Jago hob grinsend seinen Becher. »Wie in alten Zeiten. Sie kampfen, und ich passe auf Sie auf.«

Die Worte trafen Hawkwood wie Nagel mitten ins Herz.

»Was ist denn?«, fragte der Exsergeant besorgt.

»Ich glaubte, von dir verraten worden zu sein, Nathaniel.«

»Meinen Sie damit die Nachricht auf dem Zettel?«

Hawkwood nickte. »Ich hatte es besser wissen mussen. Es tut mir Leid, Nathaniel. Entschuldige. Ich war ein verdammter Idiot.«

»Ist das alles, Cap’n? Verdammt, hatte ich in Ihrer Haut gesteckt, hatte ich dasselbe gedacht. Nehmen Sie sich das blo? nicht zu Herzen. Wir haben schon zu viel miteinander durchgemacht, um daruber auch nur ein Wort zu verlieren.«

»Und gerade deshalb hatte ich nicht an dir zweifeln durfen, Nathaniel«, sagte Hawkwood kopfschuttelnd. »Was war ich doch fur ein verdammter Narr.« Plotzlich kam ihm ein Gedanke: »Woher wusstest du, wo ich war? Und dass ich eine Nachricht bekommen hatte?«

»Durch einen glucklichen Zufall. Ich hatte von Lippy Adams in der Bell Lane endlich einen Tipp wegen der Beute vom Uberfall auf die Kutsche bekommen. Lippy war mir einen Gefallen schuldig. Er hat mir erzahlt, dass Scully ihm das Zeug gebracht hat. Da habe ich Jenny gebeten, Ihnen eine Nachricht zu ubermitteln. Und sie meinte, das habe sie schon getan. Scully hatte sie mit einem Zettel losgeschickt. Ausgerechnet dieser verdammte Scully! Und da haben naturlich alle Alarmglocken bei mir geschrillt. Aber Jenny wusste nicht, was auf dem Zettel stand. Die Kleine kann ja nicht lesen.«

Hawkwood horte sich Jagos Geschichte geduldig an.

»Tja, Scully war nirgends aufzutreiben, was mich nicht weiter verwundert hat. Und dann ist mir eingefallen, dass auch Scully weder lesen noch schreiben kann. Also musste jemand diese Nachricht fur ihn geschrieben haben. Und in unserer Gegend kommt dafur nur einer in Frage: Solly Linnett.«

»Du hast also mit Solly geredet?«

»Klar. Und es war sehr aufschlussreich, nachdem er die Wahrheit ausgespuckt hatte. Er hat mir alles erzahlt. Und das keine Sekunde zu fruh, wie sich herausgestellt hat.« Mit einem entwaffnenden Grinsen fugte Jago hinzu: »Mein Gott, was wurden Sie nur ohne mich anfangen? Kaum lass ich Sie eine Sekunde aus den Augen, geraten Sie in Schwierigkeiten. In Todesgefahr.« Dann wurde der Exsergeant plotzlich wieder ernst. »Wie war’s, wenn Sie mir erzahlen wurden, worum es bei dieser verdammten Geschichte eigentlich geht.«

»Du wirst es mir nicht glauben«, sagte Hawkwood erschopft.

»Na, raus damit!«, sagte Jago. »Wir haben viel Zeit.«

Da weihte Hawkwood ihn in alles ein. Angefangen von dem Uberfall auf die Postkutsche uber das Verschwinden des Uhrmachers bis hin zu Warlocks Ermordung und William Lees Unterseeboot. Als er fertig war, brannte seine mit Brandy gut geolte Kehle, als hatte er Brennnesseln geschluckt.

»O verdammt!«, fluchte Jago nach langerem Schweigen. »Das ist doch nicht Ihr Ernst, oder doch? Und was passiert jetzt?«

»Wir machen uns auf die Suche nach Lee und hindern ihn daran, seinen teuflischen Plan auszufuhren.«

»Puh!«, sagte Jago. »Wen meinen Sie mit wir? Herrgott, Sie haben vielleicht Nerven!« Dann dachte er nach und verkundete nicht ohne Stolz: »Also gut, verdammt noch mal! Ich mache mit. Aber wie sollen wir diesen Mistkerl aufhalten, wenn wir nicht einmal wissen, wo er steckt?«

»Keine Ahnung«, sagte Hawkwood. »Ich werde einfach das Gefuhl nicht los, dass ich etwas Entscheidendes ubersehen habe.«

Die beiden starrten eine Weile schweigend in ihre Becher.

»Verdammte Generale!«, sagte Jago schlie?lich.

»Was?«, fragte Hawkwood verdutzt und sah Nathaniel an.

Jago seufzte. »Verdammte Generale, haben wir doch immer geschimpft. Nie haben sie uns irgendetwas wissen lassen. Immer sind wir im Dunklen getappt, und dann steckten wir in der Schei?e. Wenn Sie mich fragen, so passiert jetzt genau dasselbe. Ich glaube, jemand da oben hat Ihnen nicht die ganze Wahrheit erzahlt. Erst wenn Sie dahinterkommen, was die Kerle Ihnen verschwiegen haben, konnen Sie handeln.«

»Du hattest General werden sollen«, sagte Hawkwood bewundernd.

16

Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, Nathaniel«, sagte Hawkwood grinsend, als er merkte, wie unbehaglich sich der Exsergeant fuhlte. »Solange ich bei dir bin, wird dir niemand etwas tun.«

»Wenn Sie das sagen«, entgegnete Nathaniel Jago skeptisch.

Ich an seiner Stelle ware auch nervos, dachte Hawkwood amusiert. Schlie?lich ist es fur einen Bandenchef hochst ungewohnlich, sich um zwei Uhr fruh in den Amtszimmern des Obersten Richters in der Bow Street aufzuhalten.

Vollig verschlafen im Nachthemd mit Zipfelmutze hatte Ezra Twigg den Mannern die Tur geoffnet und sie wortlos hereingelassen. Hawkwoods ru?geschwarzte Kleidung und sein ubel zugerichtetes Gesicht waren ihm trotzdem nicht entgangen.

»Ich muss unbedingt mit dem Richter reden, Ezra«, sagte Hawkwood. »Ist er noch auf?«

»Naturlich ist er noch auf«, murrte der Sekretar. »Und auch angekleidet. Dieser Mann scheint keinen Schlaf zu brauchen. Nicht wie unsereins«, giftete Ezra.

Dann tappte Ezra Twigg Verwunschungen murmelnd davon. Hawkwood stieg, von Jago gefolgt, die Treppe hoch zum Amtszimmer des Richters.

James Read sa? noch an seinem Schreibtisch und zeigte sich uber den unerwarteten Besuch zu so spater Stunde keineswegs uberrascht. Er stand auf und kam seinen Besuchern entgegen.

»Guten Morgen, Hawkwood«, sagte der Oberste Richter und musterte die beiden, ehe er hinzufugte: »Und Sie sind der beruhmt-beruchtigte Sergeant Jago, nehme ich an?«

Jago wart Hawkwood einen erschrockenen Blick zu.

»Na, na, Sergeant«, beruhigte ihn James Read. »Keine Angst. Ich habe schon viel von Ihnen gehort. Ihr Ruf eilt Ihnen voraus.« Dann musterte der Oberste Richter Hawkwood von Kopf bis Fu?. »Darf ich fragen, warum Sie aussehen, als seien Sie unter die Hufe eines Schwadrons Dragonerpferde geraten?«

»Ich hatte eine Auseinandersetzung mit einem der Stra?enrauber.«

»Ach, tatsachlich?«, freute sich James Read. »Dann haben Sie ihn also gefasst? Fantastisch.«

»Ja, schon …« Hawkwood stockte. »Aber er ist tot. Nathaniel musste ihn toten.«

Der Richter machte ein langes Gesicht. »Das ist sehr bedauerlich.« Er sah Jago an und fugte hinzu: »Ich nehme an, das war nicht zu vermeiden, oder?«

»Er hatte mich umgebracht, wenn Jago nicht dazwischengegangen ware«, warf Hawkwood ein. »Er hat mir das Leben gerettet.«

»In dem Fall, Sergeant, sind wir Ihnen zu gro?em Dank verpflichtet.« Read ging zu seinem Schreibtisch zuruck. »Also, wer war dieser Morder?«

»Er hie? Scully und hat fruher bei der Marine gedient. Das erklart auch, warum er ein schlechter Reiter war. Scully hat Ramillies, unseren Agenten, erschossen. Er und sein Komplize haben im Auftrag William Lees gearbeitet.« Hawkwood legte eine bedeutungsvolle Pause ein, ehe er hinzufugte: »Mit diesem Schuft habe ich ebenfalls gesprochen.«

Es war beinahe grotesk: Der Oberste Richter blieb plotzlich wie erstarrt stehen. »Sie sind Lee begegnet? Er ist in England?«

Dann stutzte Read plotzlich, er sah zuerst Jago an, dann warf er Hawkwood einen warnenden Blick zu.

»Sergeant Jago ist uber alles informiert, Sir. Ich habe ihm die ganze Geschichte erzahlt.«

Der Oberste Richter sagte irritiert: »Ach, tatsachlich? Das war ziemlich vermessen von Ihnen.«

»Nathaniel hat mir das Leben gerettet.«

»Ja, das sagten Sie bereits«, entgegnete James Read ungehalten.

»Ich dachte, er musse wissen, wo er da hineingeraten ist.«

»Ganz recht«, stimmte der Richter widerwillig zu und schwieg dann eine Weile, ehe er weitersprach. »Ihnen

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