worden. Die Haare waren von der Stirn an abrasiert bis zur Hohe der Ohren, manche meinten, da? diese Tonsur jener der Druiden ahnlich sei, der weisen Priester aus alten keltischen Zeiten. Der Abt war etwa Ende vierzig und hatte ein hageres Gesicht, schmale Lippen und eine lange Nase, die wie mit einem Spinnennetz von winzigen roten Aderchen durchzogen war. Er lachelte, und seine Begru?ung schien aufrichtig und herzlich. In seinen dunklen Augen lag jedoch Besorgnis.

Vor einem Feuer nahmen sie Platz. Man reichte ihnen Gluhwein, den Eadulf als angenehm und wohltuend empfand.

»Wie steht es um deine Gesundheit, Bruder Eadulf?« fragte der Abt, wahrend er sich auf seinem Lehnstuhl niederlie?. »Bist du von deinem Sturz an Bord des Schiffes wieder ganz genesen?«

»Ja«, bestatigte ihm Eadulf ernst.

»Ich vermute, da? ihr beide eure Reise nach Canterbury so schnell wie moglich fortsetzen wollt? Ist das so?«

»So ist es«, erwiderte Fidelma. »Sobald wir ein Schiff dorthin ausfindig machen konnen, naturlich.«

Gedankenverloren nickte der Abt. Dabei trommelte er mit den Fingern auf seine Stuhllehne, ohne sich dessen bewu?t zu sein. Es war ganz offensichtlich, da? ihn eine au?erst wichtige Angelegenheit beschaftigte und es ihm schwerfiel, daruber zu sprechen.

»Nun ...«, setzte er an.

»Nun«, fiel Fidelma ein, »es gibt da eine Sache, bei der du vermutlich unsere Hilfe brauchst.«

Uberrascht schaute sie der Abt an. Seine Augen glichen auf einmal schmalen Schlitzen. »Woher wei?t du das? Hat es dir jemand erzahlt?«

»Man kann es dir von der Stirn ablesen«, entgegnete Fidelma.

Abt Tryffin zuckte mit den Schultern. »Das mag schon sein. Wir stehen hier wahrlich vor einem Ratsel und benotigen dringend den Rat einer Expertin, wie du es bist. Vielleicht findest du eine Erklarung dafur. Doch ehe ich etwas uber die Angelegenheit verlautbaren mochte, darf ich dir eine Frage stellen, Schwester Fidelma?«

Fidelma blickte zu Eadulf und entgegnete mit trok-kenem Humor: »Nicht jede Frage verdient eine Antwort.«

Der Abt rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. »Da hast du wohl recht, Schwester. Ich werde dennoch fragen. Wenn ich dir einen ratselhaften Fall darlege, der dich interessiert, warst du dann bereit, noch ein paar Tage in diesem Konigreich zu bleiben und der Sache auf den Grund zu gehen?«

»Ich begleite eigentlich nur den Abgesandten des Erzbischofs Theodor von Canterbury. Du solltest die Frage lieber ihm stellen«, erwiderte Fidelma und wies auf Eadulf.

Eadulf setzte seinen Weinbecher ab und dachte nach. Es war wohl wahr, da? er sich fast ein Jahr langer als beabsichtigt in Muman aufgehalten hatte, ehe er sich entschlo?, nach Canterbury zuruckzukehren. Was wurde es da schon ausmachen, wenn er noch ein paar Tage im Konigreich von Dyfed bliebe? Wahrscheinlich wurde es ohnehin eine Weile dauern, bis sie ein geeignetes Schiff fanden. Doch was mochte den Abt derart qualen, da? er sich von Fremden, ja gar von einem Angelsachsen, Aufklarung erhoffte?

Der Abt sah ihn eindringlich an, wartete mit fast unverhohlener Ungeduld auf seine Antwort. »Fur eure Dienste wird man sich erkenntlich erweisen«, fugte er rasch hinzu, als hatte sich Eadulf uber eine Bezahlung Gedanken gemacht.

»Warum bittest du ausgerechnet Fremde um Hilfe? In Dyfed gibt es sicher genugend kluge Kopfe, die sich mit der Angelegenheit befassen konnen.« Eadulfs Stimme verriet Beunruhigung.

Hinter einer Wand am Ende des Raumes bewegte sich etwas, ein gro?er alterer Mann trat hervor. Er hatte die Statur eines Kriegers, und trotz seines Alters hatte sein durchtrainierter Korper viel Jugendliches bewahrt. Seine lockigen wei?en Haare zierte ein goldener Reif, seine eindrucksvollen Augen waren hellblau, fast violett, und lie?en auf den ersten Blick keine Pupillen erkennen. Seine Kleider waren aus kostbarem Samt, Leinen und Wolle. Offensichtlich handelte es sich um eine Person von hohem Rang.

Eadulf bemerkte, da? sich Fidelma erhoben hatte, also tat er es ihr widerstrebend gleich.

Der Abt hustete nervos. »Ihr befindet euch in Gegenwart von .«

»Gwlyddien, Konig von Dyfed«, unterbrach ihn Fidelma und verneigte sich.

Der Konig kam auf sie zu, lachelte herzlich und streckte ihr zur Begru?ung die Hand entgegen. »Du hast ein scharfes Auge, Fidelma von Cashel, und einen wachen Verstand, denn ich bin mir sicher, da? wir uns zuvor noch nie begegnet sind.«

»Nein, doch uber den Sohn von Nowy wird unter den Geistlichen dieser Inseln immer voller Respekt gesprochen. War dein Vater nicht auch beruhmt dafur, da? er der Kirche gro?e Unterstutzung angedeihen lie??«

Gwlyddien senkte den Kopf. »Ganz gleich, welches Ansehen ich genie?e, es gibt nur wenige Anhaltspunkte, an denen du mich erkennen konntest.«

»Das ist wohl wahr. Ich habe dich an dem koniglichen Zeichen von Dyfed erkannt, das auf deinem Mantel eingestickt ist, und an dem goldenen Siegelring an deinem Finger. Es war recht einfach.«

Gwlyddien lachte. »Was ich von dir gehort habe, scheint zu stimmen, Fidelma von Cashel.« Jetzt wandte er sich mit ausgestreckter Hand Eadulf zu, der, von ihrem Wortwechsel ein wenig befremdet, abseits gestanden hatte. »Und wo Fidelma hingeht, da ist naturlich auch ihr Begleiter Eadulf von Seaxmund’s Ham. Unsere Barden berichten uns, da? vor zweihundert Jahren das Land des Sudvolks, das Land, aus dem du stammst, einst das Konigreich jener Britannier war, die man die Trinovantes nennt. Aus diesem Stamm ist einer unserer gro?ten Konige hervorgegangen - Cu-nobelinos, der Hund von Belinos, gegen den nicht einmal die romischen Kaiser Krieg zu fuhren wagten.«

Eadulf trat nervos von einem Bein aufs andere. »Tempus edax rerum«, murmelte er eine Zeile von Ovid.

Einen Augenblick lang starrte ihn Gwlyddien mi?billigend an. Dann seufzte er und senkte den Kopf, als akzeptiere er das Unvermeidliche.

»Ja, die Zeit verschlingt alle Dinge. Doch sagt nicht auch Vergil, da? das Schicksal einen Weg findet? Was einst war, kann vielleicht wieder sein.«

Eadulf war das unangenehm. Er hatte gehort, da? die Britannier nicht die Hoffnung aufgegeben hatten, eines Tages die Angelsachsen wieder aufs Meer hinauszutreiben. Er fragte sich, wie er dem Konig antworten sollte, doch das brauchte er nicht mehr. Gwlyddien hatte auf dem Lehnstuhl Platz genommen, den der Abt ihm frei gemacht hatte, wahrend der sich nun auf einem einfachen Stuhl niederlie?.

»Setzt euch«, forderte sie der Konig mit einer ungeduldigen Handbewegung auf. »Die Antwort auf die Frage unseres sachsischen Freundes ist einfach. Von den Reisenden, die von Eireann durch unser Land kommen, und von den vielen Brudern und Schwestern aus deinem Land, die an dieser Abtei studieren, erfuhren wir, wie Fidelma von Cashel dieses oder jenes ratselhafte Geheimnis gelost oder diesen und jenen Fall aufgeklart hat. Nachdem ich mit Abt Tryffin die Sache besprochen habe, glaube ich, da? du von Gott personlich hierher in unsere Abtei gesandt worden bist, damit du uns beistehst.«

Es war allzu deutlich, da? ihr Besuch der Abtei Dewi Sant allein dem Ansehen seiner Gefahrtin zu verdanken war. Ihn tolerierten die Britannier gerade -mehr nicht. Eadulf versuchte, sich seine finsteren Gedanken nicht anmerken zu lassen.

Fidelma hatte sich zuruckgelehnt und betrachtete Gwlyddien mit gelassener Miene. »Mein Mentor Bre-hon Morann sagte immer, da? Komplimente nichts kosten und man doch teuer dafur bezahlt. Nach solchen Komplimenten fur mich und Bruder Eadulf mu? ich fragen, welcher Preis dafur gezahlt werden mu??« Sie hatte Eadulfs Namen mit leichtem Vorwurf ein wenig betont, weil der Konig ihn nicht erwahnt hatte.

Gwlyddien war so offene Worte anscheinend nicht gewohnt, und dem Abt schien ihre Frage peinlich zu sein. Doch der Konig blieb freundlich.

»Glaub mir, Fidelma von Cashel, ich bin kein Schmeichler.«

»Oh, da bin ich mir sicher«, erwiderte Fidelma rasch. »Also wollen wir gleich auf den Kern deines Anliegens zu sprechen kommen, als uns weiter mit Nebensachlichkeiten aufzuhalten.«

Auf eine Handbewegung des Konigs hin sprach nun Abt Tryffin.

»Etwa zwanzig Meilen nordlich von uns befindet sich eines unserer Tochterhauser, die Abtei von Llan- padern. Die Bezeichnung Abtei ist vielleicht ein wenig ubertrieben fur die kleine Klostergemeinschaft, die dort lebt. Bruder Cyngar, ein Monch aus einem anderen Kloster, kam auf seinem Weg zu uns an Llanpa-dern vorbei und wollte dort um Gastfreundschaft bitten. Er traf gestern zutiefst besturzt und verangstigt hier ein. Er ist jedoch jung

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