das Ufer erreichte. Er stieg ein, wieder ohne Hilfe, und Jenny begann zu paddeln.

Nach einer Minute etwa machte Bob eine Bemerkung, und der Jager argerte sich, da? nicht er auf diesen Gedanken gekommen war.

„Ware es nicht besser, wenn du nicht auf die Bachmundung zuhalten wurdest, sondern den kurzesten Weg zur Kuste nimmst und ihr dann im flachen Wasser folgst, damit ich sofort aussteigen kann, falls es notwendig werden sollte? Wenn mein Magen wieder revoltiert, brauche ich nicht unbedingt dein Boot zu versauen.“

„Konntest du dich nicht au?enbords beugen?“

„Naturlich. Aber ist das Boot stabil genug? Ich habe bis jetzt immer darauf geachtet, es im Gleichgewicht zu halten.“

„Das brauchst du nicht. Es ist vielleicht nicht so stabil wie ein Auslegerboot oder ein Catamaran, aber ich bin oft genug im tiefen Wasser hereingeklettert. Das habe ich dir doch bereits gesagt. Aber wenn du einen Beweis brauchst…“ Jenny legte das Doppelpaddel auf das Doppelbord und uberraschte ihre beiden Passagiere, indem sie, ohne ihre Kleidung abzulegen, ins Wasser stieg. Das Boot geriet dabei ein wenig ins Schwanken, jedoch langst nicht so stark, wie Bob es erwartet hatte; sein reflexhaftes Umklammern des Dollbords war jedenfalls unnotig.

Ein paar Sekunden spater erschien der Kopf des rothaarigen Madchens an der Wasseroberflache.

Sie griff nach dem neben dem Boot treibenden Hut und reichte ihn Bob. Dann packte sie das Dollbord und zog sich ins Boot. Diesmal krangte es etwas starker; die Bordwand des kleinen Fahrzeugs wurde unter Wasser gedruckt, doch die Wellen schlugen trotzdem nicht ins Innere; das einzige Wasser, das hereindrang, tropfte von Jennys durchna?ter Kleidung. Ohne jeden Kommentar begann sie wieder zu paddeln, und Bob hatte auch nichts zu sagen.

Sie brachte das Kajak in der Bachmundung dicht bei Bobs Haus ans Ufer; zwischen den mit Buschen verwachsenen Ufern konnte sie niemand sehen, au?er einigen Menschen auf Booten weit drau?en auf der Lagune. Bob stemmte sich hoch und stieg aus; es war erheblich einfacher als das Einsteigen vor einer dreiviertel Stunde.

„Okay“, sagte Jenny. „Ich kann schneller zuruck sein, wenn ich mir dein Fahrrad ausleihe — es ist doch bei eurem Haus, nicht wahr? Du bist doch zu Fu? zum Boot gekommen, oder? — und damit zu Tavakes Funkbude fahre. Willst du hier auf mich warten oder zum Haus gehen oder…“

„He, Bob! Hast du es gefunden?“ zerschnitt Daphnes schrille Stimme Jennys Frage, und kurz darauf kam das Kind auf sie zugesturmt.

„Was machst du denn hier?“ fragte Bob uberrascht. „Du warst hoffentlich nicht allein im Wasser, besonders hier, so weit vom Strand entfernt, und ich sehe keinen von deinen Freunden in der Nahe.“

„Oh, ich habe euch schon lange in Jennys Boot entdeckt und bin hergelaufen, weil ich wissen will, ob ihr Gluck gehabt habt. Fahrt ihr wieder zur Insel zuruck oder habt ihr es gefunden? Wenn ihr weiter suchen mu?t, darf ich dann mitkommen? Ich wei?, da? Mom nichts dagegen hat.“

Bevor Bob antworten konnte, sagte Jenny: „Woher wei?t du, da? Bob etwas gesucht hat, Daphne?“

„Mom hat es mir gesagt. Deshalb konne er mich nicht mitnehmen, weil er zu beschaftigt sei.“

„Hat sie dir auch erzahlt, was er sucht?“

„Nein. Das ist sein Geheimnis.“

„Und trotzdem willst du mitkommen? Wie kannst du uns helfen, wenn du gar nicht wei?t, wonach wir suchen?“

„Au?erdem bist du dafur nicht richtig angezogen“, setzte Bob hinzu.

„Ich habe doch meinen Badeanzug an.“

„Und was ist mit der Sonne, du kleiner, blonder Schwachkopf? Wir haben auf Apu gesucht, wo es uberhaupt keinen Schatten gibt. Von dorther hast du uns doch kommen sehen, nicht wahr?“

„Und warum ist Jenny dann so na?? Ich kann jederzeit ins Wasser gehen, wenn du es mir sagst, und Sonnenschutz brauche ich nicht, ich bin Sonne gewohnt.“

Der Jager wurde ungeduldig. Vor zwei Jahren waren sie zum letzten Mal auf der Insel gewesen, und selbst damals war Bobs kleine Schwester bei verbalen Duellen schon allen anderen gewachsen gewesen — bis auf ihre Mutter. Bob hatte sie gut genug kennen sollen, um sich auf keine Diskussion einzulassen; er hatte sofort und entschieden nein sagen sollen. Obwohl der Jager kein Mensch war, besa? er doch Gefuhle, von denen einige den Gefuhlen seines menschlichen Gastgebers nahe verwandt waren. Schlie?lich konnte er seine Ungeduld nicht mehr langer zugeln.

„Um welchen kleinen Finger wickelt sie dich denn diesmal?“ vibrierten seine Gedanken in Bobs Innenohr. Bob reagierte, wie der Jager es hatte vorhersehen sollen, mit Irritation, die er an dem Kind auslie? und nicht an seinem nichtmenschlichen Kritiker.

„Hor zu, Silly, Mutter hat dir gestern Abend gesagt, da? du nicht mitkommen kannst, und ich habe es dir auch gesagt, und dabei bleibt es. Wir haben zu tun. Es ist fur uns sehr wichtig, dieses Ding zu finden, und ich habe keine Zeit, gleichzeitig auf dich aufzupassen.“

Daphne brach nur deshalb nicht in Tranen aus, weil Jenny sich sofort einschaltete. Sie mochte Bobs Antwort fur etwas zu schroff gehalten haben, aber wahrscheinlich war sie auch bemuht, sich ihre Fuhrungsrolle nicht entrei?en zu lassen.

„Hor zu, Daphne“, sagte sie mit sanfter, eindringlicher Stimme. „Bob hat recht, wenn er sagt, da? wir dich nicht mitnehmen konnen, aber vielleicht konntest du uns hier an Land helfen. Ich kann dir nicht sagen, was das Ding, das wir suchen, wirklich ist, weil es ein Geheimnis ist, wie du selbst erklart hast — ich wei? auch nicht, was es ist, weil Bob es nicht einmal mir verraten hat.“ Der Jager reagierte uberrascht und enttauscht auf diese offensichtliche Luge. „Ich kann dir aber sagen, wie es aussieht, soweit Bob es mir beschrieben hat. Dann kannst du die Augen offen halten und uns Bescheid sagen, wenn du es sehen solltest. Denke aber immer daran, da? es ein Geheimnis ist; du mu?t versprechen, es keinem deiner kleinen Freunde zu sagen.“

„Klar. Und was ist mit Mutter und Dad?“

„Die wissen es schon. Denen kannst du es erza hlen, wenn du willst“, sagte Bob. Dem Jager sagte es ganz und gar nicht zu, da? Bob Jennys Luge zu akzeptieren schien, sagte ihm jedoch nichts von seiner Mi?billigung, da dieser gerade die Generator-Abdeckung beschrieb.

„Das Ding sieht aus wie ein halber Ball aus Silber, ungefahr so gro?.“ Er hielt seine Hande etwa acht oder neun Zoll voneinander entfernt. „Es ist nicht glanzend, wie ein Spiegel, sondern etwas matt — wie eins von unseren Kuchenme ssern. Die flache Seite ist zum Teil auch mit diesem silberigen Zeug bedeckt, aber man kann sehen, da? es eine Hohlung ist.“

„Oh, ich wei?, was du meinst“, rief Daphne aufgeregt. „Es ist zum gro?ten Teil mit Korallen bewachsen, nicht wahr?“

Jenny wu?te nicht, was sie darauf sagen sollte, Bob hatte es fur ein paar Sekunden die Sprache verschlagen, und der Jager fragte sich, ob er richtig gehort hatte.

„Das ware moglich“, sagte Bob schlie?lich. „Hast du so etwas gesehen? Wann bist du denn auf Apu gewesen?“

„Noch nie. Da ist es auch nicht. Es ist auf einem Bucherschrank in der Bibliothek; seit Jahren schon.“

6

Die Moral einer wei?en Luge

Die Tatsache, da? weder Bob noch der Jager Daphnes uberraschende Behauptung ganz ernst nahmen, war vollig bedeutungslos; Jenny beherrschte die Situation. Ohne sich um Bobs zweifelnden Gesichtsausdruck zu kummern, gratulierte sie Daphne zur Losung des Problems, bat sie, die Fuhrung zu ubernehmen, schlug vor, beim Kinnaird-Haus vorbeizugehen und die Fahrrader zu holen, und erklarte, da? Bob beim Boot bleiben mu?te, um auf jemanden zu warten.

Der Gleichmut, mit dem das Madchen auf Lugen zuruckgriff, wenn es ihr richtig erschien, bedruckte den Jager mehr und mehr. Die lange Lebenserwartung seiner Spezies hatte es vor vielen Generationen zur Erfahrungstatsache werden lassen, da? selbst die trivialste Luge fruher oder spater entlarvt wurde, weil sie eine unausloschliche Spur in den Erinnerungen so vieler Menschen zurucklie?.

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