Mul zuckte die Achseln. »Das ware mir so oder so egal. Es gab Boses in der Abtei, bevor ihr dorthin kamt, und zweifellos wird es noch da sein, wenn ihr fort seid.«
»Bewirtschaftest du den Hof hier schon lange, Mul?« fragte Fidelma, worauf Eadulf sie ansah, uberrascht von dem anscheinend plotzlichen Wechsel des Themas.
»Mein ganzes Leben lang. Frag deinen Gefahrten, den jungen
»Dann hast du also viele Veranderungen in der Abtei erlebt?« vermutete Fidelma.
»Nicht so viele«, erwiderte Mul. »Ich war noch ein Junge, als die irischen Missionare in unser Land kamen und die Leute zum neuen Glauben bekehrten. Ich sah, wie sich die Abtei auf den Mauern der alten Burg erhob, die dort fruher stand.«
»Und du kanntest die Monche, die dort lebten, bevor Cild kam, Manner wie Botulf?«
Mul blinzelte einen Moment.
»Die meisten Leute in dieser Gegend kannten Bo-tulf.« Er schaute Eadulf an. »Du kanntest ihn besser als die anderen. Ich wei? noch, da? ihr als Jungs zusammen wart, wenn du dich wahrscheinlich auch nicht mehr an mich erinnerst.«
Fidelma beugte sich vor.
»Siehst du, Mul, ich wurde gern etwas mehr daruber wissen, was Cild fur ein Mensch ist und auch sein Bruder Aldhere. Ich mochte herausbekommen, was das Bose ist, das auf dieser Gegend lastet.«
Muls Miene verriet seinen Widerwillen.
»Von den beiden ist einer so schlimm wie der andere. Der eine ist ein Geachteter, der mordet und raubt au?erhalb des Gesetzes. Der andere ist ein Tyrann und mordet und raubt im Namen des Gesetzes. Ein Fluch uber alle beide.«
Eadulf wollte den Mund offnen, doch ein Blick von Fidelma gebot ihm Schweigen.
»Ich meine, du solltest uns deine Geschichte erzahlen, Mul, denn ich habe das Gefuhl, du hast etwas zu berichten.«
Mul sah sie einen Moment fest an, dann zuckte er die Achseln.
»Du hast einen scharfen Verstand, wie ich schon gesagt habe. Ich erbte diesen Hof von meinem Vater. Als er vor ein paar Jahren starb, war ich verheiratet und hatte zwei prachtige Jungen. Es war ein guter Hof, und es war ein gutes Leben, wenn auch das Klima oft hart war. Dann anderte sich alles.«
»Wodurch anderte es sich?« fragte Fidelma, als er innehielt.
»Wodurch? Cild kam hier an. Vorher hatte ich noch nie von Cild gehort, aber als ich bald danach zum Markt nach Seaxmund’s Ham fuhr, erzahlte mir jemand, er sei fruher Kriegsherr an der Grenze zu Mercia gewesen. Es hie?, sein Vater habe ihn enterbt, deshalb sei er in ein Land namens Connacht jenseits des Meeres im Westen gegangen. Er kam mit einer Ehefrau zuruck, die aus deinem Volk stammte.« Er nickte zu Fidelma hin.
»Du meinst Gelgeis?«
»Das war ihr Name. Cild und Gelgeis kamen zur Abtei, als Cild dort Abt wurde. Kurz darauf erzahlte man mir, da? Cilds Bruder, ein Than, in Ungnade gefallen war. Es hie?, Konig Ealdwulf habe sich geweigert, dem Abt die Titel und Landereien von Cilds Vater zu ubergeben.«
»Sprich weiter.«
»Ein paar Monate blieb alles ruhig, und dann horte ich, da? Gelgeis im Moor nahe der Abtei umgekommen sei .«
»Hast du erfahren, auf welche Weise?«
»Auf welche Weise?« Mul schien einen Augenblick verwirrt. Schlie?lich schuttelte er den Kopf. »Man sagte, Cild wurde sich wie ein Besessener gebarden, habe die Monche vertrieben, die an die ursprunglichen Regeln ihres Ordens glaubten, und sich den neuen Ideen der romischen Regel von Canterbury zugewandt. Er brachte viele um, die sich nicht mit ihm andern wollten. Er trennte die verheirateten Geistlichen und verkaufte die Frauen in die Sklaverei. Die Abtei wurden allen Frauen verschlossen.«
»Davor hattest du uns warnen konnen«, schaltete sich Eadulf ein. »An dem Abend, als du uns zur Abtei fuhrst, hattest du uns warnen konnen.«
»Ihr wart Geistliche, die unbedingt zur Abtei wollten«, erwiderte Mul. »Weshalb sollte ich euch warnen? Ich bin kein Christ und habe kein Verlangen danach, einer zu werden, wenn ihr weiter nichts tut, als euch untereinander zu streiten und zu bekampfen. Jedenfalls, wollte ich sagen, bewies Cild, da? er immer noch ein Kriegsherr war. Vor ein paar Monaten lockte er eine Schar von jungen Kriegern in die Abtei, die in die Kutten gekleidet wurden, die ihr Christen eingefuhrt habt, und die ganze Gegend nach Beute absuchen. Sie uberfielen meinen Hof, und seitdem wei? ich, da? Boses in der Abtei haust.«
Er schwieg eine Weile, in Erinnerungen verloren.
»Was ist passiert?« fragte Fidelma leise.
Mul nahm den Faden wieder auf und sprach wie eingeubt, als musse er seine Gefuhle bezahmen.
»Ich war weit weg auf dem Markt, als sie kamen. Sie waren auf Beute aus. Meine Frau und die beiden Jungen waren hier. Als meine Frau versuchte, das bi?chen, was wir besa?en, zu schutzen, wurde sie erschlagen und die beiden Kinder mit ihr. Ich fand ihre Leichen da drau?en, als ich zuruckkehrte. Sie liegen gleich hinter der Scheune begraben.«
Eadulf hustelte verlegen. »Woher wu?test du, da? die Manner des Abts sie erschlagen hatten?«
Mul stand auf und ging zu einem Schrank. Er offnete ihn, nahm etwas heraus. Nach kurzem Zogern legte er es auf den Tisch. Es war ein Stuck blutgetrankter Wollstoff und ein kleines metallenes Kruzifix an einer silbernen Kette.
»Das steckte in der geballten Faust meiner Frau. Sie hatte es ihrem Morder abgerissen«, sagte Mul ruhig. »Da wu?te ich, da? es die Monche aus Aldreds Abtei waren, die mir an jenem Tag einen Besuch abgestattet hatten. Ich werde an Cild Rache nehmen, und wenn ich zehn Jahre oder zehnmal zehn Jahre darauf warten mu?. Das habe ich beim Schwert Wotans geschworen.«
»Wann hat sich das alles ereignet?« wollte Eadulf wissen.
»Vor weniger als sechs Monaten. Gerade zu der Zeit waren die Manner in der Abtei erschienen, die jungen Krieger.«
Fidelma hatte das kleine Kruzifix in die Hand genommen, drehte es hin und her und zog die Brauen zusammen.
»Das ist eine irische Arbeit, keine sachsische«, stellte sie leise fest.
Mul zuckte die Achseln. »Viele Christen werden von deinem Volk ausgebildet, Frau. Cild hat sich im Konigreich Connacht aufgehalten. Die Herkunft des Kreuzes bestatigt nur, was ich gesagt habe.«
Ohne weitere Bemerkungen reichte sie das Kreuz an Eadulf weiter. Es war ein kleines, reich emailliertes Stuck auf Silbergrund. So etwas Kostbares trugen eher Damen des Laienstandes als Nonnen.
»Du sagst, das geschah vor ungefahr sechs Monaten?« erkundigte sich Fidelma.
»Am Fest der Sommersonnenwende«, brummte Mul.
»Sag mal«, fuhr Fidelma fort und schien wieder das Thema zu wechseln, »hast du Gelgeis, die Frau des Abts, einmal gesehen?«
Er schuttelte den Kopf. »Nicht, da? ich wu?te. Vielleicht habe ich sie mal aus der Ferne gesehen. Ich hatte sie auch nicht erkannt, wenn sie mir gegenubergestanden hatte. Sie soll hubsch gewesen sein, mit blondem Haar und schonem Gesicht.«
»Hast du mal gehort, welche Art von Frau sie war?«
»Welche Art ...?« Er hielt inne und zog dann eine verachtliche Miene. »Sie war mit Cild verheiratet. Sagt das nicht genug? Man erkennt einen Menschen daran, mit wem er umgeht, und das gilt auch fur den Ehepartner.«
»Du urteilst hart, Mul.« Eadulf seufzte. »Manchmal lernt man einen Menschen erst nach der Heirat richtig kennen.«
»Hast du jemals von dem Gerucht gehort, Cild habe seine Frau ermordet?« fragte Fidelma.
Muls Augen weiteten sich leicht, doch dann schuttelte er den Kopf.
»Ich habe nur gehort, da? sie in Hob’s Mire geraten ist. Viele Tiere und mehrere Menschen haben sich schon in dem Stuck Moor verirrt und kamen nie wieder. Vielleicht war dieses Schicksal ein Segen fur sie.«
»Du sagtest, du kanntest Bruder Botulf?« fragte Fidelma , ohne auf seine Bemerkung einzugehen.
»Ja.«