Doch Jenny schien nicht die geringsten Hemmungen zu haben, Tatsachen zu verdrehen, selbst wenn sie damit ein nur kurzfristiges Ziel zu erreichen hoffte. Was noch schlimmer war, der Gastgeber des Jagers, obschon sichtlich verargert, schien sich mehr daran zu sto?en, da? das Madchen das Kommando ubernommen hatte, als an ihren Unwahrheiten. Das Gefuhl der Nutzlosigkeit, das noch nicht erwachsene menschliche Wesen zu Wutausbruchen verleitet, lauerte so dicht unter der Oberflache, wie es der Jager noch niemals bei einem der menschlichen Wesen erlebt hatte. Da Bob noch immer sehr schwach war, konnten sie die beiden Madchen nicht zur Bibliothek begleiten; sie konnten auch nicht das Boot benutzen, was ihne n ohnehin nichts gebracht haben wurde; sie konnten auch keine Zeit einsparen und sich um den Metalldetektor ku mmern, wahrend Jenny mit Daphne unterwegs war.

Und sowohl Bob als auch der Jager waren sicher, da? sie den Detektor brauchen wurden, selbst fur den Schild. Sie konnten sich nicht vorstellen, was fur ein Gegenstand es war, von dem Daphne gesprochen hatte, doch keiner der beiden glaubte, da? es sich um das Objekt ihrer Suche handeln konnte.

Trotzdem aber, um alles noch frustrierender zu machen, wurden sie selbst in die Bibliothek gehen mussen, um sich zu vergewissern. Wahrscheinlich mu?te es sogar getan werden, bevor sie irgendeine nutzbringende Arbeit beginnen konnten, da Jenny den Bericht Daphnes vollig unkritisch anzunehmen schien und sich erst bereit finden wurde, ihn anzuzweifeln, nachdem Bob und der Jager das korallen bewachsene Objekt in der Bibliothek selbst gepruft hatten.

Alles, was die beiden Partner jetzt tun konnten, war warten, sich alle moglichen Fragen zu stellen und sich Sorgen zu machen. Das Schlimmste war vielleicht, da? durchaus die Moglichkeit bestand, da? das Kind recht hatte. In diesem Fall waren sie dazu gezwungen, ihren Plan grundlegend zu andern.

Die Bibliothek lag etwa zwei Meilen entfernt, sudlich der Hauptstra?e und etwas ostlich ihrer Kreuzung mit der zur Pier fuhrenden Stra?e. Die Madchen wurden die erste halbe Meile bis zu Bobs Haus zu Fu? zurucklegen mussen. Bob hatte seine Uhr nicht angelegt, da sie nicht wasserdicht war, und so konnten sie nur raten, wie lange die beiden schon fort waren. Ohne den Gedanken laut werden zu lassen, uberlegte der Jager, ob Bobs Verargerung wieder zu Magenkrampfen fuhren wurde.

Damit waren sie zumindest von der Langeweile erlost worden; doch er war nicht traurig, als nichts passierte.

Die Madchen waren in einer knappen halben Stunde zuruck, obgleich es Bob und dem Jager naturlich viel langer vorkam. Ihre Stimmen, die zu horen waren, bevor die beiden in Sicht kamen, verkundeten, da? ihr Enthusiasmus ungebrochen war.

Und Daphne schrie ihrem Bruder schon von weitem entgegen: „Es ist noch da! Jenny sagt, es mu? das sein, was du suchst! Wir haben festzustellen versucht, woher es stammt, aber alle konnten uns nur sagen, da? Maeta es gefunden hat, anscheinend vor dem Bau der Bibliothek, und es als Dekoration mitgebracht, als sie dort zu arbeiten begann. Sie ist heute nicht da und zu Hause ist sie auch nicht; die Leute sagten uns, sie sei auf dem Wasser, und sie habe niemals gesagt, woher das Ding stamme, aber wir sollten zuruckfahren und warten, bis sie nach Hause kommt, und sie…“

„Nimm mal den Fu? vom Gas, Kleine. Es gibt mindestens vier Maetas auf der Insel. Aber da sie in der Nahe der Bibliothek zu wohnen scheint, nehme ich an, da? du Charlie Teroas Schwester meinst.

Ich habe nicht gewu?t, da? sie in der Bibliothek arbeitet.“

„Tut sie aber“, bestatigte Jenny. „Und gelegentlich auch bei meinem Vater.“

„Aber ich will dieses Ding auf jeden Fall selbst sehen, bevor ich Maeta oder irgendeinen anderen Menschen frage, woher es stammt“, sagte Bob entschieden. „Jenny, du hast es vorher nie gesehen, deshalb kannst du nicht sicher sein, da? es wirklich das ist, was wir suchen.“ Bob blickte Jenny an, wahrend er sprach, ubersah jedoch geflissentlich ihren Gesichtsausdruck — die himmelwarts gerollten Augapfel, die, wie von der TVUnterhaltungsindustrie festgelegt, andeuten sollen, da? jemand gerade etwas unaussprechlich Dummes gesagt hat. „Du warst zu schnell fort, als da? ich dir das hatte erklaren konnen, Silly. Ich werde irgendwann selbst gehen mussen…“

„Am besten gleich“, erwiderte seine Schwester.

„Wir haben Andre unterwegs gesehen, und Jenny sagte mir, er sei es, auf den du hier wartest. Aber er ist nicht in diese Richtung gegangen, also brauchst du nicht langer hier zu bleiben. Wir konnen gleich zuruckgehen und…“

„Was? — ja, ich verstehe — aber ich denke nicht daran…“ Bob war im Moment vollig verwirrt, und selbst der Jager hatte nicht geglaubt, da? Jennys Luge so bald entlarvt werden wurde. Das rothaarige Madchen fing sich jedoch sofort und demonstrierte damit eine Begabung, die dem Jager allmahlich sehr zu mi?fallen begann. Schnelle Auffassungsgabe und Reaktion waren eine Sache, doch wenn sie nur dazu benutzt wurden, um Lugen mehr oder weniger aufrechtzuerhalten, waren sie vielleicht aufgebraucht, wenn sie fur ernsthaftere Probleme benotigt wurden.

„Wenn Andy zum Pier gegangen ist, konnen Bob und ich mit dem Boot dorthin fahren und ihn treffen“, sagte Jenny rasch. „Du bringst Bobs Fahrrad nach Hause, und wenn du magst, kannst du dann bei der Bibliothek auf uns warten. Aber es konnte eine ganze Weile dauern, bis wir dort eintreffen, warte also nicht allzu lange, wenn du noch etwas anderes vorhast.“

„In Ordnung.“ Das braungebrannte Madchen mit den fast wei?gebleichten Zopfen verschwand ohne ein einziges Widerwort. Jenny wandte sich Bob und dem Jager zu, sprach jedoch nur zu Bob.

„Steige ins Boot. Ich mu? dir etwas sagen.“ Ihr Ton machte es sehr deutlich — selbst fur den Jager —, da? sie au?erst verargert war. Sie sagte kein Wort mehr, bis das Boot auf dem Wasser und au?er Horweite war. Dann sagte sie: „Du hast mir nichts davon gesagt, da? sich deine medizinischen Probleme auch auf dein Gehirn auswirken. Ich habe noch nie einen Menschen gesehen, der so begriffsstutzig ist. Willst du wirklich, da? deine Schwester uns standig auf der Pelle sitzt?“

„Nein, naturlich nicht.“

„Warum hast du mich sie dann nicht uberzeugen lassen, da? wir das Ding gefunden haben und sie losgeschickt, um Maetas Vergangenheit zu untersuchen oder was immer sonst sie amusieren mag — und sie uns von der Pelle halt.“

„Willst du damit sagen, du wei?t, da? es nicht die Abdeckung ist?“

„Woher soll ich das wissen? Das Ding pa?t auf deine Beschreibung, so weit ich das beurteilen kann, aber ich habe das Original nie gesehen, wie du dem Kind sehr deutlich erklart hast. Warum hast du nicht das Stichwort aufgeno mmen, das ich dir gegeben habe?“

Bob antwortete ungewohnt schnell und mit ungewohnter Vehemenz.

„Zum Teil, weil du recht hast; ich bin wirklich begriffsstutzig; zum Teil, weil ich, selbst wenn ich erkannt hatte, was du vorhast — oder besser, wenn ich dessen sicher gewesen ware —, nicht gerne dabei gewesen ware, wenn Daphne die Wahrheit erfahrt. Ich mochte nicht, da? irgend jemand, vor allem nicht ein Mitglied meiner Familie, mich einen Lugner nennen kann.“

„Naturlich nicht.“ Bobs Ernsthaftigkeit schien Jenny zu uberraschen. „Naturlich mag niemand eine wirkliche Luge erzahlen, aber sie wurde es doch hochstens erfahren, wenn sie erheblich alter ist, und dann konntest du ihr erklaren, warum es notig war, nicht ganz bei der Wahrheit zu bleiben.

Sie wurde es dann sicher verstehen. Ist es nicht vor allem wichtig, da? wir in dieser Sache weiterkommen? Falls du nicht auch gelogen haben solltest, Bob, geht es schlie?lich um dein Leben. Sind ein paar wei?e Lugen wirklich wichtiger als das?“

Bob antwortete nicht. Der Jager hatte ihm eine langere Rede zu diesem Thema halten konnen, doch Jennys letzte Feststellung brachte ihn zu der Erkenntnis, da? er es nicht unter diesem Gesichtspunkt gesehen hatte. Er selbst hatte sich schlie?lich dazu bereit gefunden, ein paar Regeln zu brechen, um das Leben seines Gastgebers zu retten — obwohl es andere prinzipielle Dinge gegeben ha tte, die ihm bei diesem Bruch geholfen hatten —, und bei einer so kurzlebigen Spezies wie der Bobs war es vielleicht nicht ganz so schlimm. Er war sich seiner Antwort noch immer nicht sicher, wenn er sich auch dagegen straubte, eine lebenslange Uberze ugung zu verleugnen.

„Wir sollten wohl besser zur Bibliothek gehen“, sagte Bob schlie?lich. „Hast du dir schon eine Ausrede uberlegt, um diese Verabredung mit Andre zu erklaren, die wir angeblich gehabt haben — besonders fur den Fall, da? sie ihn getroffen haben und danach gefragt haben sollte?“

„Nein, aber mir wird schon etwas einfallen. Sie ist nicht mi?trauisch.“

„Noch nicht.“ Die letzten beiden Worte klangen ziemlich bitter, und selbst Jenny begriff, was er damit

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