15

Es tut mir Leid, dass ich Gewalt anwenden und Sie knebeln lie?, Officer Hawkwood«, sagte der Grauhaarige, freundlich lachelnd. »Das ist naturlich eine barbarische Ma?nahme, aber manchmal unumganglich.«

Scully hatte Hawkwood den Schlagstock abgenommen. Wiesel hatte ihn an Handen und Fu?en gefesselt und die Kette um die Stuhllehne geschlungen. Danach hatte der Zwerg eine Verbeugung angedeutet und war gegangen.

»Mir wurde mitgeteilt, Ihr hattet Lord Mandrake auf seiner Reise in den Norden begleitet«, sagte Hawkwood und versuchte unauffallig, seine Handgelenke in den Fesseln zu bewegen. Aber die Kette sa? zu straff.

»Da hat man Ihnen etwas Falsches mitgeteilt.«

»Mir wurde auch anvertraut, Ihr wart des Englischen kaum machtig«, sagte Hawkwood.

»Auch falsch.«

»Und ich nehme an, Ihr werdet mir gleich verkunden, dass Ihr auch nicht Rochefort hei?t.«

»Fur wen halten Sie mich denn?«

»Ich kann nur raten«, entgegnete Hawkwood. »Ich glaube, Sie sind William Lee.«

»Na, so was! Was sind Sie doch fur ein kluger Mann. Und wie sind Sie darauf gekommen?«

»In Talavera diente ein amerikanischer Offizier unter Sherbrooke. Er sprach mit demselben Akzent.«

»Ach, tatsachlich? Das ist interessant. Und wie kam es, dass ein Amerikaner fur den englischen Konig gekampft hat?«

»Der Grund ist mir entfallen«, sagte Hawkwood. »Und wie kommt es, dass Sie fur Napoleon kampfen?«

Und warum steht Jago auf der Seite des Feindes?

»Dafur habe ich meine Grunde.« William Lee verschrankte die Arme vor der Brust.

»Geld!« Aus Hawkwoods Mund klang das Wort wie eine Obszonitat.

Lees Gesicht wurde ausdruckslos. »Glauben Sie wirklich, dass es mir nur ums Geld geht?«, fragte er. »Oh, naturlich werde ich gut bezahlt, mein Freund. Das streite ich nicht ab. Aber Geld war nie ausschlaggebend fur meine Entscheidungen.«

Hawkwood wartete auf eine Fortsetzung des Amerikaners, doch Lee schien in Gedanken versunken zu sein.

»Und welchen Preis hat Lord Mandrake verlangt?«, fragte Hawkwood schlie?lich.

Und Jago?

»Nun, damit kommen wir der Sache schon naher. Wir haben Seiner Lordschaft ein Angebot unterbreitet. Wir haben ihm zu verstehen gegeben, sollte er uns seine Mithilfe verweigern, konnte die Regierung der Vereinigten Staaten nicht fur die Sicherheit seiner Uberseeinvestitionen garantieren. Ihnen durfte wohl bekannt sein, dass Lord Mandrake in betrachtlichem Ma?e vom Tabakhandel profitiert.«

Wie um dieser Erklarung Nachdruck zu verleihen, fischte Lee aus seiner Tasche einen halb gerauchten Stumpen, offnete die Laterne und zundete die Zigarre an der Flamme an. Nach einem tiefen, genie?erischen Zug hielt er fur ein paar Sekunden die Luft an und stie? dann den Rauch aus.

»Immerhin ist Lord Mandrake nicht nur ein sehr erfolgreicher Geschaftsmann, sondern auch ein uberaus pragmatischer Mensch«, sagte William Lee und inspizierte lachelnd die Spitze seiner Zigarre.

»Mit anderen Worten: Der Lord ist ein verdammter Landesverrater.«

»Das hangt doch wohl davon ab, auf welcher Seite man steht, nicht wahr?«, sagte Lee spottisch und zog wieder an seiner Zigarre.

»Soll ich den Bastard gleich fertig machen, oder nicht?«

Erst als Hawkwood Scullys Stimme vernahm und dessen Hand auf seiner Schulter spurte, wurde er sich der Anwesenheit des Schlagers wieder bewusst.

Lee schnippte die Asche von seiner Zigarre. »Nur mit der Ruhe, Scully. Du siehst doch, dass der Captain und ich uns angeregt unterhalten.«

»Woher wissen Sie, dass ich Captain war?«

Idiot! Weil Jago es ihm gesagt hat!

Lee setzte sich seitlich auf den Tisch und rollte die Zigarre zwischen Zeigefinger und Daumen. »Ach, es gibt da gewisse hoher gestellte Freunde. Man hort so manches. Ich wei? eine Menge uber Sie. Stellt sich die Frage, was Sie uber mich wissen.«

»Alles!« Hawkwood merkte sofort, dass er nicht uberzeugend klang.

»Oh, das bezweifle ich«, meinte Lee trocken und zupfte einen Tabakkrumel von seiner Unterlippe. »Sehr sogar.«

»Wir wissen von dem Tauchboot«, sagte Hawkwood und fragte sich sofort, ob dieses Eingestandnis klug gewesen war.

»Es hatte mich auch machtig uberrascht, wenn ihr das nicht wusstet«, sagte Lee.

Hawkwood fand die Unbekummertheit des Amerikaners au?erst beunruhigend. Irgendwie hatte er das Gefuhl, von Lee an der Nase herumgefuhrt zu werden. Warum trat Lee so verdammt gro?spurig auf?

»Es bringt Ihnen nichts, wenn Sie mich umbringen lassen«, sagte Hawkwood. »Ich bin nicht der Einzige, der in diesem Fall ermittelt.«

»Oh, das glaube ich Ihnen«, sagte Lee jovial. »Wirklich. Aber bis mir jemand auf die Spur kommt, ist es zu spat.«

»Kann ich ihn jetzt endlich fertig machen?«, drangte Scully.

»Geduld, Scully. Du kriegst schon noch deine Chance. Wie Sie sehen, Captain, kann Scully keine Officer ausstehen. Nicht wahr, Scully?«

»Das sind alles Schei?kerle, jeder Einzelne. Egal, ob tot oder lebendig.«

»Habe ich’s Ihnen nicht gesagt, Captain?«

»Dieser Wahnsinnige gehort ins Irrenhaus, nach Bedlam«, sagte Hawkwood. »Wie kommt es, dass er fur Sie arbeitet?«

»Was hat er gesagt?«, wollte Scully wissen.

»Dass er dich nicht mag«, sagte Lee. »Fur ihn gehorst du ins Irrenhaus.«

»Na, so was«, sagte Scully und verpasste Hawkwood einen Schlag ans Kinn. Ein paar Sekunden wurde es dunkel um den Runner. Hoffentlich hat er mir nicht den Kiefer gebrochen, dachte er, als er aus dem Nebel wieder auftauchte. Er fuhr sich prufend mit der Zunge uber seine Zahne. Ein paar hatten sich gelockert.

»Die Abneigung scheint auf Gegenseitigkeit zu beruhen«, stellte Lee lakonisch fest.

Genussvoll inhalierte der Amerikaner den Rauch seiner Zigarre. »In Le Havre wurde mir Scully von einem Matrosen empfohlen, der mit ihm an Bord desselben Schiffes war. Er hat mir erzahlt, dass Scully die Themse wie seine Westentasche kenne und dass er von der Obrigkeit nicht viel halt. Konig Georg II. kann er auch nicht ausstehen. Da bin ich zu dem Schluss gekommen, dass das der richtige Mann fur mich ist.«

Als Scully selbstgefallig grinste, musste Hawkwood an einen Hund denken, der seinen Namen hort und daraufhin mit dem Schwanz wedelt.

»Ich finde das zum Lachen«, sagte Scully. »Monatelang kommt mir kein Officer in die Quere und jetzt schnappe ich mir gleich drei auf einmal. Was bin ich doch fur ein Gluckspilz.«

Es dauerte einen Moment, bis Hawkwood die Bedeutung dieser Worte verstand.

»Du hast Warlock umgebracht«, sagte er dumpf.

»Wer ist Warlock?«, fragte Scully dummlich. »Ach, du meinst deinen Kumpel, den Runner. Mag sein – wenn du meinst. Und ich hab’s genossen.«

Nur die Fesseln hinderten Hawkwood daran, Scully an die Gurgel zu springen. Er starrte Lee an und fragte: »Haben Sie ihn damit beauftragt?«

Lee zog ein letztes Mal an seinem Stumpen und blies den Rauch in die Luft. Dann schuttelte er den Kopf. »Nein, mit dem Tod Ihres Kollegen habe ich nichts zu tun. Seine Lordschaft hat leider uberreagiert. Nachdem Ihr Freund da einfach so reinplatzte, musste er doch etwas unternehmen.«

Warlock hatte also wie ein guter Bluthund die Spur zu Lord Mandrakes Haus verfolgt und irgendwie die Verbindung zwischen dem Verschwinden des Uhrmachermeisters und Lees Planen fur den Bau eines Unterseebootes entdeckt. Nachdem er die Zeichnungen in seinem Stock versteckt hatte, war er entdeckt und umgebracht worden. Von Scully.

Вы читаете Der Rattenfanger
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату