durfte nicht entgangen sein, ahm … Sergeant, dass ich uber Ihre … wie soll ich mich ausdrucken … gegenwartigen Aktivitaten bestens informiert bin. Ich wei? uber Ihre Vorgeschichte und Ihre freundschaftliche Beziehung zu Officer Hawkwood Bescheid. Aus diesem Grund und wegen Ihrer lobenswerten Tat heute Nacht bleibt mir wohl nichts anderes ubrig, als zu akzeptieren, dass Officer Hawkwood Sie ins Vertrauen gezogen hat. Da es sich dabei um Informationen handelt, die strengster Geheimhaltung unterliegen, bitte ich um Ihr Ehrenwort, dass nichts von dem, was hier gesprochen wird, nach drau?en dringt.«
Jago blickte zuerst zu Hawkwood, dann zu dem Richter und nahm Haltung an. »Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, Sir«, verkundete er feierlich.
Read nahm das Versprechen mit einem knappen Nicken zur Kenntnis. »Sehr gut«, sagte er und setzte sich wieder hinter seinen Schreibtisch. »So, und nun erzahlen Sie mir von William Lee. Sind Sie sich seiner Identitat absolut sicher?«
»Ja«, bestatigte Hawkwood. »Und ich bin ihm bereits einmal begegnet, obwohl ich damals nicht wusste, wer er war. Er gab sich als Gast von Lord Mandrake aus, um sich ein Bild von mir machen zu konnen, dieser aufgeblasene Bastard. Es war nicht Jago, der mich zu diesem Treffpunkt bestellt hat, sondern Scully hat mir im Auftrag von Lee durch Jenny die Nachricht zukommen lassen. Lee sagte, ich stelle eine Gefahr dar, und sie durften nun kein Risiko mehr eingehen.« Hawkwood zogerte kurz, ehe er hinzufugte: »Scully hat auch Warlock ermordet.«
Ein Schatten glitt uber das Gesicht des Obersten Richters. Schweigend folgte er dem minutiosen Bericht Hawkwoods. Dann stie? James Read einen Seufzer aus. »Mir scheint, wir stehen wirklich tief in Ihrer Schuld, Sergeant. Au?erdem haben Sie uns die Kosten fur eine Hinrichtung durch Hangen erspart.« Dann wandte er sich an Hawkwood: »Und Sie kennen noch immer nicht die Identitat seines Komplizen?«
»Noch nicht, aber die finde ich noch heraus.«
James Read nickte. »Hoffentlich so bald wie moglich. Und was Lee betrifft, konnte es sein, dass er in den Flammen umgekommen ist?«
Hawkwood schuttelte den Kopf. »Das bezweifle ich.«
»Schade. Das hatte uns eine Menge Arger erspart.« Jetzt wandte sich James Read an seinen Sekretar, der sich inzwischen schnell angezogen hatte und ins Buro des Richters gekommen war. »Mr.Twigg, sobald wir hier fertig sind, holen Sie bitte Officer Lightfoot. Die Bank von England hat ihn mittlerweile von seinem Auftrag entbunden. Er soll sofort nach Norden zum Landsitz von Lord Mandrake aufbrechen und Seine Lordschaft – wenn notig, selbst unter Anwendung von Gewalt – festnehmen und hierher ins Amt bringen.«
»Sehr wohl, Sir«, sagte Ezra Twigg mit ausdrucksloser Miene. Im Laufe seiner langen Dienstzeit als Sekretar vieler Oberster Richter hatte er sich an solche Uberraschungen gewohnt. So zahlte die Festnahme eines Peers fur ihn ebenso zum Alltag wie die eines Taschendiebs oder der Schutz eines Goldtransports der Bank von England.
»Und was ist aus dem Uhrmacher geworden?«, fragte Read. »Lebt Master Woodburn noch, oder wurde auch er umgebracht?«
»Er lebt. Anscheinend wird er noch gebraucht. Aber Lee hat nicht verraten, wozu. Ich vermute, er soll irgendetwas an diesem Unterseeboot reparieren. Dabei muss es sich um ein sehr kompliziertes Gerat handeln, wofur die Fahigkeiten eines Uhrmachermeisters notig sind.«
»Also bleibt uns immerhin die Hoffnung, wenigstens Woodburn retten zu konnen«, sagte James Read nachdenklich. »Immerhin etwas.«
Hawkwood zogerte: »Da gibt es noch etwas, das mich beunruhigt.«
James Read nickte. »Sie fragen sich, wie William Lee an all diese Informationen gekommen ist. Ich muss gestehen, dass auch mir diese Frage gro?e Sorge bereitet.«
»Er muss Freunde an hochster Stelle haben.«
»Und worauf grundet sich Ihre Annahme?«
»Das ist keine Annahme, sondern eine Tatsache. Lee hat es mir bestatigt, als ich ihn fragte, woher er wisse, dass ich Captain gewesen sei.«
»Das hat er bestimmt von Lord Mandrake oder von diesem Scully erfahren«, sagte James Read.
»Vielleicht«, wandte Hawkwood ein. »Aber da bin ich mir nicht so sicher. Es war die Art, wie er das gesagt hat: ›Es gibt da gewisse hoher gestellte Freunde.‹ Er hat mit seinen Beziehungen geprahlt und damit bestimmt weder Lord Mandrake noch diesen Scully gemeint. Wie hat Mandrake erfahren, dass wir ihn uberprufen wollten? Zu diesem Zeitpunkt hatten wir noch nicht einmal
»Und da ist noch etwas …« Hawkwood schwieg kurz. »Als ich Lee sagte, dass wir wissen, was sie mit der
James Read schloss die Augen und massierte sich den Nasenrucken. Plotzlich wirkte er erschopft. Dann machte er die Augen wieder auf und sprach leise und zogerlich: »Ist Ihnen klar, was Sie da andeuten?«
»Ich konnte mich auch irren«, lenkte Hawkwood ein.
»Sie konnten aber auch Recht haben«, sagte der Oberste Richter mit finsterer Miene.
»Da gibt es noch etwas«, sagte Hawkwood.
»Was?«, fragte der Oberste Richter.
»Christopher Marlowe.«
»Wer, verdammt noch mal, ist Christoper Marlowe?«, mischte sich jetzt Jago in das Gesprach ein. »Etwa noch ein Kumpel von Scully?«
»Nicht ist, sondern
»Da sind Sie nicht der Einzige«, sagte Jago. »Was hat dieser Schreiberling damit zu tun?«
Im Gegensatz zu William Lee hatte sich der Oberste Richter nicht uberrascht gezeigt, dass Hawkwood mit den Werken des Dramatikers vertraut war. Zu den vielfaltigen Pflichten eines Bow Street Runners gehorte auch der Personenschutz.
Und einer von Hawkwoods beruhmt-beruchtigten Schutzlingen war der Schauspieler Edmund Kean gewesen. Dieser Edmund Kean, ein kleiner, unattraktiver, murrischer Mann, war im Jahr davor im Theater von Covent Garden bei Vorstellungen von Christopher Marlowes Werken aufgetreten. Hawkwood hatte wahrend seines Dienstes die meiste Zeit hinter den Kulissen verbracht und miterlebt, wie sich dieser im Leben so ungehobelte und arrogante Mann auf der Buhne in einen brillanten Schauspieler verwandelte. Er riss seine Zuschauer mit unkonventionellen Darstellungen zu Begeisterungssturmen hin. Seitdem hatte Hawkwood gro?ten Respekt vor der Schauspielkunst und eine Vorliebe fur Christoper Marlowes Werke.
»Lee hat aus dem
Als Nathaniel Jago ihn verstandnislos anstarrte, kam der Oberste Richter dem Sergeant zu Hilfe: »
»Lee hat mich auch daran erinnert, wo Marlowe gestorben ist«, sagte Hawkwood.
Der Oberste Richter wandte ihm langsam das Gesicht zu.
»Er hat gesagt: Selbst Marlowes Tod habe Deptford keine gro?ere Bedeutung verliehen. Und dass die Geschichte manchmal sonderbare Wege gehe.«
Als James Read die Bedeutung dieser Worte begriff, stohnte er: »Oh, mein Gott!«
»Wurde mir vielleicht jemand verraten, worum es hier geht, verdammt noch mal?«, fragte Jago emport.
»Das bedeutet, Sergeant«, sagte James Read und schuttelte den Kopf, »dass wir unseren amerikanischen Freund ganz gewaltig unterschatzt haben. Mein Gott, Hawkwood, hoffentlich haben Sie sich geirrt. Wenn nicht, ist unser William Lee nicht nur ein arroganter Schurke, sondern er besitzt auch noch einen ziemlich makabren Sinn fur Humor.«
Jago blickte ratlos von einem zum anderen.