»Das Schiff, Nathaniel«, half ihm Hawkwood auf die Sprunge. »Er meint das Schiff.«
»Ja, das Schiff, Sergeant«, fuhr James Read fort. »Wir dachten, Lees Aufgabe sei, die HMS
Jetzt begriff Jago. »Oh, verdammt!«, fluchte er leise.
»Laut Admiral Dalryde lauft die
James Read nickte. »Das ist heute, Hawkwood. Und mit dem Prinzregenten an Bord!«
Hawkwood wollte widersprechen und sagen, das sei unmoglich. Doch je mehr er daruber nachdachte, umso mehr Sinn bekam das Ganze. Lees gro?spuriges Auftreten, seine spottische Antwort, als Hawkwood ihm gesagt hatte, sie wussten, was er mit der
»Und es bedeutet, das Unterseeboot ist hier, mitten in London.«
Schweigen senkte sich uber den Raum.
»Wo, verdammt noch mal, steckt dieses verfluchte Ding?«
Der Oberste Richter stutzte die Hande auf den Schreibtisch und stand auf. »Das, Hawkwood, mussen wir so schnell wie moglich herausfinden.«
»Wo sollen wir denn mit der Suche beginnen? Dieses Teufelsding kann doch uberall sein.«
»Wir mussen genau uberlegen und logisch vorgehen.«
»Logisch?«
»Ja, das Suchgebiet eingrenzen«, erklarte James Read. »Mr. Twigg, wir brauchen Stadtplane. Holen Sie bitte Master Horwoods Plane von der unmittelbaren Umgebung der Themse. Und zwar schnell!«
»Der ist doch verruckt, wenn er glaubt, damit durchzukommen«, sagte Jago, als der Sekretar aus dem Buro eilte.
»Er ist nicht verruckt, Sergeant«, widersprach James Read. »Stellen Sie sich die umgekehrte Situation vor und einer unserer Kapitane hatte es geschafft, mit einem Schiff voller Sprengstoff die Seine hochzusegeln. Fur uns ware der Mann nicht verruckt, sondern ein Held!«
Ich fande das nicht heldenhaft, sondern verdammt idiotisch, dachte Hawkwood. Es sei denn, er ware erfolgreich.
Welche Konsequenzen wird es haben, sollte Lee seinen teuflischen Plan realisieren?, uberlegte er weiter. Wenn es ihm gelingt, mit seiner franzosischen Geheimwaffe ein britisches Kriegsschiff, das keinen Steinwurf vom Regierungssitz entfernt liegt, in die Luft zu sprengen, wird auf den Stra?en Panik ausbrechen. Und aus Angst vor einem ahnlichen Angriff wird kein Schiff mehr den Hafen verlassen. Wie soll England die Meere beherrschen, wenn das Land nicht einmal in der Lage ist, seine eigenen Hafen und Flusse zu schutzen? Die Auswirkungen auf den Handel waren katastrophal. Und wenn die Franzosen eine ganze Flotte dieser Unterseeboote bauen, was dann? Wie kann sich England gegen diese todliche Bedrohung wehren? Wie konnen wir unsere im Ausland stationierten Armeen dagegen aufrusten?
Napoleon hatte schon vor Jahren versucht, England zu besiegen, als er im Jahre 1806 eine Kontinentalsperre gegen das Land verhangte. In allen Hafen des Kontinents sollten die Einfuhren britischer Waren vereitelt werden. Darauf hatte England in Kopenhagen die Auslieferung der danischen Flotte erzwungen und somit die Abriegelung der Ostsee verhindert. Nur solange England Herrscherin uber die Meere blieb, wurde Napoleons Plan fehlschlagen. Sollte es jedoch einem einzigen Unterseeboot gelingen, die gesamte britische Marine lahm zu legen, wurde der Kaiser von Frankreich wieder aufatmen konnen. Das Gleichgewicht der militarischen Krafte stand auf dem Spiel, und mit ihm die ganze Nation.
In diesem Moment betrat Ezra Twigg mit mehreren Stadtplanen unter dem Arm das Amtszimmer. Da auf dem Schreibtisch nicht genug Platz war, breitete er die Plane auf dem Boden aus. Aus der Vogelperspektive bot sich so den Mannern ein Blick auf die Themse und die angrenzenden Gebiete.
Hawkwood verzweifelte beim Anblick dieser riesigen Flache: Fast achtzehn Kilometer Schifffahrtswege, ganz zu schweigen von den Nebenflussen, Kanalen und Docks. Wie sollten sie da ein kleines, zwanzig Meter langes Unterseeboot ausfindig machen?
»Durch Eliminierung«, sagte James Read. »Zum Beispiel: Ein Versteck oberhalb der Londoner Docks ist unwahrscheinlich, sonst musste das Unterseeboot eine zu gro?e Entfernung zurucklegen und an zu vielen Schiffen vorbeinavigieren.«
»Ich an Lees Stelle«, sagte Hawkwood, »wurde auch nicht von flussabwarts aus angreifen, weil es sinnvoller ware, mit dem Strom zu schwimmen. Und nach der Zerstorung des Schiffs wurde ich so schnell wie moglich das Weite suchen.«
Nachdenklich betrachtete der Oberste Richter das Mosaik auf dem Boden. »Da stimme ich Ihnen zu. Aber welcher Flussabschnitt bleibt uns dann? Vielleicht die Strecke zwischen Bermondsey und der Isle of Dogs? Das sind knapp funf Kilometer. Wo konnte man da ein Unterseeboot verstecken?«
Hawkwood versuchte sich daran zu erinnern, was Colonel Congreve uber die Fortbewegungsgeschwindigkeit eines Unterseeboots gesagt hatte. Wahrscheinlich wurde Lee weder zu viel Energie noch Zeit vergeuden wollen, um das Boot in Stellung zu bringen. Und funf Kilometer waren eine weite Strecke. Aber der Colonel hatte auch erwahnt, nicht die Geschwindigkeit, sondern die Unsichtbarkeit sei relevant.
Den Blick noch immer auf die Stadtplane geheftet, uberlegte Hawkwood laut: »An dem Boot musste etwas repariert werden. Deshalb haben sie den Uhrmacher entfuhrt. Im Freien kann diese Reparatur nicht durchgefuhrt werden, das wurde zu viel Aufmerksamkeit erregen. Also mussen wir nach einer Art Unterstand suchen, einem Bootshaus vielleicht oder einem Lagerhaus direkt an der Themse. Lee arbeitet nicht allein, das wissen wir. Er hat Kontakte. Welcher dieser Manner hat am ehesten Zugang zu einem Lagerhaus? Jemand, der Frachten transportiert? Ein Gro?handler? Ein Kaufmann?«
Hawkwood sah den Obersten Richter eindringlich an.
James Read schlug mit der Hand auf den Schreibtisch.
»Naturlich! Wir hatten es die ganze Zeit vor Augen!«
»Was?«, fragte Jago.
Der Oberste Richter packte seinen Sekretar am Arm. »Holen Sie mir die Mandrake-Akte, Mr.Twigg. Darin ist vermerkt, welche Liegenschaften Seine Lordschaft direkt an der Themse besitzt oder gemietet hat.«
»Sehr wohl, Sir.«
Jago fing Hawkwoods Blick auf und grinste: »Jetzt verstehe ich, warum Sie zum Offizier befordert wurden.«
Ezra Twigg eilte wieder aus dem Amtszimmer. Keine zwei Minuten spater kam er mit einem verschnurten Bundel Dokumente zuruck. Sogar Hawkwood, der das phanomenale Gedachtnis des kleinen Mannes kannte, war beeindruckt. Der Oberste Richter hingegen betrachtete die Effizienz seines Sekretars als Selbstverstandlichkeit.
»Sehr gut, Mr.Twigg«, sagte er nur. »Lesen Sie mir bitte das Verzeichnis der Liegenschaften vor.«
Wahrend der Sekretar die Namen herunterleierte, schwand Hawkwoods Hoffnung. Alle von Lord Mandrakes Handelsfirmen genutzten Lagerhauser lagen im neuen Hafenviertel.
London war der gro?te Hafen der Welt. Frachtschiffe konnten jedoch wegen ihrer Gro?e nur bis zur London Bridge segeln, sodass das Entladen auf die Nord- und Sudufer unterhalb der Brucke beschrankt war. Daher breiteten sich die Lagerhauser mit zunehmendem Handelsvolumen flussabwarts aus. Je gro?er die Schiffe wurden, umso starker wurde der Andrang im Hafengebiet, und es herrschten teilweise chaotische Verhaltnisse. Schiffe mussten manchmal wochenlang warten, bis ihre Fracht uberpruft worden war und die entsprechenden Zollgebuhren bezahlt werden konnten. Hinzu kam das Problem mit der Flusspiraterie und Schiffsplunderung.
Private Handelshauser begannen, erste Handelsdocks zu bauen, um Wartezeiten zu verkurzen und ihre wertvollen Frachten zu schutzen.
Bei Flut konnten die Schiffe jetzt flussaufwarts segeln und in den Hafenbecken ankern. Dort wurde die Fracht entweder in Lagerhauser oder von kleineren, wendigeren Booten direkt zu anderen Liegeplatzen