»Hast du dich mal mit ihm uber Cild unterhalten?«
»Nachdem er in Ungnade in die Abtei zuruckgeschickt wurde, habe ich ihn kaum noch gesehen. Er durfte sich nicht weit von dort entfernen.«
»Weshalb war er in Ungnade?« fragte Eadulf.
»Er unterstutzte Aldhere gegen den Konig.«
»Warum tat er das?«
»Das wei? ich nicht. Aldhere entstammt derselben giftigen Wurzel wie sein Bruder. Ich horte, er habe in einer Schlacht gegen die eindringenden Mercier den Vetter des Konigs geopfert. Durch seine Feigheit starb der Vetter Konig Ealdwulfs. Botulf verteidigte Aldhe-re, und dafur befahl ihm der Konig, in Aldreds Abtei zuruckzukehren, wo er in fruheren Jahren Monch gewesen war, dort zu bleiben und sie bei Todesstrafe nicht zu verlassen.«
»Du deutest an, da? du Aldhere fur schuldig haltst. Hei?t das, du glaubst, da? Botulf ein Lugner war?« fragte Eadulf murrisch.
»Ich wei? nicht, aus welchem Grunde er Aldhere verteidigte. Soweit ich wei?, war Botulf ein guter Mensch. Vielleicht war er einfach irregeleitet. Aber ich hatte nie die Gelegenheit, mit ihm daruber zu sprechen.«
»Woher wei?t du dann, da? Aldhere schuldig ist?« fragte Eadulf.
»Aus Taten, nicht aus Worten!« antwortete Mul barsch.
»Erklare uns das«, bat Fidelma.
»Ganz einfach. Frag jeden hier herum. Aldhere und seine Leute sind eine Rauberbande. Sie stehlen von allen. Sie haben auch viele unschuldige Menschen eingeschuchtert und ihre Hauser niedergebrannt. Sind das die Taten eines guten Mannes, der dessen nicht schuldig ist, was man ihm vorwirft?«
Fidelma lehnte sich zuruck und seufzte.
»Nun, es konnten auch die Taten eines Mannes sein, der um sein Uberleben kampft. Aber das Niederbrennen von Hausern unschuldiger Menschen pa?t sicherlich nicht zu dem Charakter eines Mannes mit Grundsatzen.«
»Ich sage, ein Fluch uber sie beide«, knurrte Mul. »Bruder Monch oder Bruder Krieger, wei?er Hund oder schwarzer Hund, Hunde sind sie beide.«
»Da magst du wohl recht haben. Es hilft uns nur nicht, der Wahrheit naher zu kommen«, sagte Eadulf verbittert.
Mul wandte sich ihm interessiert zu.
»Welche Wahrheit suchst du denn,
»Die Wahrheit daruber, wer meinen Freund Botulf umgebracht hat.«
Mul lehnte sich uberrascht zuruck.
»Du hast mir nicht gesagt, da? Botulf tot ist!«
Naturlich, fiel es Eadulf ein, Botulf war ja erst an dem Tage getotet worden, an dem Mul sie bei der Abtei absetzte.
»Das tut mir leid. Er wurde in der Abtei erschlagen.«
»Ich nehme an, dafur ist der Abt verantwortlich«, murmelte Mul bitter. »Ich hatte den Eindruck, man steckte ein Kaninchen in einen Stall voller Frettchen ... Ich meine, als Botulf in Cilds Abtei gesteckt wurde, nachdem er Cilds Bruder verteidigt hatte. Das hatte ihm Cild offensichtlich ubelgenommen.«
»Was du sagst, hat eine gewisse Logik«, meinte Fidelma . »Wei?t du etwas von irischen Monchen in dieser Gegend?«
Mul schuttelte den Kopf.
»Ich wei?, da? sich ein paar hier verbergen. Sie weigern sich, die Entscheidungen von Whitby anzuerkennen und Canterbury zu gehorchen. Regeln! Christliche Regeln!« Er machte eine Geste, als wolle er ausspucken. »Wen schert das? In diesem Land werden wir die Tagundnachtgleiche im Fruhjahr auch weiter nach der Gottin Eostre benennen, mogen andere sie auch als Pascha, die Auferstehung des neuen Gottes Christus, oder gar als Pasach feiern, das judische Passafest ... Es ist und bleibt die FruhjahrsTagundnachtgleiche.«
Er merkte, da? ihn Fidelma erstaunt ansah, und lachelte entwaffnend.
»Weil ich nur ein Bauer bin, mu?t du nicht denken, da? ich keine Ahnung habe. Ich war in den Hafenorten und habe mit phonizischen Kaufleuten gesprochen. Ich wei? alles uber Pasach und dergleichen. Jeder Bauern kennt die Jahreszeiten und ihre Namen -Jahreszeiten bleiben Jahreszeiten, du kannst sie nennen, wie du willst.«
»Kennst du eine junge Frau aus Eireann mit rot-goldnem Haar, die in der Nahe der Abtei wohnt?« unterbrach ihn Eadulf.
Mul schuttelte erst den Kopf, dann lachelte er plotzlich.
»Meinst du Lioba? Die stammt nicht aus Eireann.«
Eadulf versuchte sich zu erinnern, ob er den Namen schon mal gehort hatte. Er glaubte es, war sich aber nicht sicher.
»Das ist ein angelsachsischer Name«, erklarte Fidelma mit einem Blick auf Eadulf.
»Stimmt«, meinte Mul. »Ihr Vater war ein Bauer in den Bergen jenseits der Abtei. Er ist schon tot. Er starb an der Gelben Pest. Vor ungefahr einem Jahr starb auch ihre Mutter, eine Sklavin aus einem Konigreich namens Laigin. Die meinst du sicher, die Lioba.«
Laigin war eins der funf Konigreiche von Eireann, das wu?ten sie sehr gut.
Plotzlich brach Mul in ein geiles Kichern aus.
Eadulf runzelte leicht die Stirn. »Was belustigt dich so, Mul?«
»Da? bei all der Frommigkeit in der Abtei Lioba dort ihr Vergnugen sucht.«
»Ich habe gehort, da? diese Lioba eine gewisse Ahnlichkeit mit Gelgeis hat«, sondierte Eadulf, dem plotzlich ein Gedanke gekommen war.
Mul rieb sich das Kinn. »Das wei? ich nicht. Lioba mu? junger sein als die Frau des Abts.«
»Kommen wir noch mal zu den irischen Monchen im Versteck zuruck. Was wei?t du von ihnen?« fragte Fidelma.
»Sehr wenig. Als Christen sind sie mir gleichgultig. Es hei?t wohl, da? sie in der Gegend von Tunstall leben. Sie storen mich nicht, und ich store sie nicht.«
Er langte wieder nach dem Apfelwein, zog aber ein saures Gesicht, bevor er trank.
»Mit euch Christen will ich moglichst wenig zu tun haben, wenn ich auch eins zugeben will: Alle Gotter sind gleich, wenn man ihre Hilfe sucht. Sie sind sich alle darin einig, da? sie deine Bitten und Hilfeschreie uberhoren. Das wei? ich. Auf dem Hugel uber dem Hof gibt es drei Graber, die das bezeugen.«
»Christus war nicht verantwortlich fur den Mord an deiner Frau und deinen Kindern«, ermahnte ihn Eadulf.
»Nein? Wenn dieser Christus ein allmachtiger Gott ware, dann hatte er etwas tun konnen. Lehrt ihr nicht, da? er allmachtig ist, alle liebt und alles bestimmt, was geschieht? Nein,
Fidelma sah Eadulf an und schuttelte rasch den Kopf. Es ware nicht klug, diese Debatte weiterzufuhren.
»Hast du etwas gehort von Streitigkeiten zwischen der Abtei und denen, die der Regel von Colmcille anhangen - dem Heiligen, den ihr Columban nennt?« fragte sie.
»Streitigkeiten? Cild lie? zwei von ihnen hinrichten, das wei? ich. Die anderen lie? er vertreiben, hinaus ins Moorland. Vielleicht sind sie in euer Land zuruckgekehrt? Oder sind sie das, die sich in Tunstall verbergen? Es gibt hier so viele Todesfalle, Schwester, da? ich mich wundere, weshalb ihr euch die Muhe macht, die Ursachen von einem oder zwei davon zu ergrunden. Die Losung fur alle liegt bei zwei Leuten: Cild und Aldhere.«
»Anscheinend gilt hier uberhaupt kein Gesetz mehr«, brummte Eadulf. »Ich kann es kaum glauben. Ich wuchs auf im Bewu?tsein, da? niemand es wagen wurde, dem Gesetz der Wuffingas und einem
Mul grinste spottisch.
»Nicht Anarchie herrscht,
Fidelma hielt fragend den Kopf schief.
»Wieder scheinst du mehr anzudeuten, Mul, als deine Worte aussagen.«
Der Bauer nickte langsam.