einem eckigen, ehrlichen Gesicht. Die aufrechte Haltung des Mannes in der schwarzen Livree lie? Hawkwood vermuten, dass er beim Militar gedient haben konnte.

Mit ihm war seine Frau, die Haushalterin, in den Salon getreten. Sie trug zu ihrem schlichten grauen Kleid eine Morgenhaube, und ihre Miene druckte Besorgnis aus.

»Das verstehe ich nicht«, sagte Hobb. »Wir haben doch bereits Officer Warlock alles erzahlt, was wir wissen.«

Hawkwood erklarte mit schonungsloser Offenheit: »Officer Warlock ist tot – er wurde ermordet. Seine Leiche wurde heute Morgen entdeckt. Ich habe die Ermittlungen ubernommen.«

»Gott bewahre uns!«, sagte Hobb und umklammerte die Schultern seiner Frau. Sie schnappte nach Luft, ob wegen der schrecklichen Neuigkeit oder wegen des festen Griffs ihres Mannes, konnte Hawkwood nicht sagen.

Da durchbrach schallendes Gelachter aus der Diele das betroffene Schweigen. Die Tur wurde aufgesto?en, und ein kleines Madchen in einem gelben Leinenkleid sturzte herein. Dicht auf den Fersen folgte ihr mit fliegenden Ohren ein kleiner schwarzwei?er Hund von unbestimmter Rasse.

»Gro?papa …«, rief das Kind, blieb dann abrupt stehen und sah sich verwirrt um. Ihr Blick blieb schlie?lich an Hawkwood hangen, und er schaute in die gro?ten blauen Augen, die er je gesehen hatte. Die Kleine war sieben oder acht Jahre alt und atemberaubend hubsch. In ihrer Armbeuge hielt sie eine Puppe, eine Miniaturausgabe ihrer selbst, in einem gleichfarbigen spitzenbesetzten Kleid und winzigen wei?en Schuhchen.

»Ich habe doch Gro?papas Stimme gehort! Wo ist er?«

Mrs. Hobb fasste sich sofort, als sie die Enttauschung des Kindes sah. Die Haushalterin breitete die Arme aus, und das kleine Madchen lief zu ihr. Der Hund merkte nichts von der ernsten Stimmung im Raum und beschnupperte mit wedelndem Schwanz die Mobel.

Vollig aufgelost und au?er Atem tauchte das Dienstmadchen in der Tur auf. »Es tut mir Leid, Mrs. Hobb. Als Elizabeth die Stimmen horte, ist sie einfach losgerannt. Ich konnte sie nicht aufhalten.«

In Mrs. Hobbs beschutzenden Armen geborgen, warf das Kind Hawkwood wieder einen durchdringenden Blick zu und vergrub dann ihr Gesicht in der gestarkten wei?en Schurze der Haushalterin. Da entdeckte der Hund plotzlich den Fremden, sprang uber den Teppich auf Hawkwood zu und beschnupperte seinen Stiefel.

Mrs. Hobb tatschelte Elizabeths Kopf und sagte besanftigend: »Na, na, mein Schatz, du musst keine Angst haben. Dieser Gentleman, Mr. Hawkwood, bringt uns Neuigkeiten von deinem Gro?papa.«

Da drehte sich die Kleine langsam um und fragte voller Erwartung und neu erwachter Hoffnung: »Wann kommt Gro?papa nach Hause?«

Beim Anblick des Gesichts dieses Madchens musste Hawkwood unwillkurlich an Pen, eines der Stra?enkinder, die Warlocks Leiche entdeckt hatten, denken. Beide Madchen waren etwa gleichaltrig, beide Waisenkinder, aber zwischen ihnen lagen Welten. Eines war in ein luxurioses Leben, das andere in ein Dasein bitterster Armut hineingeboren worden. Und doch gab es eine Ahnlichkeit zwischen ihnen: Beide Gesichter druckten Argwohn und Angst aus, als sie ihn angesehen hatten.

Mrs. Hobb legte Elizabeth die Hand auf die Schulter. »Sei still, Kind. Dein Gro?papa kommt bald nach Hause. Du wirst schon sehen. Habe ich nicht Recht, Mr. Hobb?«

»Naturlich!«, stimmte der Diener mit gespielter Frohlichkeit zu. »Wart’s nur ab!«

Hawkwood entging nicht die dringende Botschaft, die in den Augen des Ehepaars lag. Dieselbe Erwartung las er in dem Blick des kleinen Madchens, das ihn unentwegt anstarrte. Schlie?lich, es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, wandte die Kleine den Kopf ab und sah fragend zur Haushalterin hoch.

»Na, siehst du, Elizabeth«, sagte Mrs. Hobb lachelnd. »Sei jetzt ein braves Madchen und geh mit Jessie in die Kuche. Sie gibt dir ein Glas Milch, und wenn ich mich nicht irre, hat Mrs. Willows einen Kuchen gebacken.«

Dann scheuchte sie den Hund auf, der sich ausgiebig kratzte, nachdem er vergeblich versucht hatte, Hawkwoods Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

»Und nimm Toby mit. Der ganze Teppich ist voller Hundehaare. Hetty kriegt immer Zustande, wenn sie den Salon putzt.«

Toby bellte so aufgeregt, als er seinen Namen horte, dass Elizabeths Augen wieder aufleuchteten. Die Puppe fest an sich gedruckt, ging sie zur Tur, blieb auf der Schwelle stehen und rief ihren Hund. Als Toby an ihr vorbeilief, sah sie Hawkwood noch einmal an, als wollte sie ihm etwas sagen, anderte dann jedoch ihre Meinung und verschwand im Flur. Das Dienstmadchen schloss leise die Tur hinter ihr, und Hawkwood kam es so vor, als sei das Licht im Zimmer erloschen.

»Gott segne ihre kleine Seele«, sagte Mrs. Hobb leise und wandte sich Hawkwood zu. »Das arme Ding hat ihre Eltern bei einem Brand verloren. Und jetzt ist ihr Gro?vater verschwunden.« Die Haushalterin schuttelte sorgenvoll den Kopf.

»Wann ist das passiert?«, fragte Hawkwood.

Die Haushalterin uberlegte kurz. »Ostern vor einem Jahr«, versicherte sie dann. »Die ganze Familie hat geschlafen, bis der Hund sie weckte. Er war damals noch ein Welpe, aber ware Toby nicht gewesen, wurde auch Elizabeth heute nicht mehr leben. Seitdem sind die beiden unzertrennlich.«

»Warum konnten sich die Eltern nicht retten?«

»Der Vater hat Elizabeth aus dem Haus getragen«, sagte Luther Hobb, »und ist zuruckgegangen, um seine Frau und seinen Sohn zu holen. Alle drei fand man spater tot in den Trummern. Die Mutter hielt ihr Baby in den Armen. Sie sind nicht im Feuer umgekommen, sondern an Rauchvergiftung gestorben.« Auch der Diener schuttelte bekummert den Kopf.

»Und seitdem lebt Elizabeth hier bei ihrem Gro?vater?«

»Ja«, sagte Mr. Hobb und seine Miene wurde weich. »Der Master wurde zu ihrem Vormund ernannt. Er vergottert seine Enkelin. Sie sieht ihrer Mutter, seiner Tochter, sehr ahnlich. Das sagt jeder.«

»Wei? Elizabeth, dass ihr Gro?vater vermisst wird?«, fragte Hawkwood.

Die Haushalterin schuttelte den Kopf. »Nein, wir haben ihr gesagt, er sei auf einer Geschaftsreise.«

»Und wenn er nicht wieder nach Hause kommt? Was erzahlen Sie ihr dann?«

Die Haushalterin nahm ein Taschentuch aus ihrer Schurzentasche und zerknullte es. »Das wei? ich nicht«, sagte sie und putzte sich die Nase. »Er ist ein so guter, liebenswurdiger Herr. In all den Jahren, die wir fur ihn arbeiten, haben wir nie ein hartes Wort von ihm gehort. Mr. Hobb und ich wagen nicht einmal daran zu denken, dass er nie wieder nach Hause kommen konnte. Wir beten jeden Abend fur ihn, nicht wahr, Mr. Hobb?«

»Na, na, meine Liebe«, sagte Luther Hobb und tatschelte die Schulter seiner Frau. »Officer Hawkwood wird sein Bestes tun, um ihn zu finden.« Besorgnis schwang in seiner Stimme, als er dann Hawkwood fragte: »Glauben Sie, dass die Ermordung von Officer Warlock etwas mit dem Verschwinden des Masters zu tun hat?«

»Das wei? ich noch nicht«, entgegnete Hawkwood. »Aber ich werde es herausfinden.«

In dem darauf folgenden Schweigen warteten alle drei, dass jemand etwas sagte, bis Hawkwood schlie?lich bat: »Erzahlen Sie mir von Master Woodburn. Als er gestern Abend nicht zum Essen nach Hause kam, haben Sie sich sofort Sorgen gemacht, nicht wahr?«

»Ja«, sagte die Haushalterin. »Gegen halb sieben haben Mr. Hobb und ich gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Der Master verspatet sich namlich nie. Immer war er um sechs Uhr zu Hause, damit er noch eine Weile mit Elizabeth verbringen kann, bevor sie zu Bett geht. Punktlich wie ein Uhrwerk, pflegte er zu scherzen, weil er doch Uhrmacher ist.« Mrs. Hobb kampfte sichtlich mit den Tranen.

»Und wenn es einmal spater wurde, hat er immer eine Nachricht geschickt«, erganzte Luther Hobb.

»Aber dieses Mal nicht?«, hakte Hawkwood nach.

Der Diener schuttelte den Kopf. »Kein Wort. Und wir haben gewartet. Zuerst dachten wir, er habe sich nur verspatet. Aber um sieben fingen wir an, das Schlimmste zu befurchten. Wir beschlossen, dass ich zur Werkstatt gehe, um nachzusehen, ob er noch dort ist. Ich hatte gehofft, ihm unterwegs zu begegnen, aber …« Mr. Hobb versagte die Stimme.

»Seine Werkstatt, wo befindet sie sich?«

»In der Red Lion Street.«

Wenn Clerkenwell als das Zentrum der Uhrmacher galt, so war die Red Lion Street Hauptstra?e des Viertels. Viele der Hauser dort beherbergten gleichzeitig Schmuckgeschafte, das wusste Hawkwood. Clerkenwell war das Einkaufsviertel der Armen, der Strand das der Reichen.

»Und wann sind Sie dort angekommen?«

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