Pfade aus verrottenden Bohlen fuhrte durch dieses Gebiet.
Das Zielobjekt, eine Barke, lag mitten in der Seinemundung, solide verankert. Schwer wie ein eben aus der Tiefe aufgetauchtes schuppiges Ungeheuer, dumpelte sie auf dem Wasser.
In einer schwarzen, unauffalligen Kutsche, begleitet von seiner Eskorte, war der Kaiser mit seinem dunkelhautigen Mameluck-Leibwachter und dem Marineminister, Admiral Denis Decres, vorgefahren. Decres hatte dem Kaiser geraten, Fultons Erfindung, dem Unterseeboot, noch einmal eine Chance zu geben. Kaiser Napoleon interessierte sich nicht sonderlich fur die Marine. Aber Decres war Kommandeur aller nautischen Operationen gegen Britannien. Und der Kaiser schatzte den Admiral als Ratgeber.
Das Sperrgebiet wurde zusatzlich von einer Abordnung der Kaiserlichen Garde unter dem Kommando des einaugigen Veterans aus Bonapartes Italien- und Agyptenfeldzugen, Major Jean Daubert, bewacht.
Wahrend der Kaiser mit seiner Entourage zu dem Beobachtungsposten in einer verfallenen Scheune in Ufernahe gegangen war, hatte Lee mit zwei Mann Besatzung das Unterseeboot dreihundert Meter flussaufwarts manovriert.
An der Seite des ungeduldigen Kaisers, der in einem langen grauen Militarmantel wartete, hatte Admiral Decres schlie?lich das Zeichen zum Abtauchen gegeben.
Kurz darauf hatte eine Explosion den Fluss aufgewuhlt und die Barke war sofort gesunken. Wie ein Donnerschlag war der Knall uber das Sumpfland gehallt und hatte Wasservogel im Umkreis von einem Kilometer aufgescheucht. Wrackteile trieben ans Ufer, und die zersplitterten Planken des Boots steckten im Schlamm. Der Kaiser hatte sich sehr beeindruckt gezeigt und Lee zu einem Spaziergang eingeladen. Es galt wichtige Fragen zu erortern.
Dieser Spaziergang aber hatte erst nach der Entdeckung des Spions stattgefunden.
Ausgerechnet der einaugige Major Daubert hatte das im Sonnenlicht aufblitzende Fernrohr entdeckt und sofort den Verdacht geschopft, dass ein Agent heimlich Zeuge dieser Operation geworden war.
Sofort hatte der Major mit seinen Leuten die Verfolgung der Gestalt aufgenommen, die hinter einer Sanddune aufgetaucht und dann sofort geflohen war. Auch Napoleons Eskorte war losgeprescht, um dem Fluchtenden den Weg abzuschneiden. Es war vorauszusehen, dass die Grenadiere und die Reiter den Mann stellen wurden. Ein Entkommen war unmoglich.
Erst als zwei Grenadiere, der erste von einer Pistolenkugel niedergestreckt, der zweite mit dem Schwert erschlagen, tot im Sand gefunden worden waren, kam der Major zu dem Schluss, dass es sich bei dem Fluchtenden weder um einen Bauern noch um einen Wilderer handelte und es kluger ware, den Mann gefangen zu nehmen, damit er verhort werden konnte.
Doch ehe der Major seinen Mannern einen entsprechenden Befehl erteilen konnte, war der mittlerweile im seichten Gewasser watende Fluchtende von einem Gewehrschuss getroffen worden, hatte es jedoch noch geschafft, bis zur Mitte des Flusses zu schwimmen. Der Major hatte seinen Mannern gerade befohlen, nicht zu schie?en, als der Mann im Wasser versank und nicht wieder auftauchte. Die Stromung musste die Leiche mit sich fortgerissen haben.
Das hatte der Major vermutet.
Neben dem toten Grenadier hatte man eine Pistole gefunden und sie William Lee gezeigt. Lee hatte sofort der Annahme des Majors widersprochen, bei dem Fluchtenden konne es sich um einen neugierigen Bauern gehandelt haben. Auch die Spekulation des Admirals, bei dem Mann habe es sich eventuell um einen Attentater gehandelt, der von den im Exil lebenden Gegnern des Kaisers beauftragt worden war, erwies sich als haltlos.
William Lee hatte die Pistole sofort als englisches Fabrikat erkannt und auf den eingravierten Namen der Stadt York im Kolben hingewiesen und erklart, dass diese Waffe hauptsachlich von Marineoffizieren getragen werde.
Was hatte das zu bedeuten?
Lee hatte den Kaiser daruber aufgeklart, dass die Briten von der Existenz dieser neuen Waffe wussten. Fulton habe sie ihnen vor sieben Jahre angeboten, aber die Englander hatten das Projekt verworfen. Es sei jedoch vorstellbar, dass Informationen uber die Weiterentwicklung des Unterseeboots nach England gedrungen seien und der Geheimdienst Spione nach Frankreich geschickt habe, um Nachforschungen anzustellen.
Jedenfalls hatte ich das getan, hatte Lee noch hinzugefugt.
Auf dem folgenden gemeinsamen Spaziergang von Lee und dem Kaiser hatten die beiden den Plan zur Versenkung eines britischen Kriegsschiffs entwickelt.
Lee war erstaunt gewesen, mit welcher Offenheit der Kaiser uber den Verlauf der Kriege gesprochen hatte.
Wellingtons Siege in Spanien wurden dazu fuhren, dass Frankreichs Verbundete die Seiten wechselten. Und nicht nur die sudlichen Grenzen des Reichs seien bedroht, sondern auch mit der Unterstutzung Zar Alexanders konne der Kaiser nicht mehr rechnen. Wahrscheinlich mussten diesbezuglich Ma?nahmen ergriffen werden.
Da hatte Lee das Undenkbare ausgesprochen. »Euer Majestat wurden
Der Kaiser hatte nur mit den Schultern gezuckt und gesagt: »Vielleicht.«
Und das wurde bedeuten, dass Napoleons Armeen an zwei Fronten kampfen mussten und dadurch erheblich an Schlagkraft verloren.
»Deshalb muss dringend ein Wunder her«, hatte der Kaiser finster lachelnd verkundet. »Ein kleines wurde schon reichen.«
Und dieser Schlussel zum Erfolg konnte Fultons Kriegsgerat sein. Dadurch konnte Britanniens Nachschub an Truppen und Material nach Spanien behindert werden, was wiederum den Franzosen ermoglichen wurde, sich neu zu formieren und Wellingtons Flotte aufs Meer hinauszutreiben. Was zweifelsohne Zar Alexander dazu bewegen wurde, seine Verpflichtungen neu zu uberdenken.
»Alles ist moglich, Eure Majestat«, hatte Lee taktvoll geantwortet.
Der Kaiser hatte Lee einen Monat Zeit fur die Ausfuhrung des Plans zugebilligt, ihm volle Unterstutzung zugesagt und befohlen, ausschlie?lich Admiral Decres Bericht zu erstatten.
Doch niemand hatte damit gerechnet, dass der heimliche Beobachter, Harry St. John Ramillies, mit dem Leben davongekommen sein konnte.
Napoleons Agenten hatten das im Verlauf ihrer Ermittlungen gegen die in England lebenden Sympathisanten der Bourbonen herausgefunden. Der britische Spion lebe noch. Er erhole sich von seiner Verwundung und sei mit Hilfe royalistischer Widerstandler auf der Flucht. Schlimmer noch, man vermute, dass er Kopien der Konstruktionsplane fur das Unterseeboot bei sich habe.
Eine wagemutige Flucht, die auf einer einsamen, vom Unwetter gepeitschten Stra?e im Heideland von Kent ihr abruptes und blutiges Ende gefunden hatte. Da es jedoch gelungen war, wieder in den Besitz der Skizzen zu kommen, konnte die Mission wie geplant vorbereitet werden.
Bis zwei neugierige, lastige Runner, Henry Warlock und Matthew Hawkwood, in Lord Mandrakes Stadtpalais aufgetaucht waren und unangenehme Fragen gestellt hatten. Das spurlose Verschwinden einer so angesehenen Person wie Master Woodburn hatte naturlich Nachforschungen der Behorden zur Folge gehabt.
Womit nicht zu rechnen gewesen war, war die Kompetenz und Hartnackigkeit, mit der die beiden Manner die Spur verfolgt hatten. Denn das Amt in der Bow Street hatte nicht irgendeinen Constable mit den Nachforschungen beauftragt, sondern zwei ihrer besten Polizisten.
Aber Scully hatte dafur gesorgt, dass auch von dieser Seite keine Gefahr mehr drohte. Er hatte beide Manner umgebracht und Lee damit ermoglicht, ungestort seinen Plan in die Tat umsetzen zu konnen. Die Zerstorung des Schiffs war jetzt nur noch eine Frage von ein paar Stunden.
Wieder schweifte Lees Blick zum Fenster. Die Themse war die Lebensader der Stadt. Eine Ader, die sich bald eine ernste Wunde zuziehen wurde. Keine todliche Wunde, nein. Doch der Anschlag wurde die Nation lahmen und die Kriegsvorbereitungen der Briten erheblich storen, sodass Napoleon Gelegenheit bekame, seine Truppen neu aufzustellen, um in die Offensive gehen zu konnen.
Bald wurde ein Schiff explodieren, ein Prinzregent sterben und die Briten vor Angst erzittern.
Und dann endlich wurden Vater und Bruder geracht sein.
Rache, dachte Lee, als er sich anzog, kann tatsachlich nur kaltblutig verubt werden.
Hawkwood sa?, die Ellbogen auf das Ruder gestutzt, im Bug des Boots und versuchte, seinen klebrigen Schwei? im Nacken und unter den Achseln zu ignorieren. Seine Jacke hatte er ausgezogen und neben sich gelegt.