besteht der Name.«

»Und der hohe Berg dort?« erkundigte sich Schwester Fidelma. »Ist das der Berg, hinter dem das Kloster von Llanpadern liegt?«

Bruder Meurig schuttelte den Kopf. »Nein, der Berg hei?t Pen Caer, von ihm hat diese Gegend hier ihren Namen. Das Kloster Llanpadern befindet sich am Fu?e eines kleineren Berges, der Carn Gelli hei?t und sudlich von uns liegt. In der Ferne kannst du ihn zu deiner Linken wahrnehmen.«

Es war schwierig, aber sie konnte die Umrisse gerade noch ausmachen.

»Gewi? finden wir in Llanwnda eine gute Unterkunft. Wahrscheinlich wird uns Gwnda personlich seine Gastfreundschaft anbieten, und dann werdet ihr von den Leuten erfahren, was sie von den Geschehnissen in Llanpadern halten.«

»Das ist wunderbar«, meinte Fidelma erwartungsvoll. »Ich hoffe, wir erfahren etwas mehr uber die Angelegenheit, in der man dich als Richter gerufen hat. So konnte ich ein wenig die Rechtspraxis von Dyfed kennenlernen.«

»Es ware mir ein Vergnugen, wenn du mich bei meinen Ermittlungen begleitest«, erwiderte Bruder Meurig. »Das Rechtsverfahren ist hier wirklich etwas anders als in deinem Land.«

»Was ist das?« fragte Eadulf auf einmal. Er hatte unter den Baumen, die die Ortschaft umgaben, einen merkwurdigen Lichtschein bemerkt. Ein rotlich flak-kerndes Licht.

»Das sieht nach einem Feuer aus«, erwiderte Bruder Meurig mit angstvoll aufgerissenen Augen.

»Vielleicht konnen wir helfen!« rief Fidelma und setzte ihr Pferd in Trab.

»Und was ist, wenn dort Plunderer zugange sind?« schrie ihr Bruder Meurig verzweifelt hinterher. »Sollten wir uns dem Ort nicht besser mit Vorsicht nahern?«

Doch Fidelma und Eadulf, der ihr hinterherjagte, waren schon au?er Horweite. Bruder Meurig blickte resigniert zum Himmel auf und folgte ihnen. In leichtem Galopp ritten sie durch den Wald, denn es war gefahrlich,

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