Hawkwood glaubte, sich verhort zu haben. Oder der Schlag auf seinen Schadel hatte mehr Schaden angerichtet, als er ursprunglich angenommen hatte.

»Vergessen Sie nicht, mein Junge, ich bin Uhrmacher. Seit uber funfzig Jahren stelle ich komplizierte Zeitmesser her«, erklarte der alte Mann lachelnd und hob wie um Verstandnis bittend die Hande. »Das sind meine Werkzeuge. Einfache Schlosser bergen fur mich keine Geheimnisse.«

Als Hawkwood Master Woodburn noch immer verstandnislos anstarrte, griff der Uhrmacher unters Bett und holte einen gebogenen Nagel hervor. »Da, sehen Sie?«

Hawkwood musterte zuerst den Nagel und dann Woodburn. »Warum sind nicht auch Sie geflohen?«

Der Uhrmacher drehte den Nagel zwischen Zeigefinger und Daumen. Dann seufzte er: »Weil ich das Leben meiner Enkelin nicht in Gefahr bringen wollte. Elizabeth bedeutet mir alles. Als Catherine, meine Tochter, gestorben ist, hatte ich beinahe meinen Glauben verloren. Aber wenn ich jetzt meine Enkelin ansehe, wei? ich, dass Catherine noch immer bei mir ist. Meine Tochter lebt in Elizabeth weiter. Konnen Sie das verstehen?« Dann ballte er die Fauste und flusterte verzweifelt: »Diese Halunken haben gedroht, Elizabeth zu toten, wenn ich nicht tue, was sie sagen. Sie wurden mir Elizabeth wegnehmen, und ich wurde meine Enkelin nie wieder sehen. Sie ist doch noch ein Kind! Ich wage nicht daran zu denken, was sie ihr antun konnten. Deshalb bin ich nicht geflohen. Verstehen Sie das? Ich hatte keine Wahl. Und deshalb habe ich getan, was er mir befohlen hat.«

»William Lee?«

Der alte Mann nickte und legte eine Hand auf Hawkwoods Arm. »Er ist ein doppelzungiger Schurke. Er plant etwas Schreckliches.«

»Wir wissen von dem Unterseeboot«, sagte Hawkwood.

Josiah Woodburn nickte wieder. »Sein Unterseeboot, ach ja, eine bemerkenswerte Erfindung. Ich kannte naturlich Fultons Konstruktionsplane. Ich bin ihm sogar einmal begegnet. Wir haben einen gemeinsamen Bekannten – Sir Joseph Banks. Er war Mitglied in der Kommission, die Premierminister Pitt vor sechs Jahren ins Leben gerufen und damit beauftragt hat, die Tauglichkeit von Fultons Projekt zu prufen. Das war kurz vor Nelsons Sieg bei Trafalgar.«

Hawkwood erinnerte sich an sein Gesprach mit Colonel Congreve. Diese Kommission hatte das Unterseeboot zwar fur funktionstuchtig, fur Kriegszwecke aber nicht tauglich angesehen.

»Erzahlen Sie mir, wie Lord Mandrake mit Ihnen in Verbindung getreten ist«, bat Hawkwood.

Der alte Mann seufzte. »Er hat mir gesagt, einer seiner Freunde wolle eine Uhr bei mir bestellen. Da er aber bettlagerig sei, konne er mich nicht in meinem Atelier aufsuchen. Also bot Lord Mandrake mir an, mich in seiner Kutsche zu diesem Freund fahren zu lassen. Auf diese hinterlistige Weise wurde ich dann entfuhrt.« Josiah Woodburn blickte auf und fragte: »Haben Sie Seine Lordschaft festgenommen?«

Hawkwood schuttelte den Kopf. »Nein, noch nicht. Aber einer meiner Kollegen ist unterwegs zu seinem Landsitz. Und dann wird der Lord hangen.«

Josiah Woodburn sagte nur trocken: »Fur diese Art von Verrat wird sich Lord Mandrake wohl vor einer viel hoheren Instanz verantworten mussen.«

»Aber warum braucht Lee Sie?«

»Als Lee das Unterseeboot nach England uberfuhrte, wurde bei einem Sturm im Armelkanal der Chronometer beschadigt. Dieses Gerat ist sehr kompliziert, mussen Sie wissen. Und kann nur von jemandem mit besonderen Fahigkeiten repariert

werden – von einem Fachmann wie mir eben.«

»Wofur braucht Lee diesen Chronometer?«, fragte Hawkwood.

Josiah Woodburn sah den Runner verwirrt an. Die Frage kam ihm anscheinend uberflussig vor. »Na, fur seine Unterwassergeschosse naturlich. Fur seine Torpedos.«

Dieser Irrsinnige hat wahrhaftig vor, seinen Plan in die Tat umzusetzen, dachte Hawkwood.

»Ich habe Kopien von Lees Konstruktionsplanen fur das Unterseeboot entdeckt und die Zeichnungen Officer Warlock anvertraut, damit er sie den Behorden ubergibt«, sagte Josiah Woodburn. »Nach dem, was Sie mir erzahlt haben, ist ihm das wohl nicht gelungen.«

»Wir haben die Skizzen in seinem Schlagstock entdeckt«, sagte Hawkwood. »Sie sind jetzt im Besitz der Admiralitat.«

Der Oberste Richter hatte also mit seiner Vermutung Recht, dachte Hawkwood. Allein wegen dieser Konstruktionsplane ist die Kutsche uberfallen und Lieutenant Ramillies ermordet worden. Durch einen glucklichen Zufall sind die Skizzen jedoch dem Uhrmacher und dann dem bedauernswerten Warlock in die Hande gefallen.

Der alte Mann stie? einen langen Seufzer aus. »Wir hatten wenig Zeit. Ich konnte nur noch schnell den Namen des Schiffs darauf kritzeln und hoffen, dass die Obrigkeit etwas damit anfangen kann.«

Ich lag also richtig mit meiner Vermutung, dass diese Buchstaben in aller Eile hingekritzelt wurden, dachte Hawkwood und sagte: »Wir wissen, dass Lee einen Anschlag auf die Thetis plant.«

Da funkelten die Augen des Uhrmachers, und er sagte erleichtert: »Gott sei Dank!« Plotzlich packte er Hawkwoods Arm und flusterte ihm ins Ohr: »Mir liegt noch etwas auf der Seele, Officer Hawkwood. Ich bin aus einem anderen Grund nicht mit Officer Warlock geflohen. Das mussen Sie wissen.

Ich …«

In dem Moment wurde der Uhrmacher vom Klappern eines Schlussels im Schloss unterbrochen. Dann wurde die Tur aufgesto?en. Der Uhrmacher warf schnell den Nagel wieder unter die Pritsche. Hawkwood fiel auf, dass die Turangeln geolt waren, so, wie die der Tur drau?en. Deswegen hatte der Angreifer sie leise offnen und ihn uberrumpeln konnen.

William Lee betrat breit grinsend, eine Laterne in der Hand, das Verlie?. »Wie ich sehe, haben die Gentlemen bereits Bekanntschaft geschlossen. Haben Sie gut geschlafen, Master Woodburn?« Dann starrte Lee Hawkwood an. »Sparrow hat mir erzahlt, dass Scully tot ist. Ich habe mich schon gewundert, warum er nichts von sich horen lie?.« Mit gespielter Verargerung schnalzte der Amerikaner mit der Zunge. »Ich muss zugeben, Officer Hawkwood, Sie sind wirklich ein Schei?kerl! Sie sind hartnackig und haben unverschamtes Gluck.«

Hawkwood schwieg.

»Haben Sie Scully getotet?«, fragte Lee.

»Nein«, antwortete Hawkwood knapp.

Lee starrte Hawkwood noch eine Weile an, ehe er mit den Schultern zuckte und sagte: »Das ist auch nicht von Bedeutung. Scully wurde mir sowieso ziemlich lastig. Aber jetzt fehlt mir ein Mann, und auf dieses Argernis konnte ich verzichten. Sie stellen meine Geduld wirklich auf die Probe, Officer Hawkwood.«

»Sie konnen nicht gewinnen, Lee«, sagte Hawkwood. »Meine Manner haben das Lagerhaus umstellt.«

Lee schuttelte den Kopf und lachte. »Sie lugen. Sonst wurden wir uns hier nicht in aller Ruhe unterhalten. Nein, Sir, Sie sind allein hierher gekommen. Und es bedeutet, dass ich jetzt ganz nach Belieben mit Ihnen verfahren kann.«

Wenigstens habe ich Jago, dachte Hawkwood. Hoffentlich ist er noch auf seinem Posten.

Eine Bewegung hinter Lee erregte Hawkwoods Aufmerksamkeit. Das muss Sparrow sein, dachte Hawkwood, doch dann trat die Person neben Lee: schlanke Figur, dunkel gekleidet, eng anliegender Rock, dazu passende Kniehosen und schwarze Lederreitstiefel. Und plotzlich ergab alles einen Sinn.

»Guten Morgen, Matthew«, begru?te ihn Catherine de Varesne, die Pistole in ihrer Hand direkt auf sein Herz gerichtet.

»Hallo, Catherine«, erwiderte Hawkwood lachelnd ihren Gru?.

»Wunderst du dich denn uberhaupt nicht?«, fragte sie verblufft.

Hawkwood beruhrte die Platzwunde an seinem Hinterkopf und sagte: »Es war dein Parfum. Der Duft ist unverwechselbar.«

Catherine de Varesnes Augen funkelten amusiert. Doch der Lauf ihrer Pistole blieb unverwandt auf ihn gerichtet.

»Na, ist das nun eine Uberraschung, oder nicht?«, fragte Lee grinsend.

Hawkwood warf ihm nur einen kalten Blick zu.

»Catherine ist Napoleons beste Agentin, mein Freund. Und Sie hingen die ganze Zeit wie ein gieriger Fisch an ihrer Angel.«

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