Eadulf schaute verdrie?lich drein und rausperte sich gerauschvoll.
»Vielleicht ist es besser, wenn ich die Fragen stelle«, sagte er mit einem bedeutungsvollen Blick zu Fidelma. Als sie ihn deswegen verargert anstarrte, meinte er leise: »Ich habe schon mal erwahnt, da? die Menschen in diesem Land nicht an das gewohnt sind, was sie fur Dreistigkeit bei Frauen ansehen. Frauen spielen beim Sudvolk eine ganz andere Rolle als hier ...«
Aldhere unterbrach ihn mit einem mi?billigenden Blick.
»Still, heiliger
»Wenn ich hier bin, faste ich nicht am Sabbat, wenn ich in Rom bin, faste ich am Sabbat«, murmelte Eadulf.
»Vielleicht ist es schlecht ausgedruckt«, entschuldigte sich Aldhere, »doch was ich meine, ist, da ihr es gewohnt seid, gleich behandelt zu werden, behandle ich euch auch gleich. Also, was sagtest du eben ...?« Plotzlich schlug sich der ehemalige Than von Bretta’s Ham auf den Schenkel und brullte vor Lachen.
»Bei Gott! Ja! Das Trinken. Ich stelle fest, Schwester, du bist nicht nur eine fromme Nonne, sondern auch eine mit Humor. Hier wird wirklich durch das Trinken viel erreicht, denn das Trinken enthullt Geheimnisse, bestarkt unsere Hoffnungen, befreit bedruckte Gemuter von Lasten, lehrt uns neue Kunste und treibt die Zaghaften in die Schlacht. Gegen eine schlechte Nacht hilft immer eine weiche Matratze aus Met, und so manche Freunde und so manche Liebende haben sich beim Krug kennengelernt.«
Diese Antwort erheiterte Fidelma.
»Du horst dich an wie ein Philosoph, Aldhere.«
Der Geachtete hielt den Kopf schief und blinzelte ihr zu.
»Nur einer, der sein Wissen geborgt hat.«
»Doch in meinem Land haben wir ein Sprichwort: Wenn der Hahn betrunken ist, vergi?t er den Habicht.«
Aldhere schuttelte den Kopf. »Ich vergesse weder meinen Bruder Cild noch Konig Ealdwulf. Meine Wachposten halten mich auf dem laufenden.«
»Haben sie dich auch auf dem laufenden gehalten, als Krieger aus Ealdwulfs Leibwache durch deinen Wald fuhren?« fragte Eadulf spottisch.
Zu ihrer Uberraschung nickte Aldhere.
»Die eine Kutsche eskortierten? O ja, davon wu?ten wir.«
Eadulf schuttelte unglaubig den Kopf. »Wenn du davon wu?test, warum habt ihr sie nicht abgefangen?«
»Aus welchem Grunde sollten wir das tun, heiliger
»Lord Sigeric?« fragte Eadulf erstaunt. »Er ist der Oberhofmeister Konig Ealdwulfs«, erklarte er Fidelma rasch.
»Dann hast du doch einen guten Grund, ihn anzugreifen«, meinte Fidelma.
»Er hat sicher an deiner Achtung mitgewirkt«, erganzte Eadulf. »Man wurde annehmen, da? du dich gern an ihm rachen wurdest.«
Aldhere schuttelte den Kopf. »Habe ich dir nicht gesagt, da? Botulf wegen meines Achtungsurteils an ihn appellieren wollte? Es kann gut sein, da? er zu einer Anhorung in dieser Sache herkommt«, erwiderte er.
»Ich erinnere mich, da? du das erwahnt hast«, gestand Eadulf beinahe unwillig.
»Es scheint mir, heiliger
»Manche Leute meinen, du seist ebenso schlimm wie dein Bruder«, warf Fidelma ein, als Eadulf zogerte, weil er keine Antwort wu?te.
Aldhere wandte sich ihr zu und musterte sie kurz, wenn auch mit humorvoller Miene.
»Daran zweifle ich nicht. Viele glauben Cild aufs Wort und malen mich so schwarz wie Satan. Noch mehr Met?«
»Du hast meine Frage nicht bis zum Ende beantwortet«, erwiderte Fidelma.
»Bis zum Ende?«
»Ich wollte wissen, warum du in diesem Land geblieben bist, so nahe bei Aldreds Abtei, wo dir Gefahr droht, wahrend du mit deinen Anhangern woanders eine sicherere Zuflucht finden konntest.«
Aldhere setzte sich zum erstenmal, go? sich den Becher voll und trank nachdenklich daraus.
»Das ist eine gute Frage«, meinte er.
»Gibt es darauf auch eine gute Antwort?« drangte ihn Fidelma.
Aldhere erwiderte ihren Blick und lachelte breit.
»Ach, ich glaube schon. Ich bin hier, weil ich Gerechtigkeit suche.«
Fidelma neigte zustimmend den Kopf.
»Eadulf hat mir deine Geschichte berichtet. Zu Unrecht der Feigheit beschuldigt. Ein alterer Bruder, der dich vernichtet sehen mochte, weil er deinetwegen enterbt wurde. Doch warum hierbleiben? Wie soll das zu Gerechtigkeit fuhren?«
Aldhere beugte sich vor und wurde plotzlich ernst.
»Ich tue es, weil ich Glauben besitze, Schwester.«
»Die Bibel sagt, der Glaube ist das Wesen von Dingen, auf die man hofft, ohne Beweise dafur zu haben. Was ist es, worauf du hoffst?«
»Man hat mir mein Eigentum geraubt. Mein Ansehen ist zerstort, mein Ruf befleckt. Doch ich glaube daran, da? mein Ruf wiederhergestellt und mein Eigentum mir zuruckgegeben wird und da? meine Verfolger zur Rechenschaft gezogen werden. Das ist mein Glaube, Schwester, und deshalb lassen ich und meine Gefolgsmanner uns nicht aus diesem Lande des Sudvolks vertreiben, das uns gehort durch das Recht der Geburt und des Schwertes. Wir kamen vor vier Generationen her und warfen die Briten aus diesem Land, in dem sie trage geworden und entartet waren. Wir gehoren zu den Wuffingas, den Abkommlingen Wotans, und was wir genommen haben, das geben wir nicht wieder her.«
Fidelma lehnte sich zuruck und verzog mi?billigend den Mund.
Eadulf schaute sie unsicher an, doch zunachst sagte sie kein Wort.
»Du hast deine Auffassung gut dargelegt, Aldhere«, meinte sie dann ruhig. »Was kannst du mir von deinem Bruder berichten? Ich nehme an, er folgt denselben Grundsatzen?«
Aldhere sah sie zweifelnd an. »Was willst du uber Cild wissen?« »Du hast Bruder Eadulf den Eindruck vermittelt, Cild sei von jeher gestort gewesen.«
Aldhere zuckte die Achseln. »Er hatte seltsame Launen, und manchmal tat er Dinge, die keine Logik enthielten. Er liebte die Macht, und er liebte den Reichtum. Das waren die beiden einzigen Dinge, die er jemals liebte.«
»Liebte er Gelgeis nicht?«
»Sie war die Tochter eines Fursten. Wahrscheinlich liebte er die Macht und den Reichtum, die er zu erben glaubte.«
»Aber diese seltsamen Launen - du sagst, die hatte er schon als Kind? Wei?t du, wann sie auffallig wurden?«
»Mein Vater mochte ihn nicht«, antwortete Aldhe-re. »Das sagte ich schon dem heiligen
»Tat dein Vater recht daran?«
Aldhere schuttelte den Kopf. »Ich denke, da? Cild die bosartigen Launen, in die er verfallt, von meinem Vater geerbt hat. Der war auch ein schwieriger Mensch.«
»Dich hat dein Vater nie in der Art bestraft wie Cild?«
»Nie.« Aldhere lachelte duster. »Er hatte es immer auf Cild abgesehen.«
»Und deine Mutter? Welche Rolle spielte sie dabei?«