Es gibt da gewisse hoher gestellte Freunde, fiel Hawkwood Lees Bemerkung ein.

Er schloss die Augen und fragte sich, wie er nur so dumm hatte sein konnen und warum er diese Intrige nicht schon langst durchschaut hatte.

Als er die Augen wieder offnete, sah er, dass Catherine ihn noch immer anlachelte.

»Wir wussten, dass du mit der Aufklarung des Uberfalls auf die Postkutsche beauftragt wirst«, sagte sie. »Und wir kannten deinen Ruf, Matthew, die Hartnackigkeit, mit der du jeder Spur folgst. Wir wussten nur nicht, was wir mit dir anfangen sollten. Wie wir dich aus dem Weg schaffen konnten. Doch die Gelegenheit dazu ergab sich beim Ball in Lord Mandrakes Haus.«

Hawkwood erinnerte sich an sein Gesprach mit James Read. Jetzt verstand er, warum Lord Mandrake ausgerechnet ihn angefordert hatte. Dadurch hatten Mandrake und Lee ihn kennen lernen und einschatzen konnen.

Und jetzt war ihm auch klar, warum Lord Mandrake Hals uber Kopf abgereist war. Catherine hatte ihm eine Nachricht zukommen lassen und ihn gewarnt, weil er ihr unangenehme Fragen gestellt hatte.

Da kam ihm plotzlich ein Gedanke. »Hat auch Rutherford bei diesem intriganten Spiel mitgemacht?«

Catherine schnaubte verachtlich, und ihre Augen blitzten.

»Rutherford ist nichts als ein arroganter Hohlkopf. Ich habe ihn nur fur meine Zwecke benutzt.«

»Du hast Rutherford und seinen betrunkenen Freunden also nur vorgegaukelt, du warst leicht zu haben. Dann hast du die Unschuldige gespielt und darauf gewartet, dass ich dich rette.«

»Mein Ritter in der schimmernden Rustung«, spottete sie.

»Es ging allein darum, das Ganze richtig in Szene zu setzen. Wir wussten, dass du eine junge Dame in Noten nicht ihrem Schicksal uberlassen wurdest.«

»Und du hast gewusst, dass Rutherford im Beisein seiner Freunde aus Stolz keinen Ruckzieher machen wurde und mich zum Duell herausfordern musste. Was hast du dir erhofft? Dass er mich erschie?t?«

Noch wahrend Hawkwood sprach, dachte er uber Lawrence’ Rolle in dieser perfiden Schmierenkomodie nach. Instinktiv aber wusste er, dass der Major rein zufallig und unwissentlich den Beteiligten in die Hande gespielt hatte.

»Wir vermuteten eher, dass du ihn erschie?t, Matthew. Wie auch immer, jedenfalls waren wir dich dann los gewesen.«

»Aber Sie haben unseren Plan zunichte gemacht, Hawkwood«, mischte sich Lee jetzt erbost ein. »Verdammt noch mal, Sie haben den Mistkerl nur leicht verwundet!«

Haben Sie ihn getotet?

Diese Frage hatte Catherine de Varesne ihm nach dem Duell voller Erwartung in der Kutsche gestellt. Doch damals hatte er dieser Frage keine Bedeutung beigemessen. Und dann hatte sie in ihrem Haus seine Wunde verbunden und ihn auf atemberaubende Art und Weise verfuhrt. Das Wissen, dass sich zwei Manner ihretwegen duelliert hatten, dass Blut geflossen war, hatte sie erregt und ihre Leidenschaft entflammt.

»Nun«, sagte Lee, »ich unterbreche zwar ungern dieses gluckliche Wiedersehen, aber auf uns wartet Arbeit. Es wird Zeit. Gentlemen, bitte, folgen Sie mir. Und ich warne Sie, Captain Hawkwood. Sollten Sie irgendeine heroische Tat planen, vergessen Sie’s. Mademoiselle de Varesne wird nicht Sie als Ersten erschie?en, sondern Master Woodburn.«

Mit diesen Worten drehte sich Lee um und ging voran in einen Gang, der mit Steinplatten ausgelegt war. In bizarren Mustern warf die Laterne flackernde Silhouetten der kleinen Prozession an die Wand. Hawkwood merkte sofort, dass der Gang nach unten fuhrte, wahrscheinlich zum Fluss hinunter, denn der faulige Geruch nach Brackwasser wurde immer starker. Seine Vermutung wurde bestatigt, als sie nach mehreren Biegungen eine schmale Treppe hinunterstiegen und das lang gezogene Lagerhaus betraten.

Der Oberbau war aus Holz, doch die Fundamente aus Stein lie?en darauf schlie?en, dass dieser alteste Teil des Gebaudes auf dem ursprunglichen Fundament ruhte. Die Halfte des Lagerhauses wurde von dem Ladekai eingenommen, von dem aus die Fracht von Karren auf Barken transportiert oder umgekehrt entladen wurde. Am Ende dieses Docks befand sich die Doppeltur, die Jago vom Fluss aus entdeckt hatte. Durch die Ritzen in der Tur und zwei schmale Fenster drang etwas Tageslicht. Zusatzlich erhellten mehrere an Haken hangende Laternen den Innenraum. Hawkwood kam sich wie in einem uberfluteten Kirchenschiff vor.

»Nun«, sagte Lee zu Hawkwood, »was halten Sie davon?«

Hawkwood stand nur da und starrte das Unterseeboot an.

Es war mit Leinen an Bug und Heck am Kai vertaut. Es war gro?er, als er erwartet hatte – etwa siebeneinhalb Meter lang. Auf den ersten Blick sah es mit seinem Holzdeck, dem spitz zulaufenden Bug und Heck wie jedes andere kleine Flussboot aus. Bei naherem Hinsehen erkannte Hawkwood jedoch die Unterschiede. Unter dem verkurzten Bugspriet ragte ein Metallstab empor, an dem strahlenformig vier elliptische, etwa sechzig Zentimeter lange Schaufeln befestigt waren. Auch am Heck entdeckte er ein ahnliches, horizontal angebrachtes Gerat. Der Mast lag mit aufgerolltem Segel auf Deck und konnte mit Hilfe eines Scharniers aufgerichtet werden. Vor dem Mastsockel ragte aus dem Deck – gleich einem umgedrehten halben Fass – eine metallische Kuppel hervor: Der Kommandoturm, wie Colonel Congreve erklart hatte. Eine Halfte war uber der Luke, dem Einstieg, hochgeklappt. Hawkwoods Blick schweifte wieder zum Heck. Dort war auf einem Holzrahmen ein Zylinder aus Kupfer angebracht, so gro? wie ein kleines Rumfass. Ein Tau fuhrte von dort durch eine Art Nadelohr zur Spitze des Kommandoturms und verschwand dann in einem kleinen Loch im vorderen Deck. Die von Colonel Congreve beschriebene Unterwasserbombe – Fultons Torpedo – jetzt mit eigenen Augen zu sehen, war fur Hawkwood ein Schock.

»Ist sie nicht wundervoll?«, fragte Lee mit unverhohlenem Stolz in der Stimme.

Hawkwood schwieg. Jetzt tat sich etwas an Deck des Unterseeboots. Sparrow stieg aus der Luke. In seinem Gurtel steckte eine Pistole. Er legte die Hand auf den Griff und betastete mit der anderen den Schnitt an seinem Hals. Er starrte Hawkwood voller Hass an. Dann sprang er behende auf den Kai.

»Alles in Ordnung, Sparrow?«, fragte Lee.

Der Matrose nickte.

»Fabelhaft! Dann offne bitte das Tor und mach das Boot zum Auflaufen klar.«

Als Hawkwood Catherine de Varesne musterte, ihre schlanke Gestalt in der maskulinen Kleidung, ihr zu einem Nackenknoten geschlungenes Haar, die Pistole in ihrer Hand, und ihr Lacheln wahrnahm, fiel es ihm plotzlich wie Schuppen von den Augen. Er musste an Scullys hohnische Bemerkung denken, als er ihn gefragt hatte, wer sein Komplize bei dem Uberfall auf die Postkutsche gewesen sei: ein Meuterer wie er oder Lee.

Weder noch, Euer Ehren. Du wurdest mir nicht glauben, wenn ich es verriete. Wenn du wusstest …

Der Komplize war kein Junge und auch nicht Jago gewesen, wie er kurz vermutet hatte, sondern eine Frau, die ihren Mund nicht aufgemacht hatte, weil ihr Akzent sie verraten hatte. Sie hatte den Wachmann kaltblutig erschossen und so, wie Hawkwood sie jetzt einschatzte, wegen dieses Mordes nicht eine schlaflose Nacht verbracht.

Diese Erkenntnis schockierte Hawkwood derart, dass er wie gelahmt dastand. Da riss ihn Lee aus seiner Erstarrung. »Was ist denn los, Officer Hawkwood? Hat es Ihnen die Sprache verschlagen?«

Ehe Hawkwood antworten konnte, rasselte am Ende des Kais eine Kette. Sparrow offnete das Tor.

Als die Flugel langsam aufschwangen, drang Licht ins Lagerhaus. Hinter dem niedrigen Torbogen sah Hawkwood die Fahrrinne, die zum Fluss fuhrte. Er fragte sich, ob Jago noch immer dort im Ruderboot sa? und auf ihn wartete.

Jetzt kam Sparrow zuruck, nahm die Pistole aus seinem Gurtel und spannte den Hahn.

»Tja, Captain Hawkwood, es ist so weit. Was soll ich sagen? Es war mir eine Freude, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben. Wirklich«, hohnte der Amerikaner und sprang an Deck des Unterseeboots. »Beeil dich, Sparrow. Die Zeit drangt.«

Sparrow hob grinsend seine Pistole und winkte Hawkwood damit an den Rand des Kais.

»Niederknien!«, befahl er.

Hawkwood ruhrte sich nicht von der Stelle.

Sparrow druckte ihm die Mundung in den Nacken und zischte ihm ins Ohr: »Knie nieder, du Bastard! Los!«

Da horte Hawkwood ein qualvolles Stohnen. Josiah Woodburn wurde mit ansehen mussen, wie der Officer erschossen wurde.

Вы читаете Der Rattenfanger
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату